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Heiligung und Heiligkeit


1991/  04
Heiligung

Die Heiligung ist eine der vier Gaben, zu denen Christus durch Gott sein Volke gemacht hat.

 Diese vier göttlichen Zuwendungen sind:
 «Weisheit,
Gerechtigkeit,
 Heiligung und
 Erlösung» (1. Kor 1,30).


 Diejenigen, welche die Wahrheit des Bestehens einer zweifachen Natur im Kinde Gottes nicht verstehen,
nehmen an, daß die Heiligung eine fortschreitende Arbeit sei, durch welche die alte Natur fortwährend verbessert wird, bis sie bereit ist für das Erbteil der Heiligen (Geheiligten) im Lichte.

 Das Gegenteil ist aber der Fall. Die Heilige Schrift redet niemals von einer
 «Änderung des Herzens». Dieses ist eine menschliche Redensart.
 Gott spricht von dem Schaffen eines «neuen Herzens», aber nie von einer «Änderung» des alten.

 Wahr ist es, daß das Herz Israels am zukünftigen Tage des Heils vertauscht wird,

- das steinerne Herz mit einem solchen von Fleisch,
 - doch wird selbst dieses Vertauschen keine «Veränderung» des einen in das andere bedeuten.
 Der Heilige Geist spricht nie von seinem Wirken als von einer Verbesserung der alten Natur.

Er sagt im Gegenteil, daß der alte Mensch feindlich gegen Gott sei
(Röm 8,7) und daß er nicht dazu kommen könne, geistliche Dinge zu verstehen; sie sind ihm Torheit (1. Kor 2,14).

Hieraus ergibt sich doch ganz deutlich, daß der natürliche Mensch die Gaben des Geistes Gottes weder «empfangen» noch «erfahren und demnach auch nicht geheiligt werden kann».

Das Fleisch steht immer im Gegensatz zum Geiste, d.h. die alte Natur steht stets im Streit mit dem Geist, welcher nach Gal 5,17 die neue Natur ist.

 Streit ist nicht Heiligung! Ebensowenig besteht das Wirken des Geistes Gottes in unserer neuen Natur darin, daß er etwas zu verbessern sucht, was Er bekämpft. Diejenigen, welche in der Heiligung eine fortschreitende Arbeit sehen, suchen die Ursache des Friedens in einer geheiligten Natur, anstatt sich mit dem Frieden zu befassen, der durch das vollkommene Opfer Christi geschaffen wurde.

Anstatt das für sie vollendete Werk Christi ins Auge zu fassen, werden sie Heiligung und Heiligkeit                                                                  


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 ganz in Anspruch genommen von einer ewig unvollendeten Arbeit in ihnen selbst.

Die Frage ist:
ist Christus oder bin ich meine Heiligung? Der einzige Grund, weshalb unzählige Christen sich mit der fortschreitenden Heiligung befassen, liegt darin, daß sie das eigene Ich vorziehen.

Die Arbeit des Geistes dagegen bewirkt gerade das Gegenteil, - d.h., sie verherrlicht Christum.

 «Er wird mich verherrlichen» waren die Worte des Heilandes (Joh 16,14), und darin finden wir den Maßstab, nach dem wir alles in und um uns prüfen können.

«Aus ihm aber seid Ihr in Christo Jesu, der uns geworden ist... Heiligung». Wie nun Christus uns von Gott gemacht ist zur Heiligung, so ist Er uns auch geworden zur «Gerechtigkeit».
Wie und wann ist dies geschehen? Etwa durch unsere Werke? Durch irgend etwas, was wir tun können? Gerechtigkeit ist ausdrücklich nach der Schrift «für denjenigen da, der nicht mit Werken umgeht» (Röm 4,5).

 Ebenso ist es mit allem, was wir «in Christo» haben. Wie mit der Gerechtigkeit, so muß es auch mit der Heiligung sein.
Von der Gerechtigkeit wird verkündet, daß sie «ohne Werke» sei, jedoch wollen die meisten Christen heutzutage die Heiligung durch ihre Werke erlangen.

 Die Heiligung ist aber auf genau denselben Boden gestellt wie die Gerechtigkeit. Wie das eine, so erlangen wir auch das andere, denn wir erhalten beides aus Christo ... Es muß dem Leser einleuchten, daß wir uns ebensowenig eine eigene Heiligung wie eine eigene Gerechtigkeit erwirken können.

Von der Heiligkeit steht geschrieben:
«ohne welche niemand den Herm schauen wird» (Hebr 12,14). Da steht nicht «ohne einen gewissen Grad von Heiligkeit» - sondem ohne die Heiligkeit selbst. Wie sollen wir sie denn erlangen?

 Antwort: gerade so, wie wir die Gerechtigkeit erlangen, - in Christo! Wir erhalten Christum als Geschenk, durch Gnade und durch Vermächtnis
(2. Kor 5,19);
es ist alles Christus von Anfang bis zu Ende. Wir stehen da in all seiner Vollkommen heit. Für jeden erretteten Sünder gibt es nur eine Stellung, in der es kein Zunehmen mehr gibt, er ist vollkommen.

 Nichts kann hinzugetan, nichts hinfort genommen werden. Unsere Erkenntnis davon, unsere Erfahrung darin und unsere Freude daran kann und wird zunehmen, doch es bleibt die eine selbe Stellung, dieselbe für das schwächste, ärmste, jüngste, einfältigste Kind Gottes, wie für das höchste und erfahrendste.
Dieses ist keine Frage des Wissens, sondern des Lebens. Und dieses Leben ist Christus. In Ihm haben wir eine vollkommene Gerechtigkeit durch Gnade. In Ihm haben wir ebenfalls eine vollkommene Heiligung durch Gnade - gerecht vor Gott, wie Er gerecht ist; heilig vor Gott, wie er heilig ist, da Christus uns zu beiden «gemacht ist» durch Gott.

Beide, Gerechtigkeit und Heiligkeit, sind vollkommen.

So ist das Kind Gottes völlig gerecht und völlig heilig, und seine Stellung ist vollkommen, ewig und unveränderlich, da sie göttlich ist.

 Es ist wahr, unser Wandel ist durch Verfehlungen und Schwächen, Fehler und Sünden befleckt. Dieses ist aber eine ganz andere Sache. Unser Wandel ist ganz zu unterscheiden von unserer Stellung in Christo, und hat auf letztere gar keinen Einfluß.

Fähig «gemacht». Dieses ist die unbeschränkte Wahrheit in bezug auf die gegenwärtige Stellung aller derer, die

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în Christo sind, als Ergebnis Seines ewig vollkommenen Werkes für uns. Und die Beschäftigung mit Ihm und mit dem, wozu uns Gott in Ihm gemacht hat, wird uns veranlassen und ermöglichen, «Seiner Berufung würdig zu wandeln».
Dieses kann nie zustande gebracht werden durch die Beschäftigung mit unserem eigenen Wandel.
Wir leben nicht durch das Studium der Biologie, noch atmen wir durch das Studium der Pneumatik, noch hören wir durch das Studium der Akkustik, noch werden wir warm durch das Studium der Wärmetheorie.
Ebenso wenig können wir wachsen dadurch, daß wir trachten, unserer Gestalt einen Zoll hinzuzufügen, noch unser Leben um ein Jahr verlängern, indem wir darum «Sorge tragen».
 «Wie ist es denn möglich, daß unser Wandel unseres Berufes würdig werde?
 Nur dadurch, daß Christi Wort reichlich in uns wohne, nur indem das Wort auf unsere Herzen Anwendung findet. Daher steht geschrieben:
 «Heilige sie durch die Wahrheit: Dein Wort ist Wahrheit» (Joh 17,17).

Die bestimmte Aufgabe des Heiligen Geistes ist es, diese Worte fortwährend auf uns anzuwenden, daher die Worte:
 «daß Gott euch von Anfang erwählt hat zur Seligkeit in Heiligung des Geistes und im Glauben an die Wahrheit» (2. Thess 2,13).

 Darin liegt jedoch kein Versuch, unseren Wandel zu bessern, aber bei der Beschäftigung damit wird die neue Natur genährt, wächst und wird stark. Hierin wird Wachstum sein; was aber unsere Stellung in Christo betrifft, so ist dieselbe vollkommen, und in Ihm sind wir gerecht und heilig in all Seiner Gerechtigkeit und Heiligkeit.

Der Weg Gottes besser denn der des Menschen.

 Heiligkeit des Lebens und Wandels Seiner Kinder ist der Wille Gottes, wie dieselbe deren eigenes ernstlichstes Verlangen ist oder sein sollte. Der Wille Gottes ist diesbezüglich bestimmt erklärt und offenbart: «Dies ist der Wille Gottes, eure Heiligung» (1. Thess 4,3). Gott hat Seinen Willen oder die Mittel zu dessen Erfüllung nicht dem Zufall überlassen, auch nicht erst der Entdeckung am Ende des 19. Jahrhunderts.

Der Weg Gottes.
Eines der göttlichen Verfahren, Heiligkeit des Lebens zu bewirken, ist: durch «Hoffnung». Diese Hoffnung ist auf eine Person — Christus gesetzt
(1 Joh 3,3).

Sie ist Teil der Grundlage der wahren christlichen Stellung, nämlich: den Sohn Gottes aus den Himmeln zu erwarten (1. Thess 1,9.10).

Und so, ausschauend nach Christo, werden wir notwendigerweise auf Christum sehen und mit Christo beschäftigt sein und hierdurch «in Sein Bild verwandelt». «Wir alle aber, mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend, werden ver wandelt nach demselben Bilde von Herrlichkeit zu Herrlichkeit als durch den Herrn, den Geist» (2. Kor 3,18).

 Da ist keine rastlose Anstrengung,
kein ängstliches Abmühen,
keine geistliche Vielgeschäftigkeit,
keine Beschäftigung

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 mit den «Satzungen der Menschen»,
sondern Beschäftigung des Herzens mit einem himmlischen Gegenstand, was einen himmlischen Charakter und Wandel erzeugt
- und dies durch eine verborgene Umwandlung
- ohne eine Anstrengung! Das ist Gottes einziges, einfaches und zugleich wirksames Verfahren, die Ausführung Seines Willens in denen zu sichern, welche Gott glauben, wie geschrieben steht: Römer 5,12ff; 8,39, und so durch Ihn für gerecht geachtet werden.

Der Weg des Menschen.
Der Mensch hat immer daran gedacht, Gottes Pläne zu verbessern und hat immer gesucht, dies zu tun oder seine eigenen an deren Stelle zu setzen. Wie in der Rechtfertigung (1. Mose 4), so ist in der Heiligung der «Weg Kains» dem «Weg Gottes» entgegengesetzt. Das ist von Anfang an so gewesen und kommt in all den verschiedenen Formen falscher Religion vor. Sie alle sagen: «Ich kann etwas bringen, obschon sie hart darüber disputieren, was das «etwas» sein soll.
Aber daß es «etwas» sein muß, darüber sind alle einig.

Die wahre Religion (= Gottesdienst)  andererseits sagt:
 «Ich kann nichts bringen».
Wie es nun mit der Rechtfertigung sich verhält, so mit der Heiligung. Diejenigen, welche festhalten, daß sie «durch Seine Gnade gerechtfertigt werden», handeln sehr oft so, als ob sie durch den blendenden Irrtum getäuscht worden wären, sie müßten durch Werke geheiligt werden. Während doch Christus uns von Gott gemacht ist zur Heiligung sowohl wie zur Rechtfertigung (1. Kor 1,30),
 und zwar genau auf demselben Weg.

 Indem Gott Sein Volk in Christo gerecht gemacht hat, hat Er demselben nicht nachher überlassen, die Heiligung in sich selbst zu suchen. Die Absicht des Feindes. Er weiß (wenn die Christen es nicht wissen), daß Christus die Quelle aller unserer Stärke und Segnungen ist. Seine einzige Absicht ist daher, das Herz von der Beschäftigung mit Christo abzuhalten. Viele Mittel dienen seinem Zweck; er beschäftigt den Sünder mit seinen Sünden, den Bußfertigen mit seiner Buße, den Gläubigen mit seinem Glauben, den Diener mit seinem Dienst und den Heiligen mit seiner Heiligkeit. Alles, nur nicht Christus.

Viele Seelen werden verwirrt und aufgehalten dadurch, daß sie auf die Beschäftigung mit sich selbst hingelenkt werden. Das ganze System einer falschen Heiligungslehre ist dazu angetan, die Gedanken und die Aufmerksamkeit auf das Ich zu richten, so oft auch der Heilige Geist und Christus genannt werden mag. Was gewünscht wird, ist recht (wir alle wünschen dieselbe

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Gleichförmigkeit mit Christo, dieseibe Absonderung von der Weit, dieselben Gnaden und Gaben, welche Gott in unserem verherriichten Haupte im Himmel aufbewahrt hat für die Bedürfnisse der Glieder hier auf der Erde), aber der eingeschlagene Weg ist nicht der richtige.

Alles fängt hier mit Ich an und den «Bedingungen», welche das Ich erfüllen muß. Alles ist da in den bezeichnenden Worten «wenn» und «wir» enthaiten.
Für uns ist der «vortrefflichere Weg» in 2. Kor 3,18 gegeben: «Wir aile aber, mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend, werden verwandeit nach demseiben Bilde von Herrlich keit zu Herrlichkeit ais durch den Herrn, den Geist (des Herrn)». Als Moses auf den Berg stieg, sah er die Herrlichkeit des Herrn, und ais er herabkam, strahite sein Angesicht dieselbe wieder. Von 1. Joh 3,1 -3 lernen wir, daß das tatsächiiche Sehen des Herrn Jesus uns Ihm wirklich gleich machen wird nach Leib, Seele und Geist. Gerade so werden wir jetzt, indem wir Ihn mit dem Auge des Giaubens anbiicken, verwandelt in Sein Abbild.

Wenn wir mit Christo beschäftigt sind, verwirklichen wir notwendigerweise Christi Gegenwart mehr und können daher nicht anders ais unbewußt Seine Herrlichkeit widerstrahlen. Wenn wir mit einem himmlischen Gegenstand beschäftigt sind, werden wir himmlisch werden. Unser Angesicht, unser Wandel, unser Leben wird glänzen.

 Wir mögen nichts davon sehen, wir mögen es nicht wissen, wir mögen dessen ganz unbewußt sein. Moses selbst sah nicht sein eigenes Angesicht, sondern das Volk sah es. So wird es auch mit uns sein. Nicht irgendeine Form haben wir zu erreichen, nicht ein Gefühl haben wir zu empfinden, nicht irgend eine «Segnung» haben wir zu suchen; nicht eine «Tat des Glaubens» oder eine «Tat der Auslieferung» oder sonst irgend eine eigene «Tat» haben wir zu tun, sondern es ist einfach eine Beschäftigung des Herzens mit Christo in der Herrlichkeit und nicht mit dem Heiligen Geist.

Mit Golgatha und nicht mit Pfingsten sei unsere Beschäftigung. Das große Werk des Heiligen Geistes ist:

Christus zu verherrlichen.

 Der beste Beweis dafür, daß wir «mit dem Geiste erfüllt» sind, ist das, daß wir mit Christo beschäftigt sind. Mit anderen Worten: Das Maß des Erfülltseins mit dem Geist wird durch das Maß, in dem unsere Herzen erfüllt sind von Christo und in Ihm Genüge haben, bekannt werden.

Die Probe darauf ist nicht der Reiz irgend welcher rührender Gefühle, sondern eine Bereitschaft und Bereitwilligkeit, die ganze Lehre des heiligen Wortes Gottes anzunehmen und von ihr geführt zu werden. Wenn wir nicht ganz von Christo eingenommen und befriedigt sind, dann wahrlich ist der gepredigte Jesus «ein anderer Jesus», der empfangene Geist «ein anderer Geist», das angenommene Evangelium ein «anderes Evangelium» (1. Kor 11,3.4).

Es ist eine furchtbare Tatsache, daß es «andere Geister» gibt, weichen es möglich ist, der alten Natur Kraft zu geben, daher die feierlichen Warnungen, vor denselben auf unserer Hut zu sein und sie zu beurteilen oder zu prüfen (1. Tim 4,1; 1. Kor 14,29; 1. Joh 4,1 etc.).

Nun, wie ist denn der «Wille

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  Gottes» zur Sicherung unserer Heiligung geoffenbart worden? «Das Blicken auf Jesum» ist das einfache Mittel zur Erreichung dieses großen Endes, und um das Schauen Seines Volkes auf Christum zu bewirken, hat uns Gott die «glückselige Hoffnung» des Ausschauens nach Christo und des Wartens auf Ihn gegeben, weshalb dieselbe mit Recht «die reinigende Hoffnung» genannt worden ist (1. Joh 3,1-3). Sehr richtig ist oft gesagt worden, daß das Werk des Heiligen Geistes nicht dahin geht, unsere Aufmerksamkeit auf Sein Werk in uns zu richten, sondern auf das Werk Christi für uns. Das ist vollkommene Wahrheit.

«Er wird Mich verherrlichen»

 war Christi eigene Erklärung dessen, was das Werk des Heiligen Geistes kennzeichnet.

 «DAHER»,
 heilige Brüder, Genossen der himmlischen Berufung, betrachtet den Apostel und Hohenpriester unseres Bekenntnisses, Christum Jesum. (Hebr 3,1). Denket an Ihn, blicket unverwandt auf den Herrn Jesus. Betrachtet Ihn, denket nach über Ihn. Euer Geist sei erfüllt von Christo. Macht nicht eure Heiligung zum Gegenstande eurer Betrachtung, zur Aufgabe eures Nachdenkens. Wie steht es nun um Euch? Wünscht Ihr euch selbst schön zu schmücken, oder als Sünder vor Gott zu erscheinen? Wünscht Ihr, von Zeit zu Zeit sagen zu können: Ich habe große Fortschritte gemacht, ich bin nun schon so lange auf dem Lebenswege, ich bin in höheres christliches Leben eingetreten, wie es die Leute nennen?

Wünscht Ihr herrlich zu Gott zu kommen oder Euch selbst zu erniedrigen und die Herrlichkeit dem Lamme, das geschlachtet wurde, zuzuschreiben? Wo sehen wir Christum? Betrachten wir das Bild Christi, wie es hineinscheint in unsere eigenen Herzen, in Bestrebungen, Neigungen, Verhältnisse und Glaubens phasen? Wir werden es dann sehen, strahlend wie die Sonne in unruhigen und trüben Gewässern; das Spiegelbild, das wir dann erblicken, wird unsicher und kaum zu erkennen sein. Tun wir nicht verständiger, auf das Original zu blicken und Jesum zu betrachten in der Herrlichkeit Seiner Vortrefflichkeit, in der Vollkommenheit Seiner Heiligkeit, in der Schönheit, mit welcher Gott Ihn geschmückt hat? Sollten wir nicht aufblicken zu Ihm, der im Himmel sitzt?

Da wir doch wissen sollten, daß wir mit Ihm versetzt sind in die himmlischen Örter und in Ihm vollendet! (Epheser, Kolosser).
Oder sollen wir sagen:
 «Ach, wenn ich nur heiliger, weniger selbstsüchtig, geduldiger wäre? Wenn ich nur mehr von Jesus in mir finden würde!» Oder auch: «Ach könnte ich immer den Mann, der am Kreuze starb, erblicken! Wenn ich immer Jesum sehen könnte, das Lamm Gottes, das geschlachtet wurde! Wenn ich immer dessen eingedenk wäre, daß ich mit einem Preis erkauft bin und daß Er um meiner Übertretungen willen verwundet und um meiner Missetaten willen zerschlagen war». (Jes 53).

Darf ich auch fragen: Warum wünscht Ihr heilig zu sein? Ist es darum, um mehr oder

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weniger abhängig von Christo zu sein? Oder um mehr des Opfers, welches Jesus am Kreuze gebracht hat, zu gedenken, zu erfahren und zu empfinden:

«Da ich dir nichts bringen kann.
 Schmieg ich an dein Kreuz mich an»?


Habt Ihr nicht selbst schon gefunden, daß zuweilen, wenn Ihr der Versuchung nachgegeben habt und in die Sünde gefallen seid, welche Ihr zu vermeiden wünschtet - wenn Ihr über dieselbe Schwierigkeit straucheltet wie zuvor, daß da ein Gefühl des Mißtrauens, Verdrusses und der Verzagtheit über Euch kam
 — ein Gefühl verwundeten Stolzes und Eitelkeit, von Ungeduld und Erregung
— und dann spricht: «Ich mache keine Fortschritte; es ist wirklich traurig mit mir, ich falle immer wieder in denselben niederen Zustand zurück.»

Wenn Ihr dann durch die Tiefe der Selbsterniedrigung und Demütigung wieder zu Gott gebracht worden seid, und keinen Wechsel in Ihm gefunden habt, sondern dieselbe Liebe, dasselbe hohepriesterliche Mitleid und dieselbe Gnade, denselben Tröster, geduldig und freundlich, habt Ihr dann nicht entdeckt, daß in Euren besten Augenblicken, sowohl als in Euren schlimmsten Ihr ausschließlich und gänzlich von der Gnade Gottes abhängig seid, welche den größten Sünder errettet? Tatsache ist, Ihr werdet nur durch die Gnade bestehen, durch das Blut, vergossen für gemeine Sünder. Wie sehr tut es not, eben die Schlinge der gepflegten Eitelkeit und des Eigennutzes in unserer Heiligung zu vermeiden. Wie sind wir geneigt, einen Heiland des eigenen Ichs zu machen! Wir sind besorgt und beunruhigt über die nicht schriftgemäße Meinung, das Leben des Christen betreffend, von der wir hören. Wodurch war das Kreuz Christi in der römischen Kirche so viele Jahrhunderte hindurch kraftlos gemacht worden? Dort wollten sie Christi Errettung nicht mißachten oder venwerfen und Christum wirkungslos machen. Stellt Euch nicht vor, daß die schmerzlichen Irrtümer und Ketzereien in einer schlechten und gottlosen Absicht begangen sind.

Wie sah es aus in der Kirche Roms einige Jahrhunderte zurück? Christus war in den Hintergrund gestellt worden!

Die Reformatoren hatten sehr tief zu graben und einen großen Haufen Schutt, der sich angesammelt hatte, wegzuschaffen; das Gold und Silber und die köstlichen Steine lagen begraben unter Holz, Heu und Stoppeln, bis sie endlich den Christus fanden, in welchem allein der Sünder sich freuen kann. Betrachten wir die Theologie eines Buches, wie zum Beispiel das des Thomas a Kempis, in dem vieles Vortreffliche enthalten ist, aber das an dem Grundirrtum des Nichtunterscheidens des Christus für uns und des Christus in uns leidet. Diese guten Männer fingen damit an, ausschließlich an Christus in sich zu denken. All ihre Aufmerksamkeit war auf diese Seite der Wahrheit gerichtet. Sie sagten: Tatsache ist, Christus starb für uns; aber dabei müssen wir nicht stehen bleiben, sondern weiter gehen und nur so weit, als wir Christus in uns verwirk lichen, haben wir Ruhe und Frieden. Durch dieses gutgemeinte Hervorheben



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des Christus In uns, vergaßen sie Christus für uns. Sie sahen, daß ein schein heiliger und oberflächlicher Glaube an das Verdienst Christi eine tote Sache war, welcher keine Frucht brachte, welcher keinen Sieg über die Sünde und die Welt gewann. Sie gingen deshalb darauf aus, Leben und Kraft sehen zu wollen.

Darüber waren sie aber nicht klar, daß unsere ganze Kraft, Frieden und Leben in dem Christus sind, der für uns starb, in dem wir die Vollkommenheit haben. Schauend auf ihre Liebe zu Jesus, auf ihre Nachahmung Seines vollkommenen Beispiels, auf ihre Ähnlichkeit mit seinem heiligen Bilde, konnten sie nie wahren, vollkommenen Frieden haben; gleichwie ein Christ nie den Trost verliert, es sei denn, daß er die Ordnung und das Wesen des Evangeliums verläßt, indem er wegblickt von der vollkommenen Gerechtigkeit Christi und auf seine eigene sieht. Dadurch erreicht er, daß er seine Heiligung aufstellt, um auf dieselbe zu blicken, den allerschlimmsten Abgott, welcher schließlich seine Furcht und Zweifel bestärken wird, obgleich dieser am Anfang seinen Gefühlen schmei cheln und seine Einbildung befriedigen mag. Der junge Christ ist besonders geneigt, in Irrtum zu fallen.

Nach seinem ersten Eifer und seiner ersten Liebe, nach dem Frühling und Anbruch seines geistlichen Lebens, wenn er voll Lob und Dank ist, wenn sein Gebet inbrünstig, die Freude und der Lobpreis überfließen, wenn die Liebe zum Heilande heiß ist, wenn es ihm eine Erquickung scheint, für Christus zu wirken, dann folgt gewöhnlich eine Zeit der Schwachheit und Dunkelheit, wo er zu der schmerzlichen, aber heilsamen Erfahrung gebracht wird, daß auch noch nach seiner Erneuerung der alte Mensch, das Fleisch, Feindschaft gegen den Geist ist und daß unsere Allgenugsamkeit in Gott ist. Nun ist es an ihm, in das Tal der Demütigung tiefer hineinzutreten, die Kostbarkeit und Notwendigkeit der Reinigung des Blutes Christi klarer zu sehen, mehr von Herzen und mit größerer Zerknirschung alle Herrlichkeit dem Gott des Heils zu geben. Gleichwohl wird er versucht, den Weg vorzuziehen, auf dem Fortschritt, Sieg, Kraft und Schönheit zu sein scheinen; während Gottes Heilige sagen:

Christus muß wachsen, ich muß abnehmen.
Christus ist anmutig, ich bin schwarz.
Christus ist stark, ich bin schwach.
In Christo ist alles gut, in mir, d.i. in meinem Fleische, wohnt nichts Gutes.

Die Heiligen Gottes finden, daß sie, anstatt von einer Stufe der Vollkommenheit zur anderen fortzuschreiten, in sich selbst täglich mehr von der Sünde entdekken, welche überaus sündig ist; sie sehen, daß sie selbst abscheulich sind und klammern sich mit der ganzen Kraft des Glaubens an Jesus, welcher zu ihnen sagt: «Meine Gnade ist hinreichend für dich». Sie sind errettet durch Gnade, sie kennen nur Christus als ihre Gerechtigkeit und Vollkommenheit; selbst noch am Ende ihrer Arbeiten und Leiden ergreifen sie das teuere, aller Annahme werte Wort: «daß Christus Jesus in die Welt gekommen ist, Sünder zu erretten, von


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welchem ich der erste bin», (1. Tim 1,15).

Bleibet in dem Herrn und in Ihm allein, betrachtet den Apostel und großen Hohenpriester, Christum Jesum. Setzet Euer Vertrauen nur auf das geschlachtete Lamm und habt Eure Freude nur an Ihm. Rufet Jehova an, Jehova unsere Gerechtigkeit. Tag für Tag seid Ihr eine Bürde Jesu, und Seine Gnade allein hält Euch aufrecht, indem Ihr nur in Seiner Vollkommenheit besteht. Nirgends werdet Ihr diese sonst haben. Indem Ihr auf Ihn schauet, werdet Ihr mit Geduld den vor Euch liegenden Wettlauf vollenden. Ihr werdet kämpfen den guten Kampf des Glaubens, Ihr werdet täglich den alten Menschen für gekreuzigt halten (Rom 6,5-11; 8,3-7; Gal 5,24), welcher bis zu unserem letzten Atemzug Feindschaft gegen Gott ist. Ihr werdet kein Vertrauen auf das Fleisch setzen, sondern Euch in Christo Jesu erfreuen. Euer Leben wird mit Ihm in Gott verborgen sein.

Zuletzt wird Christus Seine Erlösten tadellos darstellen nach Leib, Seele und Geist. Dann werden wir Ihm gleich sein; dann werden wir keinen Widerstreit und keine Sünde mehr haben! Treu ist Der, welcher es verheißen hat. Er wird es auch vollenden!


Der Autor:
E.W. Bullinger (1837-1913) D. D. war anglikanischer Pfarrer, Sekretär der »Trinitarian Bible Society»
und Herausgeber der Monatszeitschrift «Things To Come».
 Auch schrieb er mehrere Bücher und zahlreiche Taschenbücher, von denen ihn viele als ernsthaften Gelehrten zeigen.

Für Werke wie «Figures of Speech Used in the Bible»
(«In der Bibel verwendete Redefiguren», zuletzt erschienen bei: Baker Book House, Grand Rapids, Michigan 1974, Nachdruck der Ausgabe von 1898) ist Bullinger sehr bekannt; andere sind (in Auswahl):
Deutsch: «Heiligung und Heiligkeit»,
«Die zwei Naturen im Kinde Gottes»,
«Das Geheimnis»,
 «Tüchtig gemacht»,
 «Der Schuldige mitnichten unschuldig »

. Englisch: «A Critical Lexicon and Concordance to the English and Greek Testament», «The Apokalypse», «The Giver and His Gift or: The Holy Spirit and His Work» (1907; Vorkommen und Gebrauch des Wortes pneuma im NT, jeweils mit Auslegung der385 Stellen, in denen es steht), «The Great Cioud of Witnesses», «The Vision of isaiah» (zeigt Struktur, Blickwinkel, Einheit und Zusammenhang des Propheten, widerlegt kritische Theorien), «The Structure of the Two Epistles to the Thessalonians» (anschauliche Übersicht), «The Spirits in Prisen» (Auslegung von 1. Petr 3, 17 bis 4, 6 unter Berücksichtigung des gesamten Briefs; 4 Auflagen), «Christ's Prophetic Teaching in Relation to the Divine Order of His Words and Works» (5 Auflagen), «The Oldest Lessen In the World», «The Names and Order' of the Book ofthe Old Testament According to the Hebrew Canon», «The Knowledge of God» (1907), «The Lord's Day: Is it a Day ofthe Week?» (Vortrag, der sich auf Offb 1,10 bezieht und 1906 in London gehalten wurde), «The Transfiguration: the HistoricalInterpretation...», 'Sheol' and'Hades'. TheBiblicalMeaningandUsageofthese Words», «The Importance ofAccuracy in the Study of Holy Scripture» (9 Auflagen), «The Lord's Prayer»,

Siehe auch:
The Companion Bible      Appendix