17.01.2021, 19:21
Quelle: https://haltefest.ch/2952-das-kommen-des-herrn-4
1. Thessalonicher 3,10-13
Wir haben schon darauf hingewiesen, dass die Erwartung des Herrn die Thessalonicher nicht nur bei ihrer Bekehrung kennzeichnete. Die Verfolgung, die darauf über sie kam, gab ihnen Gelegenheit, auch nachher das Ausharren ihrer Hoffnung an den Tag zu legen. Und so wie sie hatte Paulus selber – obwohl gealtert durch anstrengenden Dienst und nicht mehr ein kleines Kind im Glauben, sondern ein Vater – immer in der Tätigkeit der «ersten Liebe» gewandelt. Die Jahre hatten die Frische seines christlichen Lebens nicht abzuschwächen vermocht. Das zweite Kapitel zeigt uns den Apostel in seinem «Werk des Glaubens», in seiner «Bemühung der Liebe» und auch in seinem «Ausharren der Hoffnung». Denn als Satan seinen Dienst zu verhindern suchte (V. 17-20), hatte er das Kommen des Herrn vor den Augen und wusste, dass er dann die Belohnung für seinen Dienst empfangen würde. «Denn,» sagt er, «wer ist unsere Hoffnung oder Freude oder Krone des Ruhmes? Nicht auch ihr vor unserem Herrn Jesus bei seiner Ankunft»? (1. Thes 2,19). So übte das Kommen des Herrn, das den ganzen Wandel dieser Kinder im Glauben ordnete, auch einen gesegneten Einfluss auf den ganzen Dienst des grossen Apostels der Heiden aus. Sowohl dieser wie jene, alle trugen dieselben Kennzeichen der gleichen Familie und besassen, trotz der ganz verschiedenen Masse ihrer Erkenntnis, das gleiche Geheimnis des christlichen Lebens. Ihr Christentum war äusserst einfach: Sie kannten und liebten den Herrn persönlich und lebten in der täglichen Erwartung seines Kommens.
Die Stelle, die den Hauptgegenstand dieser Betrachtung bildet (1. Thes 3,10-13), lässt uns erkennen, dass der Glaube der Thessalonicher von verschiedenen Gefahren bedroht war. Der Begriff «Glaube» umschliesst nicht nur die Annahme des Zeugnisses Gottes über das Werk Christi; denn wenn dieses Zeugnis im Herzen aufgenommen wird, so ist dieser Glaube vollendet. Der hier gebrauchte Begriff umfasst auch die Gesamtheit der christlichen Lehre, die durch den Glauben erfasst wird. In diesem Stück fehlte den Thessalonichern noch vieles (siehe Vers 10). Die ganze Belehrung dieses Briefes beweist, dass ihnen die Einzelheiten ihrer Hoffnung noch unbekannt waren. Aus dem 4. Kapitel ersehen wir, dass sie in Gefahr standen, betrübt zu sein «wie auch die übrigen, die keine Hoffnung haben», und aus dem zweiten Brief geht hervor, dass es dem Feind in einem kleinen Mass gelungen war, ihre Hoffnung abzuschwächen. Er täuschte ihnen vor, der «Tag des Herrn», das heisst, der Tag des Gerichts, sei da (2. Thes 2,2); sie hätten sich daher geirrt, wenn sie den Herrn Jesus erwarteten, der sie von dem kommenden Zorn erretten sollte.
Tatsache ist, dass Christen, die nicht vertraut sind mit dem Kommen des Herrn, Gefahr laufen, in die Schlingen des Versuchers zu treten, und dann wäre die ganze Arbeit des Geistes Gottes in ihnen vergeblich gewesen (1. Thes 3,5). Wenn wir aber die Kenntnis der christlichen Hoffnung verlieren, ist unsere Seele in Gefahr, auch andere elementare Wahrheiten, die das Fundament unseres Glaubens bilden, zu verlieren. Denn die Erwartung Christi beeinflusst unseren Dienst, belebt unseren Glauben und wirkt noch auf andere Elemente unseres christlichen Lebens ein. Man darf sogar behaupten, dass sie mit jedem Bestandteil dieses Lebens in Verbindung steht. Daher konnte der Apostel im 3. Kapitel unseres Briefes nicht von der Heiligkeit schreiben, ohne sie mit dem Kommen des Herrn in Verbindung zu bringen:
«Euch aber mache der Herr völlig und überströmend in der Liebe zueinander und zu allen (wie auch wir euch gegenüber sind), um eure Herzen zu befestigen, dass ihr untadelig seid in Heiligkeit, vor unserem Gott und Vater, bei der Ankunft unseres Herrn Jesus mit allen seinen Heiligen.»
Bleiben wir einen Augenblick bei dieser Stelle stehen. Der Apostel wünschte für die Heiligen in Thessalonich, dass ihr Dienst der brüderlichen Liebe überströme, nicht nur in dem engen Kreis ihrer christlichen Beziehungen, sondern «gegen alle».
Der Apostel war vor den Augen der Thessalonicher ein Muster in der Ausübung dieser Liebe, von der er sprach. Er konnte ihnen in Wahrheit sagen: «wie auch wir euch gegenüber sind», denn er hatte es ihnen bewiesen. «Wir sind in eurer Mitte zart gewesen, wie eine nährende Frau ihre eigenen Kinder pflegt. So, da wir ein sehnliches Verlangen nach euch haben, gefiel es uns wohl, euch nicht allein das Evangelium Gottes, sondern auch unser eigenes Leben mitzuteilen, weil ihr uns lieb geworden wart.» Seine Arbeit in ihrer Mitte war eine echte «Bemühung der Liebe»: «Denn ihr erinnert euch, Brüder, an unsere Mühe und Beschwerde: Während wir Nacht und Tag arbeiteten, um niemand von euch beschwerlich zu fallen, haben wir euch das Evangelium Gottes gepredigt» (1. Thes 2,7-9).
Die Ausübung der Bruderliebe hat überaus kostbare Auswirkungen auf den Zustand unserer Seelen. Dies geht aus den Worten des Apostels hervor: «um eure Herzen zu befestigen, dass ihr untadelig seid in Heiligkeit, vor unserem Gott und Vater.» Diese Dinge kennzeichnen auch die Person Christi: Er ist Liebe; Er ist der Heilige; Er ist untadelig und hat nie etwas «Ungeziemendes» getan.
Diese Dinge sind auch ein Merkmal für unsere gegenwärtige Stellung in Christus. Gott betrachtet uns als solche, die in Ihm sind und daher dieselben Wesenszüge haben wie der Herr selbst: «Er hat uns auserwählt in ihm vor Grundlegung der Welt, dass wir heilig und untadelig seien vor ihm in Liebe» (Eph 1,4).
Sie kennzeichnen auch unseren zukünftigen Zustand: «Um euch heilig und untadelig und unsträflich vor sich hinzustellen» (Kol 1,22). «Christus hat die Versammlung geliebt … damit er sie sich selbst verherrlicht darstellte, die nicht Flecken oder Runzel oder etwas dergleichen habe, sondern dass sie heilig und untadelig sei» (Eph 5,27).
Aber ein Christ kann sich mit dem Wissen, dass er in Christus vollkommen ist und auch in der Herrlichkeit vollkommen sein wird, nicht begnügen. Da er göttliches Leben hat, wird er die Wesenszüge, die er besitzt, auch hier auf der Erde zu verwirklichen suchen. Aus diesem Grund finden wir diese Worte auch da, wo es sich um die Frage des Wandels in dieser Welt handelt. «Ihr seid Zeugen und Gott, wie heilig und gerecht und untadelig wir gegenüber euch, den Glaubenden, waren; ebenso, wie ihr wisst, wie wir jeden Einzelnen von euch, wie ein Vater seine eigenen Kinder, euch ermahnt … haben» kann der Apostel sagen (1. Thes 2,10.11). Seine Liebe zu den Thessalonichern war der Beweggrund zu seinem Handeln ihnen gegenüber. Er wünschte, dass es auch bei den Philippern so sei. Paulus schrieb ihnen: «Und um dieses bete ich, dass eure Liebe noch mehr und mehr überströme in Erkenntnis und aller Einsicht … damit ihr lauter und ohne Anstoss seid auf den Tag Christi» (Phil 1,9.10).
Diese, unseren christlichen Wandel betreffende Wahrheit, ist überaus wichtig. Denken wir daran: unsere praktische Heiligkeit entspringt unserer Liebe. Die erste kann nicht bestehen, wenn die zweite fehlt Die Bruderliebe bindet uns an die Familie Gottes und heiligt uns, indem sie uns von allem absondert, was nicht aus Ihm geboren ist. Demzufolge können wir nicht mehr das lieben und pflegen, wonach die Welt trachtet. Wir finden unsere Freude in den himmlischen Dingen, mit denen, die sie kennen und lieben. Wenn aber die Bruderliebe erkaltet und bei dem Christen nicht mehr überströmt, entsteht eine gewisse Leere im Herzen: Die Welt beeilt sich, diesen freien Raum auszufüllen. Zuerst schleicht sie auf leisen Sohlen ein, bald aber spielt sie sich als Herr auf, und die Heiligkeit, die praktische Absonderung für Gott wird zum leeren Begriff oder bestenfalls zu einer toten Form.
Kommen wir auf unsere Stelle zurück: «Um eure Herzen zu befestigen, dass ihr untadelig seid in Heiligkeit, vor unserem Gott und Vater». Hier handelt es sich eigentlich nicht um unseren Wandel, wie in Phil 1,9-10, sondern um den Zustand unserer Herzen. Die Ausübung der Bruderliebe befestigt die Herzen der Gläubigen in einem untadeligen Zustand und in der Heiligkeit vor Gott durch das glückliche Bewusstsein dieser Dinge. Aber wie könnten sie bei dem Mass stehen bleiben, in dem sie Christus hier auf der Erde darstellen? Das hiesse ja, selbstzufrieden zu werden und sich der gefährlichen Illusion hinzugeben, dass es in dieser Welt möglich sei, eine praktische Vollkommenheit zu erreichen. Daher fügt der Apostel hinzu: «bei der Ankunft unseres Herrn Jesus mit allen seinen Heiligen.» Wir finden die Vollkommenheit dieser Dinge erst beim Kommen unseres Herrn. Aber gestützt auf diese Hoffnung vermögen wir sie völliger zu verwirklichen und erwarten so von einem Augenblick zum andern ihre volle Erfüllung. Die Augen auf Jesus gerichtet, bemühen wir uns darum, jetzt schon als solche vor Ihm zu stehen, wie wir dann sein werden, wenn Er kommen wird mit allen seinen Heiligen.
Ich kann und ich darf keinen geringeren Massstab der Heiligkeit anlegen als diesen. Wie sollte ich anders als in der Liebe wandeln, wenn ich daran denke, dass der Herr Jesus uns alle zusammen mit Ihm einführen wird zu Gott, dem Vater? Dann wird die Ausübung der Liebe zwischen Christus und uns, zwischen uns und Gott, auch von unserer Seite her, vollkommen sein und sie wird das Haus des Vaters ewig mit ihrem Wohlgeruch erfüllen! Wie sollten wir anders als in der Heiligkeit leben, wenn wir von einem Augenblick zum andern das Kommen des Herrn erwarten, wo dann das Wesen aller seiner Heiligen vollkommen dem Seinen entsprechen wird!
Ich denke nicht, dass an dieser Stelle unter dem Kommen des Herrn die Offenbarung Jesu Christi mit allen seinen Heiligen vor der Welt gemeint ist. Sie befinden sich hier immer noch «vor unserem Gott und Vater». Das erste Teilstück unserer himmlischen Reise ist unser Zusammentreffen mit Ihm, «auf Wolken», «in der Luft»; das zweite Teilstück wird dann seine Ankunft mit uns in dem Haus des Vaters und in seiner Gegenwart umfassen. Von da aus werden wir mit Ihm hinausgehen, um vor der Welt offenbart zu werden. Dann werden wir endlich das sein, was wir immer bleiben werden: heilig, untadelig, in Liebe, Ihm gleich. Wir sind dann nicht nur in Christus, sondern mit Christus und Ihm gleichförmig geworden. In dieser Wesensart wird Er die Versammlung dem Vater darstellen, so, wie Er sie sich selbst darstellen wird.
Die Erwartung des Herrn ist also die Kraft und der Ansporn zur Heiligkeit, was den Zustand unserer Herzen und unseren Wandel anbelangt. Lasst uns daher die inhaltsschweren Worte des Apostels, die diesen Brief beschliessen, in unseren Herzen erwägen: «Er selbst aber, der Gott des Friedens, heilige euch völlig; und euer ganzer Geist und Seele und Leib werde untadelig bewahrt bei der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus. Treu ist er, der euch ruft; er wird es auch tun» (1. Thes 5,23.24).
Wir haben festgestellt, dass die Heiligkeit nicht getrennt werden kann von der Liebe, die deren Ausgangspunkt bildete, noch vom Kommen des Herrn, das ihr Endziel ist. Dieses Kommen beeinflusst gleicherweise auch die anderen christlichen Tugenden wie: Reinheit, Nüchternheit, Gerechtigkeit und Gottseligkeit (1. Joh 3,3; Titus 2,1113). Sie werden in unserem Wandel gefunden werden, wenn wir «die glückselige Hoffnung» erwarten.
Sagen wir noch einige Worte über den Einfluss, den das Kommen des Herrn auf unsere Empfindungen ausübt. Ich spreche nicht von unseren Zuneigungen und unserer Freude, denn diese sind sozusagen ein Bestandteil der Erwartung des Herrn. Ihn kennen heisst, Ihn lieben. Ihn lieben heisst, sich nach Ihm sehnen und sich auf sein Kommen freuen. Aber ich spiele hier an auf das, was uns in Phil 4,5 gesagt ist: «Lasst eure Milde kundwerden allen Menschen; der Herr ist nahe.» Diese Milde ist der Wesenszug eines Menschen, der nicht auf seinen Rechten beharrt. In moralischer Hinsicht hat niemand die Befugnis, meine Rechte anzutasten, sich anzueignen, was mir gehört, mich aus meinem Heim zu verjagen, meine Familie oder meine Freiheit zu rauben. Auch unser Herr hatte Rechte hier auf der Erde: Er war König und dazu geboren, Er konnte die Macht, den Besitz aller Dinge, die höchsten Würden und die Ehrerbietung von allen Menschen für sich beanspruchen. Aber machte Er seine Rechte geltend? Nein! Er liess sich zu Unrecht anklagen. auf gesetzlose Weise richten – und hat keinen Einspruch erhoben. Er liess sich sein Königtum, sein Erbe, seine Würde, seine Freiheit, ja sogar sein Leben rauben – und hat bei alledem seinen Mund nicht aufgetan. Er war wie ein Lamm, das stumm ist vor seinen Scherern.
Und wie handeln wir Christen? – Der schwächste Angriff auf unsere Rechte bringt uns zur Erbitterung. Man fügt uns Unrecht zu, und das erscheint uns so unerträglich, dass wir uns sogar an die weltlichen Gerichte wenden können, um mit unserem Widersacher abzurechnen. Wir vergessen dabei die Ermahnung: «Lasst eure Milde kundwerden allen Menschen.» Oder vielmehr, wir vergessen das Mittel zu deren Verwirklichung: «der Herr ist nahe!» Wie kann ich auf meinen Rechten beharren, wenn ich die nahe, unverzügliche Ankunft des Herrn erwarte? Ich kann sie den Händen der Menschen überlassen, die sie mir rauben. Ich habe Besseres zu erwarten, denn ich werde die himmlische Herrlichkeit mit Ihm teilen. Welche Torheit wäre es, meine Rechte aufrechthalten zu wollen in einer Welt, die ich im nächsten Augenblick verlassen werde! Der Herr wird später in seinem irdischen Reich selber für meine Rechte eintreten, wie auch für seine eigenen. Aber bis dahin kann ich sie ruhig aufgeben, wenn es sein muss; der Feind wird sie mir nicht für lange rauben können.
Der Apostel fügt bei: «Seid um nichts besorgt». Die Erwartung des Herrn lässt mich sowohl meine Rechte aufgeben als auch meine Sorgen ablegen Soll ich mich heute schon von den Umständen beschweren lassen, die morgen eintreten können, oder mich beunruhigen über Hindernisse, die Satan einführt, über den Zustand der Christenheit, über den Verfall des Zeugnisses? Der Geist antwortet: «Seid um nichts besorgt.» Was nützt die Unruhe? Der Herr wird allen diesen Dingen ein Ende setzen. Verwechsle diese Haltung nicht mit Gleichgültigkeit. Der Christ kann am Bösen nicht achtlos vorbeigehen. Aber wir werden ermahnt: «In allem lasst durch Gebet und Flehen mit Danksagung eure Anliegen vor Gott kundwerden.» Die Schwierigkeit, die Sorgen, die Befürchtungen treiben die Seele in die Abhängigkeit, ins Gebet und ins Gottvertrauen. Sie überlässt ihrem Gott alles, und sein Friede bewahrt unser Herz.
Andere Stellen zeigen uns, dass die Hoffnung auf das Kommen des Herrn Trauernden Trost bringt (1. Thes 4,13-18), bestürzten und furchtsamen Herzen Ermunterung (Joh 14,1-3), und dass sie denen, die in Schwierigkeiten sind, Geduld einflösst: «Habt auch ihr Geduld, befestigt eure Herzen, denn die Ankunft des Herrn ist nahe gekommen» (Jak 5,7-8).