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Jakobus Walvoord

Jakobus (J. Ronald Blue)


EINFÜHRUNG

Wenige Schriften des biblischen Kanons waren so umstritten wie der Jakobusbrief. Es gab Debatten über seine Verfasserschaft, seine Datierung, die Empfänger des Briefes, seine Kanonizität und seine Einheitlichkeit.

Auch Martin Luther hatte Probleme mit dem Jakobusbrief. Er bezeichnete ihn als "stroherne Epistel". Dabei ist das Schreiben mindestens ebenso brisant wie "strohern". Immerhin stecken in diesem Heuhaufen genügend Nadeln, um das Gewissen eines jeden stumpf und müde gewordenen Christen wieder aufzustacheln. Ja, wir haben es im Gegenteil mit einer äußerst "anregenden Epistel" zu tun, die mahnt und ermutigt, herausfordert und überzeugt, tadelt und aufrichtet, den praktischen Weg der Heiligung beschreibt und die Gläubigen zum Ziel eines tätigen Glaubens hinführt. Der Jakobusbrief ist kompromißlos ethisch und erfrischend praktisch zugleich.

Zu den allgemeinen Briefen zählend ist er wie die Petrusbriefe, die Johannesbriefe und der Judasbrief als Enzyklika konzipiert, die sich nicht an bestimmte Gemeinden oder Personen richtet, sondern an ein breiteres Publikum von Gläubigen. Die Lehraussagen dieser allgemeinen Briefe stellen eine Ergänzung zur paulinischen Theologie dar: Paulus stellt die Bedeutung des Glaubens in den Vordergrund, Jakobus legt großes Gewicht auf das Verhalten, Petrus wiederum betont die Hoffnung, Johannes die Liebe und Judas die Reinheit.


Jakobus

Verfasserfrage

Der Autor des Jakobusbriefes ist nur schwer auszumachen. Das Neue Testament erwähnt mindestens vier Männer, die den Namen Jakobus tragen: (1) den Sohn des Zebedäus und Bruder des Jüngers Johannes ( Mk 1,19 ), (2) den Sohn des Alphäus ( Mk 3,18 ), (3) den Vater des Judas (nicht des Iskariot; Lk 6,16 ) und (4) den Halbbruder Jesu ( Gal 1,19 ). Wer von den Genannten schrieb den Jakobusbrief?

Jakobus, der Sohn des Zebedäus, scheidet als Verfasser aus, weil er bereits unter Herodes Agrippa I. den Märtyrertod erlitt, noch bevor der vorliegende Brief entstand ( Apg 12,2 ).

Es mutet auch unwahrscheinlich an, daß der wenig bekannte Sohn des Alphäus den Brief geschrieben haben soll, auch wenn, besonders auf römisch-katholischer Seite, der Sohn des Alphäus zum Teil mit dem Herrenbruder gleichgesetzt wird. Nach Ansicht dieser Wissenschaftler war Jakobus in Wirklichkeit der Vetter Jesu durch Maria, die Frau des Kleopas (Alphäus) und Schwester der Jungfrau Maria. Diese Behauptung verbietet allerdings eine wörtliche Auslegung des Begriffes "Bruder" und ist eindeutig ein Versuch, den Gedanken der dauernden Jungfräulichkeit der Mutter Jesu zu stützen. Dagegen scheint aus der Schrift klar hervorzugehen, daß aus der Verbindung von Josef und Maria nach der Jungfrauengeburt des Herrn Jesus Christus noch Kinder hervorgingen. Jesus wird als Marias "erster Sohn" ( Lk 2,7 ) bezeichnet, eine Feststellung die bereits impliziert, daß sie danach noch weitere Kinder bekam. Die Schrift hält außerdem fest, daß Josef Maria nicht "berührte", d. h., daß er die Ehe körperlich nicht mit ihr vollzogen hatte, "bis" ( heOs ) zur Geburt Jesu ( Mt 1,25 ). Darüber hinaus enthalten die Evangelienberichte verschiedene Hinweise auf die Halbbrüder des Herrn, und vier seiner Brüder werden sogar namentlich erwähnt: Jakobus, Josef, Simon und Judas ( Mt 13,55 ).

Jakobus, der Vater des Judas (nicht des Iskariot) war in keiner Weise eine herausragende Gestalt der frühen Kirche und kommt daher ebenfalls kaum als Verfasser des Jakobusbriefes in Frage.

Auf diesem Hintergrund scheint es logisch, daß Jakobus, der Halbbruder des Herrn, der später ein anerkannter Leiter der Jerusalemer Gemeinde wurde, den Brief geschrieben hat. Diese Schlußfolgerung wird noch gestützt durch den autoritativen Ton des Schreibens und die auffallenden Ähnlichkeiten im Griechischen zwischen dem Jakobusbrief und der Rede des Jakobus in Apg 15 .

Obwohl Jakobus mit Jesus zusammen aufwuchs, kam er offensichtlich erst nach der Auferstehung Christi zum Glauben. So heißt es noch im Johannesevangelium: "Denn auch seine Brüder glaubten nicht an ihn" ( Joh 7,5 ).

Vielleicht wurde Jakobus durch die Begegnung mit dem Auferstandenen zum rettenden Glauben bekehrt. Christus war "gesehen worden von Jakobus, danach von allen Aposteln" ( 1Kor 15,7 ). Später rechnet Paulus Jakobus zusammen mit Petrus und Johannes zu den sogenannten "Säulen" der Kirche ( Gal 2,9 ).

Die wichtigsten Belege für die Verfasserschaft des Jakobusbriefes deuten also am ehesten auf den Halbbruder Christi. Diese Auffassung wird auch von Origenes, Eusebius, Kyril von Jerusalem, Athanasius, Augustinus und zahlreichen anderen frühchristlichen Autoren gestützt.


Datierung

Die Datierung des Briefes hängt damit zusammen, von wem er geschrieben wurde. Manche Wissenschaftler leugnen die Verfasserschaft des Herrenbruders wegen des exzellenten Griechisch, in dem das Schreiben abgefaßt ist. Sie setzen seine Entstehung in der Zeit zwischen den Jahren 80 und 150 n. Chr. an. Für diese Datierung gibt es allerdings kaum genügend Belege. Jakobus war offensichtlich ein begabter Galiläer, der sowohl des Aramäischen als auch des Griechischen mächtig war.

Flavius Josephus, der Chronist des 1. Jahrhunderts, berichtet, daß Jakobus im Jahre 62 n. Chr. den Märtyrertod starb. Der Jakobusbrief muß also vor diesem Zeitpunkt geschrieben worden sein. Da in dem Schreiben an keiner Stelle die Rede vom Apostelkonzil (49 n. Chr.) ist, bei dem Jakobus eine so wichtige Rolle spielte, ist anzunehmen, daß es zwischen den Jahren 45 und 48 n. Chr. entstand.

Der Jakobusbrief ist wahrscheinlich das älteste Buch des Neuen Testaments, weshalb er auch kaum als eine Polemik gegen den Brief des Apostels Paulus an die Römer betrachtet werden kann. Der Römerbrief wiederum ist sicherlich keine Gegendarstellung zum Jakobusbrief. Aus dem Verhältnis des Paulus zu Jakobus ( Apg 15,13; Apg 21,18 ) und seiner Anerkennung des Jakobus ( Gal 1,19;2,9.12 ) wird vielmehr deutlich, daß Paulus den Herrenbruder sehr hochschätzte. Wenn man die Lehre des Paulus und die des Jakobus zusammenfaßt, so erhält man das ganze Spektrum des Glaubens. Während Paulus über den inneren Weg des rettenden Glaubens aus der Sicht Gottes schrieb, legte Jakobus dar, wie der äußerliche, sichtbar werdende Dienst des Glaubens aus der Sicht des Menschen auszusehen hat. Die Saat des rettenden Glaubens findet ihre Bestätigung in der greifbaren Frucht des dienenden Glaubens. Jakobus konzentriert sich ganz auf die Wirksamkeit des biblischen Glaubens.


Jakobus

Adressaten

Der Jakobusbrief, der sich "an die zwölf Stämme in der Zerstreuung" ( Jak 1,1 ) richtet, trägt eindeutig jüdische Züge. Das Schreiben hat den Inhalt und die Autorität prophetischer Aussagen aus dem Alten Testament und erinnert im Stil und in der literarischen Ausformung an die Psalmen. Es nimmt Bezug auf die "Erstlinge" ( Jak 1,18; vgl. 3Mo 23,10 ), die Synagoge oder "Versammlung" ( Jak 2,2 ), "Abraham, unseren Vater" ( Jak 2,21 ), die "Gehenna" oder "Hölle" ( Jak 3,6 ), den "Herrn Zebaoth" ( Jak 5,4; vgl. 1Mo 17,1 ) und auf das Frühere und das Spätere oder "den Frühregen und Spätregen" ( Jak 5,7; vgl. 5Mo 11,14 ). Manche Exegeten gehen zwar davon aus, daß die "zwölf Stämme" bildlich für die Kirche der Heiden, die im ganzen Römischen Reich verstreut ist, gemeint sei, doch es erscheint plausibler, diese Äußerung wörtlich zu nehmen. Der Brief ist eindeutig für einen jüdischen Kreis bestimmt. Auch wenn er eine gute griechische Diktion aufweist, so steckt er doch voller hebräischer Symbolismen.

Es könnte sein, daß Petrus an die Judenchristen, die verstreut im Westen des Reiches lebten, schrieb (vgl. 1Pet 1,1 ) und daß Jakobus sich an die Judenchristen im Osten, in Babylon und Mesopotamien, wandte.


Kanonizität


Interessanterweise fehlt der Jakobusbrief in einigen frühen Versionen und Sammlungen der Heiligen Schrift. Die früheste Sammlung, die wir kennen, der Kanon Muratori aus dem 2. Jahrhundert, enthält weder den Hebräerbrief noch den Jakobus- und die Petrusbriefe. Erst seit dem 4. und 5. Jahrhundert ist der Jakobusbrief dauernd in den Kanon aufgenommen. Offensichtlich wurde die Kanonizität des Briefes von den Gemeinden in Rom und Karthago angezweifelt, während er in den Gemeinden von Jerusalem und Alexandria von Anfang an in Umlauf war und in die Schriftensammlungen in Kleinasien aufgenommen wurde. Der Grund dafür liegt auf der Hand. Da der Brief in Jerusalem geschrieben wurde und sich an Juden in der östlichen Diaspora wandte, waren die Christen der westlichen Welt weniger bereit, ihn als Teil der Heiligen Schrift zu akzeptieren. Die Entstehung des Kanons und seine Akzeptanz und Autorität war jedoch zweifellos ein Prozeß, der sich unter der Führung und dem Eingreifen Gottes vollzog.


Stil


Der Jakobusbrief ist ebensosehr eine Vorlesung, wie er ein Brief ist. Er wird zwar mit der üblichen brieflichen Grußformel eröffnet, enthält aber keinerlei persönliche Anspielungen, wie sie normalerweise in einem Brief vorkommen, und endet auch nicht mit einer Segensformel.

Offensichtlich war diese "Enzyklika" dafür konzipiert, als Predigt vor den Adressatengemeinden verlesen zu werden. Der Ton des Schreibens ist autoritativ, aber nicht autoritär. Immerhin enthält der Jakobusbrief in seinen hundertacht Versen vierundfünfzig Imperative - so daß also durchschnittlich gerechnet jedem Vers eine Aufforderung zugeordnet ist.

Der Stil des Briefes ist energisch und lebendig und vermittelt in einer knappen, treffenden Sprache wichtige Wahrheiten. Die Sätze sind kurz, einfach und direkt. Viele der Metaphern und Vergleiche haben einen fast poetischen Klang. Letztlich enthält der Jakobusbrief mehr Redewendungen, Analogien und Bilder aus der Natur (vgl. die Tabelle S. 416) als alle Paulusbriefe zusammen. Ermahnungen, rhetorische Fragen und Beispiele aus dem täglichen Leben verleihen diesem kurzen Text seine besondere Würze.

Eine wichtige literarische Technik, die vom Verfasser des Jakobusbriefes häufig benutzt wird, ist die Verbindung von Aussagen und Sätzen durch die Wiederholung eines bestimmten Leitwortes oder ihm verwandter Begriffe; z. B. "Geduld" in Jak 1,3.4 ,"kein Mangel" in Jak 1,4 und "wenn es mangelt" in Jak 1,5 ,"so bitte er" in Jak 1,5 und "er bitte aber" in Jak 1,6 ,"er zweifle nicht" und "denn wer zweifelt" in Vers 6 . (Weitere Beispiele siehe W. Graham Scroggie, Know Your Bible , 2 Bände. London, o.J., 2,293.)

Neben diesem besonderen und einmaligen stilistischen Kunstgriff führt Jakobus ungewöhnlich viele Verweise auf andere Schriften an. Er bezieht sich auf Abraham, Rahab, Hiob, Elia, auf das Gesetz und die Zehn Gebote und spielt auf Passagen in einundzwanzig alttestamentlichen Büchern an: von denfünf Büchern Mose über Josua, 1. Könige, die Psalmen, die Sprüche, den Prediger Salomo bis hin zu Jesaja, Jeremia, Hesekiel, Daniel und sieben der zwölf Kleinen Propheten.

Die Lehraussagen des Jakobus erinnern in vielem an die Johannes des Täufers (z. B. vgl. Jak 1,22.27 mit Mt 3,8; Jak 2,15-16 mit Lk 3,11; Jak 2,19-20 mit Mt 3,9; Jak 5,1-6 mit Mt 3,10-12 ). Wahrscheinlich hatte er, wie Petrus, Johannes und Andreas, den Täufer persönlich predigen gehört. Darüber hinaus gibt es verblüffende Parallelen zwischen dem Jakobusbrief und der Bergpredigt in Mt 5-7 (vgl. die Tabelle S. 417). Jakobus zitiert die Herrenworte aber nicht bis ins einzelne, sondern hat seine Lehren offensichtlich so verinnerlicht, daß er ihnen nun eine geistliche Aussagekraft verleihen kann.

In seiner expressiven Abruptheit und sprachgewaltigen Schmucklosigkeit steht der Jakobusbrief als literarisches Meisterstück einzig da. Er ist ein gleichermaßen bunter und leidenschaftlicher Text und verbindet die rhythmische Schönheit mit der strengen Intensität des Hebräischen. Der Jakobusbrief ist ein Schreiben von höchster Ausdruckskraft und enormer Wirkung auf den Leser.

 



Einheitlichkeit


Die angebliche Uneinheitlichkeit des Jakobusbriefes hat vor allem anderen zu Zweifeln an diesem Text geführt. Manche Exegeten sind der Ansicht, daß das Schreiben eine lockere literarische Form wie die hebräische Weisheitsliteratur etwa vom Typ der Sprüche aufweist. Nach Aussage von Leslie C. Mitton steckt "kein erkennbares Schema in dem Brief" ( The Epistle of James , S. 235). Ein anderer stellt fest, daß der Brief "nicht so sehr einen zusammenhängenden Gedankengang darstellt als vielmehr eine Reihe sentenzartiger Aussprüche, die um bestimmte ständig wiederkehrende Themen angeordnet sind" (Frank E. Gaebelein, The Practical Epistle of James ,S. 14). "Fehlende gedankliche Folgerichtigkeit" (Martin Dibelius, A Commentary on the Epistle of James , Philadelphia 1976, S. 1), "eine Reihe nur lose verbundener Paragraphen" (Clayton K. Harrop, The Letter of James , S. 14) und "insgesamt formlos und unsystematisch" (E. H. Plumptre, The General Epistle of St. James , S. 43) sind andere Formulierungen, die die Schwierigkeiten der Exegeten mit dem Jakobusbrief spiegeln. Dabei besteht gar kein Anlaß zur Irritation. Vielmehr zeigt der Brief eine bemerkenswerte Einheit und eine klare Zielsetzung.

Das Anliegen dieses kraftvollen Briefes ist es, die ersten Christen zu christlicher Reife und Heiligung ihres Lebens zu ermahnen. Er befaßt sich stärker mit der Praxis des christlichen Glaubens als mit seinen Voraussetzungen. Jakobus teilt seinen Lesern mit, wie sie durch ein festes Beharren, barmherzigen Dienst, gewissenhafte Rede, reuige Unterwerfung und gegenseitige Fürsorge zu geistlicher Reife gelangen können. Er geht dabei auf jedes Gebiet des christlichen Lebens ein: Was der Christ ist, was er tut, was er sagt, was er fühlt und was er hat.

Mit dieser zugegebenermaßen strengen Lektion zur praktischen Heiligung zeigt Jakobus, wie der christliche Glaube und die christliche Liebe sich in den verschiedensten Situationen bewähren sollen. Die scheinbar unverbundenen Teile des Briefes lassen sich im Lichtedieses einheitlichen Grundthemas ohne weiteres zusammenführen. Der Jakobusbrief ist mehr als nur ein paar verstreute Perlen, die der Leser sich erst mühsam zusammensuchen muß; er ist ein kunstvoll zusammengesetztes Geschmeide von außergewöhnlicher Schönheit.




GLIEDERUNG


I. Seid standhaft ( Kap.1 )

     A. Grußwort ( 1,1 )
     B. Freude in Anfechtungen ( 1,2-12 )
          1. Die inner Haltung in Anfechtungen ( 1,2 )
          2. Der Nutzen von Anfechtungen ( 1,3-4 )
          3. Hilfe in Anfechtungen ( 1,5-12 )

     C. Widerstand in tödlicher Versuchung ( 1,13-18 )
          1. Die Quelle der Versuchung ( 1,13-14 )
          2. Der Prozeß der Versuchung ( 1,15-16 )
          3. Die Erlösung der Versuchung ( 1,17-18 )

     D. Ruhe in der göttlichen Wahrheit ( 1,19-27 )
          1. Die Aufnahmebereitscgaft für das Wort ( 1,19-21 )
          2. Die Antwort auf das wort ( 1,22-25 )
          3. Ergebung in das Wort ( 1,26-27 )

II. Dient barmherzing ( Kap.2 )

     A. Annahme anderer ( 2,1-13 )
          1. Höflichkeit gegenüber allen ( 2,1-4 )
          2. Barmherzigkeit für alle ( 2,5-9 )
          3. Zuverlässigkeit in allem ( 2,10-13 )

     B. Hilfe für andere ( 2,14-26 )
          1. Der Ausdruck des wahren Glaubens ( 2,14-17 )
          2. Der Beweis des wahren Glaubens ( 2,18-20 )
          3. Beispiele für wahren Glauben ( 2,21-26 )

III. Hütet eure Zunge ( Kap.3 )

     A. Selbstbeherrschung in der Rede ( 3,1-12 )
          1. Die Zunge ist ein mächtiges Instrument ( 3,1-5 )
          2. Die Zunge ist ein Instrument der Verderbtheit ( 3,6-8 )
          3. Die Zunge ist ein unreines Insturment ( 3,9-12 )

     B. Rechte Gesinnung ( 3,13-18 )
          1. Die Weischeit ist demütig ( 3,13 )
          2. Die Weischeit ist großzügig ( 3,14-16 )
          3. Die Weischeit ist friedfertig ( 3,17-18 )

IV. Zeigt Reue ( Kap.4 )

     A. Wandlung von Haß in Demut ( 4,1-6 )
          1. Die Ursache des Konflikts ( 4,1-2 )
          2. Die Folgen des Konflikts ( 4,3-4 )
          3. Die Beilegung des Konflikts ( 4,5-6 )

     B. Wandlung von Ungerechtigkeit ( 4,7-12 )
          1. Aufforderung zur Gerechtigkeit ( 4,7-9 )
          2. Der Nutzen der Gerechtigkeit ( 4,10-11 )
          3. Der Urheber der Gerechtigkeit ( 4,12 )

     C. Wandlung von Selbstüberhebung in Glauben ( 4,13-17 )
          1. Die Selbstüberhebung ( 4,13 )
          2. Die Achtung der Selbstüberhebung ( 4,14 )
          3. Die Auflösung der Selbstüberhebung ( 4,15-17 )

V. Sorgt füreinander ( Kap.5 )

     A. Gemeinsamer Besitz ( 5,1-6 )
          1. Das Elend des Reichtums ( 5,1 )
          2. Die verderbliche Wirkung des Reichtums ( 5,2-3 )
          3. Die Verurteilung des Reichtums ( 5,4-6 )

     B. Mahnung zur Geduld ( 5,7-12 )
          1. Das Wesen der Geduld ( 5,7-9 )
          2. Beispiele für Geduld ( 5,10-11 )
          3. Der Erweis der Geduld ( 5,12 )

     C. Gemeinsames Beten ( 5,13-20 )
          1. Aufmerksamkeit für die Nöte der Gläubigen ( 5,13 )
          2. Hilfe für die Nöte der Gläubigen ( 5,14-18 )
          3. Die Bedeutung der Nöte der Gläubigen ( 5,19-20 )

Jakobus

AUSLEGUNG


I. Seid standhaft
( Jak 1 )


A. Grußwort
(
1,1 )


Jak 1,1


Der Brief beginnt mit einer konventionellen Eröffnung: der Name des Verfassers und der Adressaten wird genannt, und die Adressaten werden gegrüßt. Diese kurze Einleitung genügte Jakobus.

Auch was seine Selbstdarstellung angeht, ist er sehr bescheiden. Er weist weder auf seine Stellung innerhalb der Gemeinde noch auf die Tatsache, daß er ein Bruder von Jesus ist, hin. Das Fehlen aller Titel scheint anzudeuten, daß er seiner Leserschaft gut bekannt war und die Autorität genoß, die für die Abfassung eines solchen Briefes erforderlich war.

Jakobus (gr.: I akObos , hebr. yaZXqOB ) bezeichnet sich einfach als Knecht ( doulos , "Sklave") Gottes und des Herrn Jesus Christus . Er betrachtet sich als "Eigentum" Gottes und des Mannes, den er "Bruder" nennen konnte, des Herrn Jesus Christus. Jakobus erkennt die Gottheit Christi offensichtlich an, denn er setzt ihn mit Gott gleich. Nicht umsonst gebraucht er auch den vollen Titel Jesu, "der Herr Jesus Christus". "Jesus" heißt "Retter" und "Christus" ist das griechische Wort für "Messias", "Gesalbter". Der ewige "Herr" wurde zum Retter, "Jesus", der als ewiger Herrscher, "Christus", auferstanden ist. Der Herr der Herren ist der König der Könige ( 1Tim 6,15; Offb 17,14; 19,16 ).

Der Brief ist an die zwölf Stämme in der Zerstreuung gerichtet. Jakobus wendet sich also an die fern von ihrer Heimat lebenden Juden. Der Terminus technicus für "Zerstreuung" ( diaspora ) kommt nur noch an zwei anderen Stellen im Neuen Testament vor ( Joh 7,35; 1Pet 1,1 ). Er bezieht sich auf die Juden, die im Exil unter den Heiden lebten, wie es einst ihre Vorfahren in der Gefangenschaft getan hatten. Auch wenn die zwölf Stämme Israel verstreut leben, so sind sie doch nie verloren. Am Ende der biblischen Geschichte, im Buch der Offenbarung, werden sie noch einmal alle genannt: Juda, Ruben, Gad, Asser, Naftali, Manasse, Simeon, Levi, Issachar, Sebulon, Josef und Benjamin ( Offb 7,5-8; vgl. Offb 21,12 ).

Die idiomatische Wendung "Gruß zuvor" , die in tausenden erhaltener antiker Briefe vorkommt, steht in den anderen neutestamentlichen Briefen nie allein (vgl. den Kommentar zu 2Joh 1,10-11 ). Interessanterweise fügt Jakobus in seinem Schreiben nicht noch die jüdische Grußformel "Friede" ( SAlNm ) hinzu. Der Apostel Paulus z. B. gebrauchte meistens sowohl den griechischen als auch den hebräischen Gruß (in der Übersetzung: "Gnade und Friede"). Zweifellos wollte Jakobus, obwohl er an Juden schrieb, nicht von seinem knappen Stil und der schlichten Eleganz eines guten Griechisch abweichen. Außerdem kommt auf diese Weise das Wortspiel zwischen "Gruß" ( chairein ) in Jak 1,1 und "Freude" ( charan ) in Vers 2 besser zur Geltung.

Um Reife im christlichen Glauben und einen heiligen Lebenswandel zu erreichen, ist es unabdingbar, auf festem Grund zu stehen. Der Gläubige muß in der Lage sein, vertrauensvoll auszuharren, und darf sich nicht von Anfechtungen niederwerfen oder von Versuchungen verführen lassen. "Nur nicht nachlassen" muß seine Maxime sein. Wie schafft er das? Indem er dem Wort Gottes folgt, auf dieses Wort hört und es in die Tat umsetzt. Anfechtungen von außen und Versuchungen von innen können einem Christen, der in der göttlichen Wahrheit feststeht, nichts anhaben.


Jakobus

B. Freude in Anfechtungen
(
1,2 - 12 )

Nur allzuoft führen Anfechtungen zu Jammern und Wehklagen. Eine solche Reaktion verträgt sich nicht mit christlicher Reife, ja sie verschlimmert die Situation nur. Anfechtungen sind aus christlicher Sicht keine Bedrängnisse, sondern Prüfungen. Prüfungen sind dazu da, um zu sehen, ob der Geprüfte das erforderliche Pensum bewältigt und nicht, um ihn durchfallen zu lassen. Jakobus gibt seinen Lesern wertvolle Ratschläge, wie sie eine solche Prüfung gut bestehen können. Wer der Bedrängnis in der rechten Haltung gegenübertritt, wer den Nutzen einer solchen Prüfung erkennt und weiß, wo er Hilfe suchen kann, wird sicherlich vor Gott bestehen.


1. Die innere Haltung in Anfechtungen
(
1,2 )


Jak 1,2

Jakobus erteilt den verfolgten Judenchristen, die verstreut unter den Heiden leben, den überraschenden Rat: "Meine lieben Brüder, erachtet es für lauter Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtungen fallt." Die Gläubigen sollen Anfechtungen also mit Freude entgegentreten und sie nicht als Bestrafung, Fluch oder Katastrophe empfinden, sondern als etwas, das zur Freude führen muß. Sie sollen ihnen außerdem eine "reine Freude" (wörtlich "alle Freude", d. h. eine Freude, die vollkommen oder ohne Beimischung ist) sein, nicht etwa "ein bißchen Freude", das mit großem Kummer einhergeht.

Obwohl diese Anweisung sehr direkt und energisch klingt, stellt sich Jakobus dabei doch nicht predigend vor seine Leserschaft, sondern identifiziert sich vielmehr mit ihr. So spricht er die Adressaten seines Briefes herzlich als "meine lieben Brüder" an. Diese Anrede, die nicht weniger als fünfzehnmal auftaucht, ist typisch für den ganzen Brief. Die Anweisungen des Briefschreibers sind immer mit echter Zuneigung gekoppelt.

Wichtig ist auch, sich klarzumachen, daß Jakobus nicht sagt, daß ein Gläubiger sich über die Anfechtungen freuen soll, sondern in den Anfechtungen. Das Verb des Satzes, "fallen in" ( peripesEte ), drückt etwa dasselbe aus wie die Wendung in Lk 10,30 "er fiel unter die Räuber". Die "mancherlei Anfechtungen" ( peirasmois ... poikilois ) werden auch von Petrus angesprochen, der in seinem Brief dieselben griechischen Wörter gebraucht, wenn auch in umgekehrter Reihenfolge ( 1Pet 1,6 ). Umgeben von solchen Anfechtungen soll der Christ sich freuen. Die meisten Menschen würden sich freuen, wenn sie gerade nicht in Bedrängnis kommen, doch Jakobus fordert seine Leser zum gegenteiligen Verhalten auf (vgl. 1Pet 1,6.8 ).

An dieser Stelle ist eindeutig von äußeren Anfechtungen oder Prüfungen des Durchhaltevermögens ( peirasmois ) die Rede, während später im selben Kapitel ( Jak 1,13 ) die zu diesem Substantiv gehörige Verbform ( peirazomai ) innere Versuchungen oder Verlockungen zur Sünde charakterisiert.

Aus dem Gesagten erhebt sich ganz klar eine Frage: "Wie kann ein Mensch in Anfechtungen Freude finden?"


Jakobus

2. Der Nutzen von Anfechtungen
(
1,3-4 )


Jak 1,3


Die Christen können Anfechtungen freudig begegnen, weil sie großen Nutzen aus derartigen Prüfungen ziehen. Im rechten Geist erlebte Anfechtungen führen zu einer geläuterten Form der Glaubensfestigkeit.

Das ist nichts Neues, sondern lediglich eine Ermahnung, Altbekanntes nicht zu vergessen. Die Wendung "und wißt" ( ginOskontes , "wissend aus Erfahrung") deutet an, daß jeder schon einmal die Belastung einer problematischen Situation und den Nutzen des Durchhaltens an sich erfahren hat. Geduld, die sich nicht in Anfechtungen bewährt, ist nichts wert.

Nur der wahre oder bewährte Glaube führt zur Geduld. Die Wendung "wenn er bewährt ist" hat hier mehr die Bedeutung von "Billigung" als von "Prüfung". Das Wort dokimion steht nur im Neuen Testament an dieser Stelle und in 1Pet 1,7 . Glaube ist wie Gold - er besteht die Feuerprobe. Ohne diesen bewährten Glauben können Anfechtungen keine Geduld hervorbringen. Es würde nur Asche übrigbleiben. Wahrer Glaube dagegen übersteht wie lauteres Gold auch die höchsten Temperaturen. Er wirkt ( katergazetai ) Geduld oder Durchhaltevermögen. Das Substantiv "Geduld" ( hypomonEn ; vgl. die Verbform in Jak 1,12 ) bedeutet "Standhaftigkeit im Angesicht von Schwierigkeiten" (vgl. Jak 5,11 ).


Jakobus

Jak 1,4

Doch Geduld ist nur die erste Wohltat, die aus der Anfechtung erwachsen kann. Die Geduld aber soll ihr Werk tun . Wie der erprobte und wahre Glaube Geduld hervorbringt, so muß die Geduld ihr vollkommenes oder vollendetes Werk fortsetzen können, um schließlich die Ergebnisse christlicher Reife und geistlicher Erfüllung zu zeitigen. Dies ist das hohe Ziel, das als Grundthema den ganzen Jakobusbrief durchzieht. Es geht Jakobus immer wieder in erster Linie darum, seinen Lesern zu zeigen, wie sie geistliche Reife erlangen können.

Zwei Begriffe beschreiben dieses Ziel: vollkommen und unversehrt . Das Adjektiv "vollkommen" ( teleioi ) ist gekoppelt mit "unversehrt" ( holoklEroi , von holos , "ganz", und klEros , "Teil"). Die ganze Wendung drückt damit die Vollkommenheit und vollständige Entwicklung der christlichen Reife aus.

Christen können Anfechtungen freudig begegnen, weil aus der Anfechtung durch den Glauben Geduld erwächst, die ihrerseits, wenn sie sich erfüllen kann, ein reifes christliches Dasein hervorbringt, dem es an nichts mangelt. Der Christ, der dahin gelangt, ist so, wie Gott ihn will.

Die Argumentation des Briefes klingt zwar logisch, doch es bleibt schwierig einzusehen, wie Anfechtungen in einer Grundhaltung der Freude aufgenommen werden sollen. Wo kann man lernen, dieses Paradox zu begreifen?


Jakobus

3. Hilfe in Anfechtungen
(
1,5 - 12 )


Jak 1,5

Denen, die angesichts des hohen Ziels, daß "kein Mangel an euch sei", verzagen, schreibt Jakobus: "Wenn es aber jemandem unter euch an Weisheit mangelt, so bitte er Gott." Hilfe ist möglich von "Gott, der jedermann gern gibt" ( tou didontos theou ). Jakobus geht davon aus, daß seine Leser das Bedürfnis nach Weisheit ( sophias ), nicht nur nach Erkenntnis haben. Gott kann ihnen diese Weisheit schenken, und er wird es großzügig und ohne sie zu tadeln tun.


Jakobus

Jak 1,6-8

Die Gaben Gottes sind jedoch an gewisse Vorbedingungen geknüpft. Um in der Anfechtung der Weisheit Gottes teilhaftig zu werden, muß der Gläubige richtig bitten, d. h. erstens, er muß im Glauben bitten: Er bitte aber im Glauben und zweifle nicht ( diakrinomenos , das Wort für "zweifeln", versinnbildlicht ein Schwanken). Er darf nicht zu Gott kommen wie eine Meereswoge, die vom Winde getrieben (horizontal) und bewegt (vertikal) wird . Gott hat kein Gefallen an einem Zweifler ( dipsychos , wörtlich "ein Mensch mit zwei Seelen"; vgl. Jak 4,8 ), der unbeständig auf allen seinen Wegen ist wie ein schwankender, strauchelnder Betrunkener. Gottes Antwort hängt auch von der Glaubensfestigkeit des Bittenden ab.


Jakobus

Jak 1,9-11


Außerdem muß der Bittende Hoffnung zeigen. Wie auch immer seine soziale und ökonomische Lage sein mag, der Gläubige muß auf die Ewigkeit sehen. Ein Bruder, ... der niedrig ist , kann im Blick auf die Höhe seines geistlichen Zustandes glücklich sein, und wer ... reich ist , kann sich an seiner menschlichen Schwäche freuen (in dem Bewußtsein seiner "ewigen Herrlichkeit" in Christus; 2Kor 4,17 ). Eine soziale Vorrangstellung ist vergänglich, Reichtum schwindet dahin wie eine Blume des Grases in der Hitze der Sonne und der Ruhm verdirbt . Hoffnung auf die Ewigkeit dagegen ist ein Beweis für wahren Glauben.


Jakobus

Jak 1,12


Schließlich muß der Bittende standhaft und von einer Haltung der Liebe getragen sein. Gott segnet den, der die Anfechtung erduldet . In diesem Vers kehrt Jakobus zu dem Thema zurück, mit dem er diese ganze Passage in Vers 2-3 eröffnete. Es geht um Anfechtung, Prüfung und Geduld. Der Christ, der Anfechtungen ( peirasmon ) standhaft aushält ( hypomenei ), ist bewährt ( dokimos genomenos ; vgl. dokimion in V. 3 ) und wird ... die Krone des Lebens empfangen . Diese "Krone" ist das Leben (vgl. Offb 2,10 ). "Das Leben, das verheißen ist, ist wahrscheinlich das Leben hier und jetzt, das Leben in seiner Fülle und Vollkommenheit" (vgl. Jak 1,4 ) (Curtis Vaughan, James: Bible Study Commentary , S. 28). (Auch in 1Thes 2,19; 2Tim 4,8; 1Pet 5,4 ist von einer Krone, wenn auch in einem anderen Zusammenhang, die Rede.) Gott verheißt dieses Leben denen, die ihn liebhaben. Die Liebe zu Gott befähigt die Gläubigen, Anfechtungen zu ertragen und vertrauensvoll auf ihn zu schauen. Ihre Standhaftigkeit offenbart ihre Liebe. (Es gibt jedoch auch Exegeten, die davon ausgehen, daß mit der "Krone des Lebens" hier nicht das jetzige Leben in seiner Fülle, sondern das ewige Leben gemeint sei, denn alle wahren Gläubigen lieben Gott; 1Joh 4,8 .) Die Bitte um Weisheit aus Glauben ( Jak 1,6-8 ), Hoffnung (V. 9 - 11 ) und Liebe (V. 12 ) erwirkt nicht nur den Segen der Weisheit, sondern auch den des Sieges.

Um Anfechtungen mit der richtigen Einstellung begegnen zu können, muß man den Nutzen solcher Bedrängnisse erkennen. Doch wenn der Nutzen nur schwer einzusehen ist, kann der Gläubige um Hilfe bitten, und wenn er dies im rechten Geist tut, wird Gott ihm auch die richtige Einstellung gegenüber den Anfechtungen schenken. Er kann dann in der Anfechtung Freude empfinden (V. 2 ) und wird selig (V. 12 ), indem er sie erduldet.


Jakobus

C. Widerstand in tödlicher Versuchung
(
1,13 - 18 )


Die Gläubigen sind in Gefahr, von den Angriffen und dem Druck der Bedrängnisse niedergeworfen zu werden. Genausogroß ist jedoch die Gefahr, daß sie der Anziehungskraft und den Annehmlichkeiten der Versuchung erliegen. Eine falsche Reaktion im Angesicht der Versuchung kann sich ebenso negativ auf das geistliche Wachstum auswirken wie der falsche Umgang mit auferlegten Prüfungen. Jakobus legt deshalb im folgenden dar, aus welcher Quelle die Versuchung entspringt, wie sie sich entwickelt und wie man ihr begegnen kann.



1. Die Quelle der Versuchung
(
1,13 - 14 )


Jak 1,13


Jakobus geht streng mit all denen ins Gericht, die allzu rasch mit einer Entschuldigung für ihr sündiges Verhalten bei der Hand sind. Um sich selbst von aller Verantwortung freizusprechen, sagen sie: "Ich werde von Gott ( apo theou ) versucht" und geben damit nicht nur die wirkende Kraft, sondern auch den Ursprung ihrer Versuchung an. Dem hält Jakobus ein für allemal entgegen, daß Gott niemanden versucht und nicht (zum Bösen) versucht werden (kann) . Nichts an Gott gibt dem Bösen irgendeinen Anhalt, er ist im wahrsten Sinne des Wortes "unversuchbar" ( apeirastos ; vgl. den Kommentar zu Hebr 4,15 ). Gott prüft die Menschen häufig, doch er führt sie nie in Versuchung.


Jakobus

Jak 1,14


Die Quelle der Versuchung liegt im Inneren des Menschen, er wird von seinen eigenen Begierden gereizt und gelockt . Dieses innere Verlangen treibt den Menschen heraus ( exelkomenos ), wie ein Fisch vom Köder aus seinem Versteck gelockt wird, und verführt ihn ( deleazomenos , von dem Verb deleazO , "anbeißen, einen Fisch mit dem Köder fangen oder eine Hetzjagd veranstalten"). Der Mensch baut sich also selbst die Falle, in die er dann hineingeht.


Jakobus

2. Der Prozeß der Versuchung
(
1,15 - 16 )


Jak 1,15-16


Diese biologischen Bilder sind äußerst anschaulich. Das Verlangen oder die Begierde wird gleichsam schwanger und gebiert die Sünde . Der nichtgenannte Vater ist sicherlich Satan. Das groteske Erzeugnis, die Sünde, wächst heran und bringt ihrerseits Nachwuchs hervor: den Tod. Der Weg des Verderbens ist ganz klar: Unkontrollierte Begierde bringt Sünde hervor, und uneingestandene Sünde den Tod. Es mutet seltsam an, daß die Sünde den Tod (gebiert) , doch Jakobus warnt seine Brüder und Schwestern, die diese "Genealogie" der Sünde lesen, sich nicht täuschen oder irreführen zu lassen. Wie die richtige Reaktion auf Anfechtungen zu voller geistlicher Reife führen kann, so kann das falsche Umgehen mit den eigenen Begierden den Abstieg in die geistliche Armut und schließlich den Tod bewirken.


Jakobus

3. Die Erlösung aus der Versuchung
(
1,17 - 18 )


Jak 1,17-18


In strengem Kontrast zu der zuvor dargestellten Szenerie des Todes, der aus der ungezügelten Begierde hervorgeht, steht die Helligkeit des neuen Lebens, das aus dem Wort der Wahrheit entspringt (V. 18 ; Eph 1,13; Kol 1,5 ). Der Vater der Finsternis - Satan ( Apg 26,18; Kol 1,13 ) - zeugt Sünde und Tod. Der Vater des Lichts (d. i. Gott, der das Universum mit all seinen Himmelskörpern geschaffen hat) dagegen schenkt Rettung und Leben und ist unwandelbar. Der Schatten der Sonne wandert, nicht aber der, der die Sonne geschaffen hat. Die Worte "alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab" haben im Griechischen einen poetischen Klang. Wörtlich heißt es "jede gute Tat des Gebens ( dosis ) und jede vollkommene Gabe ( dOrEma ) ist von oben".

Die Erlösung aus der Versuchung liegt in der engen Gemeinschaft mit dem Vater und in der fortgesetzten Antwort auf sein Wort. Der Gläubige muß in dem unwandelbaren Herrn des Lichts ruhen und sich auf sein lebenspendendes "Wort der Wahrheit" verlassen (vgl. Eph 1,13; Kol 1,5; 2Tim 2,15 ).

Keiner der erwählten Erstlinge Gottes oder wiedergeborenen Gläubigen ist der Versuchung hilflos ausgeliefert. Ein Christ muß vielmehr lernen, der tödlichen Gewalt dieser Versuchung zu widerstehen, sonst kann er nie jene geistliche Reife erlangen, die Gott von den Kindern des Lichts fordert ( Eph 5,8; 1Thes 5,5 ).


Jakobus

D. Ruhe in der göttlichen Wahrheit
(
1,19 - 27 )


Letztlich liegt also der Schlüssel für die Standhaftigkeit in Anfechtungen und die Kraft, Versuchungen zu widerstehen, in der Reaktion der Gläubigen auf das Wort Gottes. Aufnahmebereitschaft und Empfänglichkeit für das Wort und Ergebung in das Wort sind entscheidend für das geistliche Wachstum. Ein Christ muß das Wort Gottes annehmen, danach handeln und an ihm festhalten.



1. Die Aufnahmebereitschaft für das Wort
(
1,19 - 21 )


Jak 1,19-21


Mit den Worten "meine lieben Brüder" identifiziert sich Jakobus wieder mit seinen Lesern. Er weist darauf hin, daß das, was nun folgt, von entscheidender Bedeutung ist: Ihr sollt wissen . Dieser Einleitung folgt eine dreiteilige Anweisung: Ein jeder Mensch sei schnell zum Hören, langsam zu Reden, langsam zum Zorn. In einer Diskussion gerät derjenige, der zuhört, statt die anderen niederzureden, natürlich weniger schnell in Rage (vgl. Jak 3,1-12 ). Im Zorn tut der Mensch nicht, was vor Gott recht ist - die Menschen dahin zu bringen aber ist das Ziel dieses Briefes.


Jakobus

Jak 1,21


Es ist daher nötig, alle Unsauberkeit ( ryparian ; das Wort steht nur an dieser einen Stelle im Neuen Testament; vgl. rypara , "unsauber", in Jak 2,2 ) und alle Bosheit abzulegen und das Wort ..., das in euch gepflanzt ist , anzunehmen. Die Wendung "in euch gepflanzt" ( emphyton ; das Wort steht ebenfalls nur an dieser Stelle im Neuen Testament) bedeutet nicht "aufgepfropft", sondern soviel wie angeboren, innerlich verschmolzen mit, verwurzelt im fruchtbaren Boden der Seele. Dieses Wort Gottes hat die Kraft, eure Seelen selig zu machen.


Jakobus

2. Die Antwort auf das Wort
(
1,22 - 25 )


Jak 1,22


Es genügt jedoch nicht, das Wort lediglich aufzunehmen; man muß auch in Gehorsam darauf antworten. Das Gebot ist eindeutig: Seid aber Täter des Worts und nicht Hörer allein . Ein Christ muß "Täter" des Wortes "werden" bzw. "bleiben" ( ginesthe ), es nicht nur hören. Die wachsende Zahl derjenigen, die an den verschiedensten Predigten nippen und wie Schmetterlinge von einem theologischen Dessert zum nächsten flattern, täuschen sich selbst. Das hier verwendete Wort für "sich betrügen" ( paralogizomai , "durch falsche Vernunftgründe täuschen oder betrügen") kommt im ganzen Neuen Testament außer an dieser Stelle nur noch in Kol 2,4 vor. Ihre Täuschung erwächst aus dem Gedanken, daß sie alles Erforderliche getan haben, während im Grunde das Hören des Wortes erst der Anfang ist. Im folgenden illustriert Jakobus die passive Konsumentenhaltung solcher Menschen.


Jakobus

Jak 1,23-24


Wer ein Hörer ist und nichts tut, der gleicht einem Mann, der sein leibliches Angesicht im Spiegel beschaut und dann sofort wieder vergißt, wie er aussah . Interessanterweise spricht Jakobus hier von einem Mann ( andri ). Eine Frau würde sich wahrscheinlich nicht nur flüchtig im Spiegel betrachten und würde, wenn sie tatsächlich einen Makel oder Fleck entdecken würde, alles daransetzen, ihn zu verdecken oder zu beheben. Nicht so dieser Mann, der "sein leibliches Angesicht" ( prosOpon tEs geneseOs ) sieht und es dann "vergißt".


Jakobus

Jak 1,25


In den Spiegel des göttlichen Wortes zu blicken bringt eine Verpflichtung mit sich. Ein Christ muß das vollkommene Gesetz der Freiheit durchschauen. Der aufmerksame und gründliche Blick, gekoppelt mit der Bereitschaft zu handeln, ist der Schlüssel zu geistlicher Stärke und zunehmender Reife. Das Wort für "durchschauen", parakypsas , bedeutet wörtlich "sich niederbeugen", um etwas aus der Nähe genau zu betrachten.

Die Wendung "das Gesetz der Freiheit" erscheint wie ein Paradoxon, denn ein Gesetz beinhaltet ja eigentlich eine Einschränkung und daher gerade einen Mangel an Freiheit. Doch Gottes Gesetz ist anders. Sein "vollkommenes Gesetz" schenkt wahre Freiheit. "Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort", sagte Jesus, "werdet (ihr) die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen" ( Joh 8,31-32 ). Wer Gottes Willen erfüllt, wird vollkommene Freiheit finden und selig sein in seiner Tat .


Jakobus

3. Ergebung in das Wort
(
1,26 - 27 )


Die Aufnahmebereitschaft für das Wort Gottes und die Bereitschaft, auf seine Offenbarung zu antworten, müssen mit einer neuen Lebenseinstellung gekoppelt sein. Der Christ muß zum Gehorsam und zu einer Umsetzung des Gehörten in die Praxis entschlossen sein.

Jak 1,26


Wer Gott dient, zeigt das daran, daß er nicht unbesonnen daherredet. Die Wendung "er diene Gott" ( thrEskos , "gottesfürchtig, fromm") bezieht sich auf die Beachtung äußerer Vorschriften. Diese äußeren rituellen Praktiken, von denen der Betreffende möglicherweise meint, daß sie besonders löblich seien, sind letztlich nichtig ( mataios , "vergeblich, fruchtlos, nutzlos"), wenn sie nicht von Selbstbeherrschung begleitet sind ( und hält seine Zunge nicht im Zaum ) - ein Thema, das in Jak 3,1-12 noch detaillierter erörtert wird. Ein solcher Mensch betrügt sein Herz ( apatOn kardian heautou ; vgl. ein anderes Wort für "täuschen" in Jak 1,22 ).


Jakobus

Jak 1,27


Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst dagegen ist ein Leben, in dem der Gläubige sich bemüht, sein Verhalten und Wesen mit Gottes Wort in Einklang zu bringen. Das griechische Wort für "Gottesdienst", thrEskeia , taucht nur viermal im Neuen Testament auf, davon zweimal im Jakobusbrief (vgl. Kol 2,18; Apg 26,5 ). Gott liegt also nichts an äußeren religiösen Ritualen, sondern an einer rechten Lebensführung.

Jakobus läßt seine Leser denn auch nicht im Unklaren, was Gott, dem Vater , wirklich am Herzen liegt. In bezug auf den Lebenswandel lautet seine Forderung: die Waisen und Witwen in ihrer Trübsal besuchen , in bezug auf die innere Gesinnung: sich selbst von der Welt unbefleckt halten . "Sich unbefleckt halten" gibt ein einziges griechisches Wort wieder, aspilon , "unbefleckt" (vgl. 1Tim 6,14; 1Pet 1,19; 2Pet 3,14 ), das das Gegenteil zu moralischer "Unsauberkeit" ( Jak 1,21 ) ist. Ein Gläubiger, der einen Gott wohlgefälligen "Gottesdienst" darbringen will, kümmert sich um andere, die in Not sind - was ihn unbefleckt sein läßt - und hält sich rein . Das ist keine Definition für wahre Religiosität; es geht hier nur um den Kontrast zu rein äußerlichen frommen Handlungen und der Beachtung bestimmter ritueller Vorschriften, die gemeinhin als "Religion" bezeichnet werden. Auch hier ist wieder ein reifer christlicher Lebenswandel und praktische Heiligung das eigentliche Ziel. Doch was muß man tun, um dieses Ziel zu erreichen? Der erste Schritt ist ein festes Vertrauen. Wer in Gottes Wahrheit verwurzelt ist und diese Wahrheit in seinem Leben umsetzt, der wird von Anfechtungen und Versuchungen nicht umgeworfen.


Jakobus

II. Dient barmherzig
( Jak 2 )


Wer das richtige Verhältnis zur Bibel hat, hat auch das richtige Verhältnis zum Leib Christi. Wer Gottvertrauen hat, ist auch barmherzig. Jakobus läßt keinen Zweifel daran, daß wirkliche Gottesfurcht ihren äußeren Niederschlag im Dienen findet, einem Dienst, der vom Gläubigen fordert, daß er andere ohne Vorurteil akzeptiert und ihnen vorbehaltlos beisteht.



A. Annahme anderer
(
2,1 - 13 )


Jakobus wird nun immer direkter und konkreter in seinen Anweisungen an die Gläubigen. Er ist offensichtlich unzufrieden mit dem sozialen Ungleichgewicht unter den Brüdern und greift die Haltung der Gläubigen gegenüber anderen und ihre Unfähigkeit, nach dem Willen Gottes zu handeln, scharf an. Zunächst verurteilt er die Bevorzugung einzelner Gemeindeglieder und regt an, wie diesem Hindernis auf dem Weg zu größerer geistlicher Reife begegnet werden kann. Jeder einzelne muß lernen, andere anzunehmen, ganz gleich, wie ihr gesellschaftlicher Status ist oder welcher Schicht sie angehören. Er muß allen Menschen gegenüber höflich sein und sich ihnen in gleichmäßiger Barmherzigkeit zuwenden. Gleichheit, Liebe und Treue sind wichtige Elemente eines wahrhaft christlichen Lebenswandels.



1. Höflichkeit gegenüber allen
(
2,1-4 )


Jak 2,1


Die erneute Anrede mit "liebe Brüder" markiert deutlich den Beginn eines neuen Gedankengangs. Mit "Brüder" meint er Brüder im Glauben an Jesus Christus, unsern Herrn der Herrlichkeit ( doxEs ). Der Kern seiner Anweisung ist vollkommen klar: Seid frei von allem Ansehen der Person . Gott zieht niemanden vor ( Röm 2,11; Eph 6,9; Kol 3,25 ); deshalb sollen auch die Christen vorurteilsfrei und ohne jemanden zu bevorzugen handeln.


Jakobus

Jak 2,2-3


Im folgenden veranschaulicht Jakobus an einem Beispiel, was damit gemeint ist. Daß es sich dabei um ein hypothetisches Beispiel handelt, wird am Gebrauch des Konditionalsatzes im Deutschen und Griechischen ( wenn ) und am Gebrauch des Konjunktivs deutlich ( käme ). Ein Mann mit einem goldenen Ring und in herrlicher Kleidung kommt in die Versammlung . Das hier für Versammlung gebrauchte Wort "Synagoge" unterstreicht das jüdische Element des ganzen Jakobusbriefes, aber auch der geschilderten Szene. Ein Armer in unsauberer Kleidung kommt dazu. Das Wort "unsauber" ( rypara , "schmutzig oder abgerissen") steht außer an dieser Stelle nur noch in Offb 22,11 (vgl. das Wort ryparian , "moralische Unsauberkeit", in Jak 1,21 ). Dem Reichen wird besondere Aufmerksamkeit und ein bevorzugter Sitz zuteil, während der Arme lediglich einen Stehplatz oder einen schlechten Sitzplatz zu den Füßen der anderen erhält.


Jakobus

Jak 2,4


Auf dieses Beispiel folgt die strenge Frage: Ist's recht, daß ihr solche Unterschiede bei euch macht? Im griechischen Text ist diese Frage eindeutig rhetorisch formuliert. Die Glaubensbrüder des Jakobus müssen sich schuldig bekennen. Nicht nur, daß sie diskriminierende Unterschiede in der Gemeinde machen, sie maßen sich selbst die Rolle von Richtern an, mit bösen, parteiischen Gedanken.


Jakobus

2. Barmherzigkeit für alle
(
2,5 - 9 )


Jak 2,5-7


Mit der Bitte "hört zu, meine lieben Brüder" geht Jakobus zur Erklärung über, warum ein solches diskriminierendes Verhalten falsch ist. Er stellt seinen Lesern vier rhetorische Fragen. Erstens: Hat nicht Gott die , die materiell arm scheinen, aber im Glauben reich sind, als Erben des Reichs (erwählt) (vgl. Jak 1,9 )? Zweitens: Sind es nicht die Reichen , die sich laufend der Unterdrückung, Ausbeutung und Verleumdung ( blasphEmousin , wörtlich "Lästerung"; Jak 2,7 ) schuldig machen? Drittens: (Sind es nicht die Reichen, die) euch vor Gericht ziehen? Viertens: Verlästern sie nicht den guten Namen Jesu? Dieser Name aber ist es, der über den Gläubigen genannt ist - sie gehören also ihrem Herrn und nicht den reichen Ausbeutern. Die Leser des Briefes konnten sich diesen Feststellungen nicht verschließen und mußten einräumen, daß es falsch und völlig unvernünftig wäre, dem Armen Unehre anzutun und den Reichen vorzuziehen.


Jakobus

Jak 2,8-9


Die Alternative liegt auf der Hand. Während die Bevorzugung einzelner Sünde ist, ist die Liebe die einzig richtige Haltung dem Nächsten gegenüber. Jakobus war optimistisch: Der Konditionalsatz "wenn ihr das königliche Gesetz erfüllt" ist im Griechischen so formuliert, als werde eine gehorsame Reaktion vorausgesetzt. Das "königliche Gesetz" wurde in 3Mo 19,18 aufgestellt und durch Christus bestätigt ( Mt 22,39 ): Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Es ist ein königliches ( basilikon , von basileus , "König") Gesetz, weil es vom König der Könige erlassen wurde, einem König gemäß ist und als die Krönung aller Gesetze gilt. Diese Bezeichnung spiegelt den lateinischen Begriff lex regia , der im ganzen römischen Reich bekannt war. Die Befolgung dieses Gesetzes, eine unvoreingenommene Liebe, ist die Antwort auf den offensichtlichen Ungehorsam gegenüber Gottes Gesetz , der Diskriminierung einzelner.


Jakobus

3. Zuverlässigkeit in allem
(
2,10-13 )


Jak 2,10-11


Jakobus war sich darüber im klaren, daß manche seiner Leser ihr beleidigendes Verhalten und ihre Vorurteile als geringfügiges Vergehen abtun und sich kaum als Gesetzesbrecher betrachten würden. Deshalb versucht er, ganz deutlich zu machen, daß es sich hier keineswegs um eine Bagatellsünde handelt. Denn wenn jemand das ganze Gesetz hält und sündigt gegen ein einziges Gebot, der ist am ganzen Gesetz schuldig . Es gibt keine einzelnen Schwächen. An den extremen Verbrechen von Ehebruch und Mord macht Jakobus vielmehr die Absurdität eines nur teilweisen Gehorsams deutlich.


Jakobus

Jak 2,12-13


Absoluter Gehorsam ist ein weiterer Schlüssel zu geistlicher Reife. Ein Christ muß so reden und handeln (Imperativ Präsens), wie Leute, die durchs Gesetz der Freiheit gerichtet werden sollen . Gottes Gesetz bringt durch seine weisen Begrenzungen wahre Freiheit (vgl. Jak 1,25 ). Ungehorsam gegenüber diesem Gesetz dagegen bringt Abhängigkeit. Gegenüber denen, die nicht Barmherzigkeit geübt haben, erweist sich das Gericht Gottes als ein unbarmherziges Gericht . Doch wie die Liebe über das Vorurteil triumphiert, so triumphiert die Barmherzigkeit ... über das Gericht . Das Verb "triumphieren" oder "sich erheben über" ( katakauchatai ) steht außer an dieser Stelle nur noch in Jak 3,14 und Röm 11,18 .

Gott hat unveränderliche Gesetze erlassen. Wer geistliche Reife erstrebt, muß diesen Gesetzen zu jeder Zeit voll und ganz gehorchen. Der Gläubige ist deshalb dazu aufgerufen, seinen Bruder liebevoll, barmherzig und mit beständiger Zuneigung zu behandeln.


Jakobus

B. Hilfe für andere
(
2,14 - 26 )


Das Gebot der Liebe läßt nicht zu, daß bestimmte Personen bevorzugt werden. Genausowenig gestattet der Glaube die Unterlassung guter Werke. Ein Gläubiger muß seine Nächstenliebe nicht nur durch die bereitwillige Annahme anderer zeigen, er muß auch seinen Glauben durch verantwortliche Hilfe für andere bestätigen. Jakobus wendet sich deshalb dem Ausdruck wahren Glaubens zu, schildert, wie dieser Glaube sichtbar wird und zitiert schließlich Beispiele für einen solchen Glauben.



1. Der Ausdruck des wahren Glaubens
(
2,14 - 17 )


Jak 2,14


Wieder leitet Jakobus den neuen Gedanken mit der Anrede "liebe Brüder" ein. Er beginnt mit einer rhetorischen Frage: Was hilft's ..., wenn jemand sagt, er habe Glauben, und hat doch keine Werke? Es geht hier nicht um die Wahrhaftigkeit des Glaubens, sondern darum, daß die Betreffenden fälschlich von sich behaupten, Glauben zu haben. Jakobus verurteilt also das unberechtigte Prahlen mit dem eigenen Glauben. Ein solcher "Glaube" bewirkt nichts Gutes. Er bringt keinen "Gewinn" ( ophelos ; das Wort kommt nur an dieser Stelle im Neuen Testament und in V. 16 und 1Kor 15,32 vor). Er ist wertlos, weil er nichts als leeres Gerede ist. Kann denn der (ein solcher) Glaube ihn selig machen? Hier wird eindeutig eine verneinende Antwort vorausgesetzt. Lediglich von sich zu behaupten, man habe Glauben, reicht nicht aus. Wahrer Glaube wird in den Werken sichtbar.


Jakobus

Jak 2,15-16


Der rhetorischen Frage folgt ein hypothetisches, aber durchaus realistisches Beispiel: Wenn ein Bruder oder eine Schwester Mangel hätte an Kleidung und an der täglichen Nahrung (Jakobus schreibt immer wieder von den Armen: Jak 1,9.27;2,2-6 ), wenn es jemand also am Nötigsten fehlt, so hat er wenig von guten Wünschen wie etwa dem jüdischen Abschiedsgruß "geht hin in Frieden" (vgl. Ri 18,6; 1Sam 1,17; 15,9; Mk 5,34; Lk 7,50 ). Wenn nichts unternommen wird, um den drängenden Mangel an warmer Kleidung und sättigender Nahrung zu beheben - was könnte ... das helfen? Die gleiche Wendung, mit der Jakobus diesen Abschnitt einleitete ( Jak 2,14 ), wird hier also wiederholt, um das Gesagte besonders zu betonen.


Jakobus

Jak 2,17


Die leere Prahlerei, der Glaube, der keine Werke hat, ist tot in sich selber . Glaube ohne Werke ist Glaube ohne Wert; er ist unproduktiv und steril - tot. Man kann großartige Behauptungen über einen Leichnam anstellen, der angeblich zum Leben erwacht ist,doch wenn er sich nicht bewegt und keine Lebenszeichen von sich gibt, keinen Herzschlag und keinen wahrnehmbaren Puls aufweist, so ist er nach wie vor tot. Die falschen Behauptungen werden durch den Augenschein widerlegt.


Jakobus

2. Der Beweis des wahren Glaubens
(
2,18 - 20 )


Jak 2,18


Der folgende Abschnitt gehört wahrscheinlich zu den am häufigsten mißverstandenen Passagen des ganzen Jakobusbriefes: Aber es könnte jemand sagen: Du hast Glauben, und ich habe Werke . Hier wird eine fiktive Person eingeführt. Sie widerspricht der obigen Schlußfolgerung nicht, sondern stimmt zu, daß ein Glaube ohne Werke tot ist, setzt jedoch daraufhin fälschlicherweise den Glauben herab und verleiht den Werken zuviel Gewicht (vgl. den Kommentar zu V. 19 ).

Der folgende Satz: Zeige mir deinen Glauben ohne ( chOris ) die Werke , so will ich dir meinen Glauben zeigen aus (ek) meinen Werken könnte eventuell die Fortsetzung der Antwort des imaginären Gegenübers sein. Wenn es statt dessen die Antwort des Jakobus auf die Äußerung seines Gegenübers, "ich habe Werke", wäre, so hätte er geschrieben: "Zeige mir deine Werke ohne Glauben."


Jakobus

Jak 2,19


Auch Vers 19 könnte noch zu der Aussage des fiktiven Sprechers gehören: Du glaubst, daß nur einer Gott ist? Du tust recht daran; die Teufel glauben's auch und zittern. Wenn diese Annahme stimmt, so handelt es sich bei dem, der hier redet, um einen typischen Heidenchristen, der das monotheistische Bekenntnis jüdischer Prägung angreift. Er sagt, der Glaube an den einen Gott sei zwar gut und schön, gehe aber nicht weit genug. Auch die Dämonen erkennen einen Herrn über sich an. Ja, sie glauben (das gleiche Verb, pisteuO ) nicht nur, sie "zittern" ( phrissousin , ein lautmalerisches Wort, das nur an dieser einen Stelle im Neuen Testament vorkommt) sogar. An einen Gott zu "glauben" ist also nicht unbedingt das gleiche, wie Gott zu "vertrauen". Solange das Vertrauen fehlt, ist der Glaube kein wahrer Glaube und wird auch nicht in guten Werken sichtbar werden.

Der Mann sagt also: "Glaube ist nicht der Schlüssel; was zählt, sind die Werke." Darin geht er jedoch zu weit. Jakobus will mit seinen Ausführungen nicht sagen, daß die Werke entscheidend für den Glauben sind oder daß der Glaube unwichtig ist. Ihm geht es vielmehr darum, daß die Werke ein Beweis für den Glauben sind.

Andere Exegeten verstehen diesen letzten Satz (V. 18 b) als Äußerung von Jakobus, der darin "jemanden auffordert, seinen Glauben ohne Werke doch zu zeigen" - wobei die Pointe ist, daß das gar nicht geht! Jakobus ist der Ansicht, daß der Glaube (nur) in dem, was der Mensch tut, sichtbar werden kann (V. 18 c). Der "Glaube" der Dämonen an Gott ist unzulänglich, denn ein solcher Pseudoglaube geht ganz offensichtlich nicht mit Werken einher.


Jakobus

Jak 2,20


Jakobus läßt sich jedoch nicht auf einen langen Disput mit seinem imaginären Gesprächspartner ein. Er spricht ihn unverblümt an: Du törichter Mensch , und kommt auf seine Grundaussage zurück, daß der Glaube ohne Werke nutzlos ( argE , "eitel, nichtig") ist. Das Adjektiv "töricht" ( kene ) wird normalerweise mit "leer, vergeblich oder hohl" wiedergegeben (vgl. mataios , "wertlos, fruchtlos, sinnlos" in Jak 1,26 ). Ein oberflächlicher Glaube ist tot; doch genauso tot sind leere, ohne Glauben vollbrachte Werke. Jakobus argumentiert hier nicht für die Werke und gegen den Glauben oder für den Glauben und gegen die Werke; seine Aussage läuft ganz einfach darauf hinaus, daß echter Glaube immer von guten Werken begleitet ist. Geistliche Werke sind der Beweis, nicht der Antrieb für wahren Glauben.


Jakobus

3. Beispiele für wahren Glauben
(
2,21-26 )


Als letzten Beweis für seine Behauptung führt Jakobus zwei biblische Beispiele an: Abraham, den verehrten Patriarchen, und Rahab, die erlöste Prostituierte. Wieder kleidet er beide Beispiele in die Form rhetorischer Fragen.



Jak 2,21


Ist nicht Abraham, unser Vater, durch Werke gerecht geworden, als er seinen Sohn Isaak auf dem Altar opferte? Diese Frage wird oft als direkter Gegensatz zu der Aussage des Paulus verstanden, daß Abrahams Glaube und gerade nicht seine Werke Gott dazu veranlaßten, ihn als Gerechten zu bezeichnen ( Röm 4,1-5 ). Paulus ging es jedoch um die vorrangige Bedeutung des Glaubens. Jakobus dagegen will auf den Beweis für den Glauben hinaus. Paulus stellte fest, daß Abraham Glauben hatte und deshalb noch vor der Beschneidung ( 1Mo 17,11 ) gerechtfertigt oder für gerecht erklärt wurde ( 1Mo 15,6; vgl. Röm 4,9 ). Jakobus legt dar, daß der Glaube Abrahams in seinem Handeln, d. h., in seinem Opfer sichtbar wurde ( 1Mo 22,12 ) und daß er deshalb gerechtfertigt oder für gerecht erklärt wurde. Die Werke sind gleichsam ein "Barometer" der Rechtfertigung, während der Glaube die Grundlage für die Rechtfertigung ist.


Jakobus

Jak 2,22-24


Jakobus betont die Verbindung von Glaube und Werken , die zusammenwirken. Der Glaube ist die Antriebskraft hinter der Tat. Die Tat dagegen ist die Auswirkung des Glaubens. Die hier mit "vollkommen geworden" ( eteleiOthE ) übersetzte Verbform bedeutet eigentlich "zu Ende führen". Der Glaube findet seine Erfüllung in der Handlung. So war es bei Abraham . Jakobus und Paulus zitieren also dieselbe alttestamentliche Passage - 1Mo 15,6 - ,um jeweils den besonderen Aspekt, um den es ihnen geht, zu belegen (vgl. Röm 4,3 ). Paulus hielt fest, daß Abraham durch seinen Glauben gerecht wurde, und Jakobus sagt, daß er durch seinen Glauben, der durch seine Werke sichtbar wurde, gerecht wurde.


Jakobus

Jak 2,25


Desgleichen ( homoiOs de kai ) die Hure Rahab: Ist sie nicht durch Werke gerecht geworden , d. h., indem sie die Boten ( angelous ) aufnahm und ihnen bei der Flucht behilflich war ( Jos 2; 6 )?


Jakobus

Jak 2,26


Die Schlußfolgerung liegt auf der Hand. Glaube und Werke bedingen einander gegenseitig wie Leib und Geist. Ohne ( chOris ) den Geist bzw. den "Atem" ( pneumatos ) des Lebens ist der Leib tot. Ohne ( chOris ) den Beweis der Werke kann auch der Glaube als tot angesehen werden. Wahrer Glaube trägt fortwährend zu geistlichem Wachstum und geistlicher Weiterentwicklung bei.

Der Gläubige soll nicht nur inmitten von Anfechtungen und Versuchungen sein Vertrauen ganz auf Gottes Wort setzen ( Jak 1 ), er soll auch seinen Brüdern und Schwestern in Christus dienen ( Jak 2 ). Er muß alle Glieder der Familie Gottes ohne Vorbehalte annehmen ( Jak 2,1-13 ) und die Familie mit einem tätigen Glauben unterstützen ( Jak 2,14-26 ). Um zu wahrer geistlicher Reife zu gelangen, muß der Gläubige sein, wie Gott ihn will, und tun, was Gott von ihm erwartet.


Jakobus

III. Hütet eure Zunge
( Jak 3 )


Ein weiterer Maßstab für die geistliche Reife ist die Rede des Gläubigen. Jakobus widmet denn auch einen Gutteil seines Schreibens dem Angriff auf alles unbeherrschte und verderbte Reden. Er fordert, daß die Gläubigen nicht nur ihre Zunge im Zaum halten ( Jak 3,1-12 ), sondern auch ihre Gedanken ( Jak 3,13-17 ). Das gesprochene Wort steht in direkter Verbindung zum Geist des Menschen. Eine gewinnende Rede muß aus einer weisen Quelle kommen. Es ist also erforderlich, mit Bedacht zu reden und das eigene Denken stets sorgsam zu prüfen.



A. Selbstbeherrschung in der Rede
(
3,1 - 12 )


Von seiner Auseinandersetzung mit dem hohlen und nichtigen Glauben geht Jakobus nun zur leeren Rede über. Die Unfähigkeit, die eigene Zunge zu zügeln, von der schon zuvor einmal die Rede war ( Jak 1,26 ), steht im Mittelpunkt des folgenden Gedankenganges. Genauso irregeleitet und irreführend wie jene Christen, die Glauben ohne Werke haben, sind jene, die die Werke durch Worte ersetzen. Ein Christ sollte seine Zunge hüten. So klein sie ist, so mächtig ist sie und so viel Schaden kann sie anrichten.



1. Die Zunge ist ein mächtiges Instrument
(
3,1-5 )


Jak 3,1


Wieder mit der Anrede "liebe Brüder" eröffnet Jakobus seine Argumentation zugunsten einer vernünftigen Begrenzung der Zahl der Lehrer . Offensichtlich hatten sich zu viele der neubekehrten Judenchristen zu Lehrern und damit auch zur Würde und zum Rang eines "Rabbis" berufen gefühlt. Es ist unwahrscheinlich, daß Jakobus hier von offiziellen Lehrern im Range von Aposteln oder Propheten spricht. An dieser Stelle ist vielmehr von den inoffiziellen Lehrern ( didaskaloi ) bei den Zusammenkünften der Kirchengemeinschaft die Rede, bei denen es selbst Fremden gestattet war, das Wort zu ergreifen. Der Apostel Paulus machte häufig von diesem Recht, das Besuchern der jüdischen Synagoge eingeräumt wurde, Gebrauch. Jakobus beklagt hier einfach, daß zu viele Gläubige allzu begierig sind, vor der Gemeinde zu sprechen und sich zu produzieren (vgl. Joh 3,10; 9,40-41 ).

Natürlich muß das Lehramt ausgeübt werden, doch diejenigen, die die Gemeinde unterweisen, müssen Verantwortungsgefühl für ihre Aufgabe haben in dem Bewußtsein, daß sie ein desto strengeres Urteil empfangen werden . Ein Lehrer wird nach strengeren Maßstäben beurteilt, weil er, nachdem er öffentlich dazu steht, genau zu wissen, was die Pflicht der Menschen ist, um so mehr gehalten ist, seine Erkenntnis auch zu befolgen.


Jakobus

Jak 3,2


Jakobus deutet hier nicht mit dem Finger auf diejenigen, die dieses Gebot verletzen, ohne sich selbst in den Tadel mit einzuschließen. Wir verfehlen uns alle mannigfaltig . Nichts scheint dabei so gefährlich für einen Gläubigen wie eine vorschnelle Zunge. Wenn er sich aber im Wort nicht verfehlt (wörtlich "nicht strauchelt") , ist er ein vollkommener Mann , eine reife, vollendete Persönlichkeit (teleios aner). Er kann auch den ganzen Leib im Zaum halten . Geistliche Reife setzt also ein Zähmen der eigenen Zunge voraus.


Jakobus

Jak 3,3-5


Die Zunge ist nur ein sehr kleiner Körperteil, aber sie kann viel bewirken. Das wird an drei Beispielen deutlich: dem Zaum des Pferdes, dem Ruder des Schiffes und dem kleinen Feuer, das den Wald in Brand setzen kann. Die Reichhaltigkeit von Bildern aus der Natur, derer sich Jakobus auch hier wieder bedient, erinnert an die Rede des Herrn, ist aber genauso typisch für das jüdische Denken. Der Wortgebrauch des Urtextes in dieser Passage gemahnt an die griechische Klassik und ist äußerst kunstvoll. Jakobus war also sowohl in der jüdischen Tradition als auch in der altgriechischen Literatur bewandert.

Die Pointe der verschiedenen Beispiele ist eindeutig: Wie der kleine Zaum, der den Pferden ins Maul gelegt wird, ihren ganzen Leib (lenken) kann, wie kleine Ruder große Schiffe steuern und ein kleines Feuer einen ganzen Wald verzehrt, so ist die Zunge ein kleines Glied und richtet große Dinge an.


Jakobus

2. Die Zunge ist ein Instrument der Verderbtheit
(
3,6 - 8 )


Jak 3,6


Die Zunge kann nicht nur sehr viel bewirken, sie wird auch in der Tat oft zu bösen Zwecken mißbraucht. Bei all ihrer Kleinheit können ihre Auswirkungen doch verheerend sein. Die Zunge ist ein Feuer (vgl. Spr 16,27;26,18-22 ), eine Welt voll Ungerechtigkeit . Sie tut sich dadurch unter den Gliedern hervor ( kathistatai ), daß sie den ganzen Leib verdirbt oder befleckt ( spilousa ; vgl. aspilon , "unbefleckt", in Jak 1,27 ) und die ganze Welt ( ton trochon tEs geneseOs , "Lauf des Lebens") in Brand setzt. Es ist, als ob die Zunge wie ein Rädchen im Zentrum des Laufs der Natur sitzt: Wie bei einem Feuerwerk wird das ganze von der Mitte her entzündet . Je stärker es brennt, desto schneller dreht sich das Feuerrad und versprüht Funken in alle Richtungen. Doch die Zunge ist nur die Zündschnur; der eigentliche Ursprung des tödlichen Feuers ist die Hölle selbst (wörtlich: "Gehenna", ein Ort im Hinnomtal südlich von Jerusalem, an dem Menschenopfer dargebracht worden waren [ Jer 7,31 ] und das durch den dort ständig verbrennenden Unrat der Stadt gut als Bild für den Feuersee dienen konnte).


Jakobus

Jak 3,7


Aber die Zunge ist nicht nur wie ein uneingedämmtes Feuer, sie ist auch wie ein ungezähmtes wildes Tier. Jede Art ( physis ) von wilden Tieren - Vögel in der Luft, Schlangen auf dem Land und Seetiere - werden gezähmt und sind gezähmt vom Menschen (wörtlich "von der menschlichen Natur", physis ; die "Natur des wilden Tieres" wird also von der "menschlichen Natur" gezähmt). Doch kein Mensch kann seine Zunge beherrschen!


Jakobus

Jak 3,8


Die Zunge kann kein Mensch zähmen , denn sie ist ein unruhiges Übel, ein ruheloses, unstetes, schwankendes Etwas (wie der "Zweifler" in Jak 1,8 ). Schlimmer noch: Die Zunge ist voll tödlichen Giftes (vgl. Ps 140,4 ). Wie das Gift einer Schlange ist die Zunge durchtränkt von Haß und todbringendem Geschwätz.


Jakobus

3. Die Zunge ist ein unreines Instrument
(
3,9 - 12 )


Jak 3,9-10


Wie die gespaltene Zunge einer Schlange kann die ungezähmte Zunge des Menschen sowohl loben als auch Flüche ausspeien. Das "Lob" ( eulogoumen , "ein gutes Wort sagen") für den Herrn und Vater (dies ist die einzige Stelle im Neuen Testament, in dem dieser Titel für Gott verwendet wird) ist verunreinigt durch den "Fluch" ( katarOmetha , "Böses wünschen") über die Menschen, die nach dem Bilde Gottes gemacht sind (vgl. 1Mo 1,27; 9,6; Kol 1,10 ). Daß beides, loben und fluchen ... aus einem Munde kommt, ist eigentlich unvereinbar. Jakobus mahnt deshalb: Das soll nicht so sein, liebe Brüder.


Jakobus

Jak 3,11-12


Wieder wendet er sich den Naturelementen zu, um seine Ausführungen anschaulicher zu machen. Eine verneinende Antwort voraussetzend, fragt er: Läßt auch die Quelle aus einem Loch süßes (glyky) und bitteres (pikron ) Wasser fließen oder hervorströmen? Kann auch ... ein Feigenbaum Oliven oder ein Weinstock Feigen tragen? Natürlich ist das nicht möglich. Genauso wenig kann eine salzige ( halykon ) Quelle süßes ( glyky ) Wasser geben . Es ist klar, was der Apostel damit sagen will: Die Zunge eines Gläubigen soll nicht zu dem christlichen Wesen völlig entgegengesetzten Reden mißbraucht werden.

Das kleine, aber wirksame Instrument muß beherrscht werden. Seine dämonische und verderbliche Kraft muß eingeschränkt und die bittere und uneindeutige Rede muß bereinigt werden.


Jakobus

B. Rechte Gesinnung
(
3,13 - 18 )


Ein Schlüssel zum rechten Reden ist das rechte Denken. Die Zunge ist zwar im Käfig der Zähne und Lippen gefangen, aber sie entschlüpft dennoch. Nicht die Intelligenz kann diesen Käfig sicher verschließen, sondern die Weisheit - eine Weisheit, die gekennzeichnet ist durch Demut, Großzügigkeit und Friedfertigkeit.



1. Die Weisheit ist demütig
(
3,13 )


Jak 3,13


Jakobus stellt die rhetorische Frage: Wer ist weise und klug unter euch? "Weise" ( sophos ; vgl. sophias in Jak 1,5 ) ist die Kennzeichnung eines Menschen mit moralischer Einsicht und der Fähigkeit, mit den praktischen Dingen des Lebens fertigzuwerden. "Klug" ( epistEmOn ) bezieht sich auf die geistige Wachheit und denkerische Schärfe.

Der zeige es, ohne große Worte zu machen. Die Weisheit wird an Taten gemessen. Es geht nicht darum, sich die Wahrheit in Vorlesungen anzueignen, sondern diese Wahrheit im Leben anzuwenden. Der wahrhaft Weise zeigt mit seinem guten Wandel seine Werke in Sanftmut und Weisheit oder in "weiser Sanftmut" ( prautEti sophias ). Der wahrhaft Weise ist demütig.


Jakobus

2. Die Weisheit ist großzügig
(
3,14 - 16 )


Jak 3,14


Wirkliche Weisheit läßt keinen Raum für bittern Neid ("heftige Eifersucht") oder für Streit ("kleinliche Rivalität"; erithian , von eritheuO , "Wolle spinnen" und damit für den persönlichen Gewinn arbeiten). Das ist nichts, dessen man sich rühmen könnte. Vielmehr lügt , wer sich einer solchen Haltung rühmt ( katakauchasthe , "sich großtun"). Er spricht der Wahrheit zuwider .


Jakobus

Jak 3,15-16


Neid und Konkurrenzdenken sind klare Anzeichen dafür, daß die sogenannte Weisheit nicht von oben (vgl. Jak 1,17 ) stammt, sondern irdisch, niedrig ( psychikE , "natürlich, sinnlich") und teuflisch ( daimoniOdEs ) ist. Neid und Streit oder Konkurrenzdenken können nur zu Unordnung oder Verwirrung führen und lauter böse Dinge hervorbringen. Ein wirklich weiser Mensch ist nicht auf äußere Anerkennung oder Erfolg angewiesen, er ist großzügig und freigiebig.


Jakobus

3. Die Weisheit ist friedfertig
(
3,17 - 18 )


Jak 3,17


Die Weisheit aber von oben her (vgl. "von oben herab"; Jak 1,17 ) ist zuerst lauter oder "heilig" (hagne), dann friedfertig, gütig oder "nachsichtig", läßt sich etwas sagen (eupeithes; das Wort taucht nur an dieser einen Stelle im Neuen Testament auf), ist reich an Barmherzigkeit und guten Früchten, unparteiisch (wörtlich "ohne Unsicherheit"; vgl. "zweifle nicht" in Jak 1,6 ) und ohne Heuchelei .


Jakobus

Jak 3,18


Die Saat, die schließlich die Frucht der Gerechtigkeit hervorbringt, ist der Friede . Der wahrhaft Weise ist friedfertig.

Um "Gerechtigkeit", geistliche Reife und ein Leben der Heiligung zu erlangen - das Grundthema des ganzen Jakobusbriefes - muß der Gläubige lernen, sich mit Bedacht zu äußern. Eine einnehmende Redeweise entspringt nur einem weisen Geist, und eine beherrschte Redeweise ist nur da möglich, wo das Denken in geordneten Bahnen verläuft. Ein Mund voller Lob kommt aus einem Geist voller Reinheit.

Der Gläubige muß also Vertrauen haben ( Jak 1 ), Barmherzigkeit üben ( Jak 2 ) und überlegt reden ( Jak 3 ). Er muß sein, wie Gott ihn haben möchte, handeln, wie Gott es von ihm erwartet, und reden, wie es Gott wohlgefällig ist.


Jakobus

IV. Zeigt Reue
( Jak 4 )


Streitigkeiten, Kämpfe, Haß und Begierde, Neid und Stolz und Sünde - all das sind Begriffe, die wie Tintenkleckse über diese Zeilen des Jakobusbriefes verteilt sind. In schroffem Kontrast zu den Schlußworten von Kapitel 3 - "die Frucht der Gerechtigkeit aber wird gesät in Frieden für die, die Frieden stiften" - beginnt Kapitel 4 mit den Worten "Kampf und Streit". Jakobus stellt diese verächtlichen Verhaltensweisen echtem Heldenmut gegenüber. Er gibt klare Verhaltensmaßregeln, wie man die Stürme bändigen kann, die dem geistlichen Wachstum und der geistlichen Reife so abträglich sind. Der Gläubige muß Haß in Demut, Ungerechtigkeit in Gerechtigkeit und Selbstüberhebung in Glauben verwandeln.



A. Wandlung von Haß in Demut
(
4,1-6 )


Jakobus ist aufs höchste darüber empört, daß es unter den Anhängern Jesu zu Streitigkeiten und Auseinandersetzungen kommt. Der strenge Ton, in dem dieser ganze Abschnitt gehalten ist, wird noch unterstrichen durch das Fehlen der Anrede "meine lieben Brüder", die Jakobus an anderer Stelle immer wieder gebraucht. Er deckt im folgenden die Ursache der Konflikte auf, schildert die Konsequenzen, die sich aus den Streitigkeiten ergeben, und schlägt eine Lösungsmöglichkeit vor.



1. Die Ursache des Konflikts
(
4,1-2 )


Jak 4,1


In für ihn typischer Weise leitet Jakobus diese neue Passage mit einer rhetorischen Frage ein: Woher kommt der Kampf ( polemoi , "Kriegszustand") unter euch, woher der Streit ( machai , "persönliche Auseinandersetzungen oder Streitigkeiten")? Der Apostel beantwortet seine Frage sogleich: Kommt's nicht daher, daß in euren Gliedern die Gelüste gegeneinander streiten? Der Konflikt entsteht also aus ( ek ) inneren, sinnlichen Begierden oder Vergnügungslust ( hEdonOn ; vgl. V. 3 ). Der Hedonismus, die Philosophie des unbedingten persönlichen Genusses, die das Vergnügen zum höchsten Ziel des Menschseins macht, führt noch immer zu Kämpfen in den Herzen der Menschen.


Jakobus

Jak 4,2


Kampf ist das Ergebnis unerlaubter Wünsche. Begierde führt zu Mord. Begehrlichkeit bringt schließlich Frustration über die Nichterfüllung der heißersehnten Wünsche hervor. All dies endet mit dem "Kampf" und "Streit", die im Menschen "gegeneinander streiten". Die zweite Hälfte von Vers 2 - ihr ... habt nichts, weil ihr nicht bittet - wird am besten zum folgenden Satz gezogen. Jakobus wollte sicherlich nicht sagen, daß der Grund dafür, daß den Begierden der Menschen nicht nachgegeben wird, darin liegt, daß sie es unterlassen, Gott um die Erfüllung ihrer Wünsche zu bitten. Er enthüllte einfach die eigentliche Quelle des Konflikts in den begehrlichen Herzen der Menschen.


Jakobus

2. Die Folgen des Konflikts
(
4,3-4 )


Jak 4,3


Für Christen führt der einzig richtige Weg zur Erfüllung ihrer berechtigten Bedürfnisse über die Bitte an Gott. Ein Grund dafür, daß der Gläubige nicht erhält, worum er gebeten hat, liegt darin, daß er in übler Absicht ( kakOs ) bat. Die Verbform "bittet" , hier mit der Bedeutung "für sich selbst bitten", wird im Folgesatz noch genauer bestimmt: nämlich damit ihr's für eure Gelüste vergeuden könnt . "Gelüste" ist im Griechischen wieder hEdonais (vgl. V. 1 ). Gott wird sich jedoch niemals für die "hedonistische Verschwendung" der Menschen hergeben.


Jakobus

Jak 4,4


Statt seiner gewohnten Anrede "liebe Brüder" fährt Jakobus seine Leser empört an: Ihr Abtrünnigen . Wieder stellt er ihnen eine Frage: Wißt ihr nicht, daß Freundschaft ( philia ) mit der Welt (vgl. "Welt" in Jak 1,27 ) Feindschaft mit Gott ist? Er fügt hinzu: Wer der Welt Freund sein will, der wird Gottes Feind sein (wörtlich "werden"). Das ist schlimmer, als mit leeren Händen dazustehen. Ein rebellischer Christ, der sich in unerlaubter Weise mit der Welt einläßt, steht auf Kriegsfuß mit Gott.


Jakobus

3. Die Beilegung des Konflikts
(
4,5-6 )


Jak 4,5


Dieser Vers ist eine der am schwierigsten zu übersetzenden Passagen im ganzen Jakobusbrief. Die Subjekt-Objekt-Beziehung zwischen den Satzteilen "mit Eifer" und "wachen" sowie "Gnade geben" ist nicht ganz eindeutig. Möglich sind folgende Deutungen: (a) Der Geist, der in euch wohnt, wacht mit Eifer (über euch) und gibt euch um so reichlicher Gnade. (b) Er (Gott) wacht mit Eifer über den Heiligen Geist, der in euch wohnt, und er gibt euch um so reichlicher Gnade (so Luther). (c) Der (menschliche) Geist, der in euch wohnt, wacht eifersüchtig, doch er (Gott) gibt euch um soreichlicher Gnade. Die Lutherübersetzung kommt dem griechischen Text sehr nahe: Mit Eifer wacht Gott über den Geist, den er in uns hat wohnen lassen, und gibt um so reichlicher Gnade .

Doch nicht nur die Übersetzung, sondern auch der Schriftverweis stellt den Exegeten vor Probleme. Die in typischer Weise rhetorisch formulierte Frage "Oder meint ihr, die Schrift sage umsonst?" ( kenOs ) leitet den Abschnitt ein. Der auf verschiedene Weise auslegbare Satz, der darauf folgt, enthält kein wörtliches Zitat irgendeiner Schriftpassage. Man könnte nun annehmen, daß Jakobus sich hier auf irgendein anderes heiliges Buch bezog oder auf eine unbekannte griechische Übersetzung des Alten Testaments oder daß er einfach den allgemeinen Sinn eines Schriftwortes wiedergab. Am plausibelsten scheint es jedoch, davon auszugehen, daß er hier bereits auf die Äußerung in Vers 6 Bezug nimmt, die eindeutig aus Spr 3,34 stammt: "Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade" (dasselbe Zitat findet sich in 1Pet 5,5 ).


Jakobus

Jak 4,6


So problematisch sich Vers 5 auch darstellen mag, die Aussage von Vers 6 ist vollkommen klar: Gott widersteht den Hochmütigen . Die Verbform "widersteht" ist im Griechischen antitassetai , ein Begriff aus dem militärischen Sprachgebrauch, der soviel heißt wie "kämpfen gegen". Den Demütigen dagegen gibt Gott Gnade . Ob der Gläubige nun dazu aufgefordert ist, seinem menschlichen Geist zu widerstehen, der zu Eifersucht tendiert, oder dazu, sich am Heiligen Geist zu freuen, der mit Eifer nach seiner geistlichen Erbauung strebt, es gilt auf jeden Fall, Hochmut zu vermeiden und sich in Demut Gottes Autorität zu unterstellen. Die Lösung für alle menschlichen Streitigkeiten und Konflikte ist ein demutsvoller Geist, der durch Gottes unverdiente Gnade belohnt wird. In Vers 7 - 12 zeigt Jakobus noch weiter, wie Demut mit einem friedfertigen Urteil über andere zusammenhängt.


Jakobus

B. Wandlung von Ungerechtigkeit in Gerechtigkeit
(
4,7 - 12 )


Offensichtlich neigten die jüdischen Gläubigen, an die Jakobus schrieb, nicht nur zu Gezänk und Eifersüchteleien untereinander, sondern auch dazu, andere zu verurteilen. Dabei fordert Gott von den Menschen Gerechtigkeit und nicht, daß sie über andere zu Gericht sitzen. Ein aufrichtiges und rechtschaffenes Miteinander ist wesentlich für das geistliche Wachstum. Jakobus rät deshalb zum Bemühen um Gerechtigkeit, zeigt ihre Vorteile auf und verweist schließlich auf ihren göttlichen Urheber.



1. Aufforderung zur Gerechtigkeit
(
4,7 - 9 )


Jak 4,7


In den Versen 7 - 9 feuert Jakobus eine geballte Ladung von Anweisungen auf seine Leserschaft ab (zehn Aorist Imperative), deren Befolgung zu Harmonie und Heiligung beiträgt. Der Apostel fordert von seinen Lesern Gehorsam (V. 7 ), Reinigung (V. 8 ) und Reue (V. 9 ).

Der Ruf zum Gehorsam hat wie ein Magnet zwei Pole, einen positiven und einen negativen: Seid ... Gott untertan und widersteht dem Teufel . Das griechische Verb, das hier mit "untertan sein" wiedergegeben ist, stammt aus dem militärischen Sprachgebrauch und bedeutet "unterstellt sein", "Gehorsam leisten". "Widersteht" ( antistEte ) heißt soviel wie "stellt euch gegen" den Satan, so flieht er vor euch .


Jakobus

Jak 4,8


Statt dessen naht euch zu Gott, so naht er sich auch zu euch . Wer sich jedoch Gott nähern will, der muß sich zuvor reinigen: Reinigt die Hände, ihr Sünder, und heiligt eure Herzen, ihr Wankelmütigen . Beide Verben, "reinigen" und "heiligen", beziehen sich auf die zeremonielle Reinigung, wie sie im Judentum bekannt war, und waren daher für Judenchristen sicherlich besonders einsichtig. Die Notwendigkeit der Reinigung der Gläubigen wird schon aus der Anrede, mit der Jakobus seine Leser anspricht, "ihr Sünder" und "ihr Wankelmütigen" ( dipsychoi ; vgl. Jak 1,8 ), deutlich.


Jakobus

Jak 4,9


Das Bewußtsein der eigenen Reinigungsbedürftigkeit läßt keinen Raum für Freude. Jammert und klagt und weint , rät Jakobus seinen Lesern ganz ungeschminkt. Ersetzt das Lachen durch Weinen und die Freude durch Traurigkeit (wörtlich "niedergeschlagene Augen"). Ein zerknirschter Geist, der bereit ist, seine Verfehlung zu bekennen, ist wesentlich für Gottes reinigendes Werk.


Jakobus

2. Der Nutzen der Gerechtigkeit
(
4,10-11 )


Jak 4,10


Wiederum ist der Schlüssel die Demut. Demütigt euch vor dem Herrn, so wird er euch erhöhen . Der Weg nach oben führt über die Selbsterniedrigung, denn der Niedrige wird erhöht. Die Demut bringt letztlich großen Nutzen für den Gläubigen, ja sie bringt ihn zu Ehren.


Jakobus

Jak 4,11


Andere zu verleumden oder zu verurteilen ist völlig unvereinbar mit der demütigen und bescheidenen Gesinnung, die Gott von den Gläubigen erwartet. Ein Urteil über einen anderen zu fällen ist im Grunde nichts anderes, als sich ein Urteil über Gottes Gesetz anzumaßen. Dieses Gesetz aber ist bindend für alle Menschen. Niemand darf wagen, sich darüber zu erheben. Der Verleumder fällt somit selbst unter das Urteil des Gesetzes; der selbsternannte Richter wird vom Gesetz bedroht; nur der Demütige kommt zu Ehren. Wahre Gerechtigkeit ist da, wo der Gläubige sich selbst Gott in Demut und Gehorsam unterwirft.


Jakobus

3. Der Urheber der Gerechtigkeit
(
4,12 )


Jak 4,12


Nur einer ist über dem Gesetz. Er allein hat das Recht, es zu verändern oder aufzuheben. Gott ist der Gesetzgeber und Richter . "Gesetzgeber" ist ein zusammengesetztes Substantiv, das nur an dieser einen Stelle im Neuen Testament vorkommt ( nomothetEs , von nomos , "Gesetz", und tithEmi , "aufstellen, konstituieren, niederlegen"). Gott hat das Gesetz nicht nur gestiftet, er überwacht auch seine Durchführung. Er steht sowohl für die Exekutive als auch für Jurisdiktion der göttlichen Regierung. Er ist der König, setzt sein Gesetz ein und macht es bekannt. Gott ist der "Richter", er hütet das Gesetz und verschafft ihm Geltung. Er (kann) selig machen und verdammen . Es gibt also einen Urheber des Gesetzes, einen Richter über das Gesetz und einen Retter, der vor der Verurteilung durch das Gesetz retten kann. Diese Erinnerung an eine Wahrheit, die den jüdischen Lesern des Jakobus sicherlich wohlbekannt war, war zugleich ein Tadel für ihre hochmütige Einstellung und ihre selbstherrliche Verurteilung anderer. Wer aber bist du, daß du den Nächsten verurteilst? Das ist eine weitere der typischen rhetorischen Fragen des Jakobus, denen der Leser sich kaum entziehen kann. Eine demütige Haltung und eine um Gerechtigkeit bemühte Handlungsweise sind wesentlich für das geistliche Wachstum des Gläubigen. Jakobus zeigt im folgenden, wie diese beiden wichtigen Elemente christlicher Lebensführung gegen die leere Prahlerei im Streit liegen.

Jakobus

C. Wandlung von Selbstüberhebung in Glauben
(
4,13 - 17 )


Neben den Streitigkeiten und dem Hang, andere zu verurteilen, tendierten die Leser, an die sich Jakobus mit seinem Schreiben richtet, offenbar zur Prahlerei. Der Apostel zeigt, wie die Äußerungen der Prahler aussehen, verurteilt ihr Verhalten und schließt auch hier mit einer praktischen Anweisung, wie ein solches Verhalten zu vermeiden ist.



1. Die Selbstüberhebung
(
4,13 )


Jak 4,13


Jakobus kommt sofort zur Sache: Die Wendung "und nun" kehrt in Jak 5,1 nochmals wieder. Es ist ein umgangssprachlicher Ausdruck, der im Neuen Testament nur von Jakobus gebraucht wird. Diese Interjektion sollte ihm die ungeteilte Aufmerksamkeit der Leser sichern. Jakobus knöpft sich bei seinem Angriff den typischen Geschäftsmann vor, der die Rechnung ohne Gott macht. Mit größter Selbstverständlichkeit plant er Reisen: Heute oder morgen wollen wir in die oder die Stadt gehen , teilt seine Zeit ein: und wollen ein Jahr dort zubringen , und verfolgt seine geschäftlichen Ziele: und Handel treiben und Gewinn machen . "Handel treiben" kommt von dem zusammengesetzten Verb emporeusometha (von en, "in", und poreuomia , "gehen"). Es ist verwandt mit dem Substantiv emporos , "Kaufmann, Händler, Vertreter oder Hausierer". Ein anschauliches Beispiel für den jüdischen Kaufmann, den Jakobus hier zurechtweist, wäre ein rücksichtsloser Vertreter, der nur darauf aus ist, den Leuten etwas zu verkaufen, um seinem höchsten Ziel zu huldigen: Geld zu machen.


Jakobus

2. Die Ächtung der Selbstüberhebung
(
4,14 )


Jak 4,14


Diesen umtriebigen Geschäftemachern hält Jakobus vor: Ihr wißt nicht, was morgen sein wird . Die Pläne der Menschen sind immer nur vorläufig. Sie sind nicht Herr über das, was kommen wird, und über die Zeit, ja, ihr ganzes Leben gehört nicht eigentlich ihnen. Jakobus stößt mit einer weiteren Frage nach: Was ist euer Leben? Die Antwort ist: Ein Rauch (Dunst, Dampf). Es ist nötig, daß sich die Gläubigen diesen göttlichen Blickwinkel auf ihrer irdischen Reise zu eigen machen. Eine solche Perspektive erstickt jede Prahlerei noch in dem Keim des Hochmuts, aus dem sie entspringt.


Jakobus

3. Die Auflösung der Selbstüberhebung
(
4,15 - 17 )


Jak 4,15


Entscheidend zur Vermeidung aller Selbstüberhebung ist es, die Dinge von Gottes Standpunkt aus zu betrachten. Statt große Pläne auf menschlicher Ebene zu machen, sollte man seinen Blickwinkel so weit erweitern, daß auch Gott ins Bild kommt. Statt hohler Großtuerei sollte man sagen: Wenn der Herr will, werden wir leben und dies oder das tun. Das ist nicht eine Art Zauberformel, sondern eine realistische Einstellung, die sich auf das ganze Wesen und Verhalten auswirkt.


Jakobus

Jak 4,16


Um sicherzugehen, daß seine Leser das Gesagte auch wirklich verstanden haben, wiederholt Jakobus, daß Rühmen ... böse (ist) . Selbstverliebte Prahlerei muß durch Gottvertrauen ersetzt werden. Das beste Heilmittel gegen alles Großtun ist der Glaube.


Jakobus

Jak 4,17


Der Schlußsatz von Kapitel 4 : Wer nun weiß, Gutes zu tun, und tut's nicht, dem ist's Sünde , bezieht sich wahrscheinlich nicht nur auf die Selbstüberhebung, sondern auf alle Verhaltensanweisungen, die bisher im Jakobusbrief erteilt wurden - eine Annahme, die auch durch das Wörtchen "nun" ( oun , wörtlich "deshalb") gestützt wird. Die Leser des Briefes können nicht vorgeben, von nichts gewußt zu haben. Der ganze Brief steckt voller Ermahnungen zum rechten Verhalten. Wer diesen Anweisungen nicht nachkommt, begeht eindeutig eine Sünde.

Um zu geistlicher Reife zu gelangen, muß der Gläubige das Gute, das er nun kennt, tun. Er muß sich auch in Anfechtungen und Versuchungen vertrauensvoll auf Gottes Wort verlassen. Er muß seinen Brüdern Barmherzigkeit erweisen und sich dabei nicht von Vorurteilen, sondern von einem tätigen Glauben leiten lassen. Er muß seine Zunge und seine Gedanken im Zaum halten und besonnen und weise auftreten. Er muß sich dem allmächtigen Vater, Gesetzgeber und Richter reuig und in Demut, in dem Bemühen um gerechtes Handeln und mit vertrauendem Herzen nähern. Er muß sein, wie Gott ihn haben möchte, tun, was Gott von ihm erwartet, sprechen, wie es Gott wohlgefällig ist, und gesinnt sein, wie Gott es verlangt.


Jakobus

V. Sorgt füreinander
( Jak 5 )


Jakobus setzt in diesem Kapitel seinen Angriff auf die selbstbewußten Kaufleute fort, die in ihren Geschäftsvorhaben Erfolg zu haben scheinen und nicht nur Profit machen, sondern aufgrund ihres angehäuften Vermögens auch als reich gelten. Diesen Reichtum erklärt Jakobus für vergänglichen Tand. Der Zugang zu Gott führt über das Teilen in der Gemeinschaft, nicht über das Anhäufen von Besitztümern. All jenen, die möglicherweise Opfer der rücksichtslosen Lebensweise der Reichen waren oder sich vielleicht versucht fühlen, sich ähnlich kurzsichtigen Zielen zu verschreiben, empfiehlt Jakobus ein geduldiges Ausharren. Am Ende ruft er alle Gläubigen, die mit Glücksgütern Gesegneten, die Beladenen und die Benachteiligten, zu Lob, Gebet und festem Glauben auf.

Die Schlußbemerkungen konzentrieren sich auf das Miteinander in der Gemeinschaft - das Teilen des Besitzes, das gemeinsame Ausharren in Geduld und das gemeinsame Gebet.



A. Gemeinsamer Besitz
(
5,1-6 )


Der schon am Ende von Kapitel 4 anklingende Gedanke wird in Kapitel 5 genauer und strenger weitergeführt. Die Reichen werden angeprangert. Jakobus scheint hier alle reichen Leute im Blick zu haben, sowohl Gläubige (vgl. Jak 1,10 ) als auch Ungläubige (vgl. Jak 2,6 ). Er richtet keinen Appell zur Umkehr an sie, lediglich die Drohung, daß gehorteter Reichtum zu einem Ende mit Schrecken führen wird.



1. Das Elend des Reichtums
(
5,1 )


Jak 5,1


Dieselbe Interjektion wie in Jak 4,13 leitet auch diesen Vers ein: Und nun . Die Reichen , die so oft von den anderen beneidet werden, sind für Jakobus ein Gegenstand der Verachtung und Verurteilung. Er wendet sich gegen all jene, die ihr Vertrauen hochmütig auf Dinge setzen, die dem Verfall anheimgegeben sind: Weint und heult ( klausate , vgl. Jak 4,9 ,und ololyzontes , ein lautmalerisches Verb, das nur an dieser einen Stelle im Neuen Testament vorkommt). Geld bringt nur vorübergehendes Glück und wird in Elend ( talaipOriais , von talaO , "erdulden", und pOros , "Verhärtung") enden.


Jakobus

2. Die verderbliche Wirkung des Reichtums
(
5,2-3 )


Jak 5,2-3


Der größte Reichtum verrottet, und die schönsten Kleider können von Motten zerfressen werden. Es geht im Leben - wenn man das Ganze im Blick hat - nicht um den Aufstieg von Armut zu Reichtum, sondern im Gegenteil um den Abstieg vom Reichtum zur Armut. Gold und Silber sind die begehrtesten Edelmetalle, die lange Zeit in der ganzen Welt als materieller Maßstab galten. Sie rosten zwar nicht, doch auch sie sind vergänglich. Gold und Silber können anlaufen. Ihr Rost (ios, "Gift"; vgl. Jak 3,8; Röm 3,13 ) legt Zeugnis ab für die Narrheit des reichen Mannes und wird sein Fleisch fressen wie Feuer . Wie Edelmetalle ihren Glanz verlieren, so verzehrt das Gift der Gier die Menschen. Die Korrosion der Schätze bezeugt die ungesunde Gesinnung dessen, der sie angehäuft hat. Das Horten von Schätzen für die letzten Tage liefert dem Feuer, das die Verlorenen verzehren wird, nur zusätzlichen Brennstoff.


Jakobus

3. Die Verurteilung des Reichtums
(
5,4 - 6 )


Jak 5,4-5


Es ist nicht der Reichtum an sich, der hier verurteilt wird, sondern die Geldgier und die krummen Wege, auf denen er erworben wurde. Gott ist nicht taub für die schreiende Ungerechtigkeit nicht ausgezahlter Löhne und die Ausbeutung der Arbeiter durch die Reichen. Die Judenchristen wußten sehr wohl, daß das Gesetz es verbot, Löhne zurückzuhalten ( 3Mo 19,13; 5Mo 24,15 ) und die Armen zu unterdrücken ( Spr 3,27-28; Am 8,4-6; Mal 3,5 ). Ein Leben in Luxus ( etryphEsate , "ein leichtes Leben führen"; das Wort steht nur an dieser einen Stelle im Neuen Testament), das nur der Befriedigung der eigenen Bedürfnisse gewidmet ist ( espatalEsate , "den eigenen Begierden leben"; das Wort steht außer an dieser Stelle nur noch in 1Tim 5,6 ), kommt dem Mästen des Viehs für den Schlachttag gleich. Für die Judenchristen, die so oft Zeuge geworden waren, wie sich das Schicksal der gemästeten Schafe und Ochsen am Tag ihrer Opferung erfüllte, war dieses zynische Bild sicherlich äußerst eindrucksvoll.


Jakobus

Jak 5,6


In der Jagd nach Reichtum machten die Reichen von ihrem Einfluß bis hinein in die Rechtsprechung Gebrauch und waren häufig schuld an der Verurteilung und sogar am Tod von Gerechten (im Text Singular, gemeint ist jedoch sicherlich eine ganze Klasse von Menschen), die ihnen keinen Widerstand entgegensetzten. Was zunächst aus Geldgier angezettelt wurde, führte schließlich zu skrupellosem Mord.

Der Gläubige, der wahres geistliches Wachstum sucht, darf sich daher nicht in der Anhäufung von Reichtümern verlieren. Er soll seinen Besitz zur Ehre Gottes und zum Wohl anderer teilen.


Jakobus

B. Mahnung zur Geduld
(
5,7 - 12 )


Von den Reichen wendet sich Jakobus nun den Unruhigen zu. Für diese Gruppe gebraucht er wieder die freundliche Anrede "liebe Brüder". Der Ton seiner Äußerungen wandelt sich von scharfer Verurteilung zu einfühlsamer Ermutigung. Die Reichen tadelt der Apostel in heftigster Form, doch den für seine Worte Empfänglichen spricht er Mut zu. Er bittet sie, geduldig zu sein, definiert das Wesen der Geduld, zeigt ihnen Beispiele geduldigen Ausharrens auf und legt ihnen dar, worin sich wahre Geduld erweist.



1. Das Wesen der Geduld
(
5,7 - 9 )


Jak 5,7


Seid nun (wörtlich "deshalb") geduldig , sagt der Apostel unmittelbar im Anschluß an seine Ausführungen über das Gericht, das die bösartigen Reichen über sich heraufbeschwören. Die griechische Verbform für "seid geduldig", makrothymEsate , setzt sich zusammen aus "lang", makros , und "Gemüt", thymos . Dahinter steht der Gedanke, daß der "Langmütige" sich innerlich auf eine lange Wartezeit einrichtet. Er denkt in großen Zeiträumen, konzentriert sich auf die letzte Phase im Rennen des Lebens und reagiert nicht so schnell mit Ungeduld. Er richtet den Blick auf das Kommen des Herrn . Das Wesen der Geduld wird deutlich an dem Bauern, der geduldig ( makrothymOn ) auf den nötigen Frühregen und Spätregen und auf die kostbare Frucht (wartet) .


Jakobus

Jak 5,8


Die praktische Anwendung dieses Beispiels leuchtet ein. Wie der Bauer soll auch jeder Gläubige geduldig sein und sich innerlich stärken, denn das Kommen des Herrn ist nahe . Der Gedanke an die Wiederkunft des Herrn ( parousia ) sollte eigentlich jedem Gläubigen Geduld und Durchhaltevermögen verleihen.


Jakobus

Jak 5,9


Jakobus ruft seine Glaubensbrüder dazu auf, nicht zu murren, um nicht Strafe auf sich zu ziehen, denn Jesus, der Richter, steht vor der Tür . Angesichts der Hoffnung auf die baldige Wiederkehr Christi sollen die Gläubigen die kleinlichen Streitereien, mit denen sich Jakobus in Kapitel 4 befaßt hat, beilegen. Wie Kinder in einer Schulklasse auf das baldige Eintreten ihres Lehrers warten, sollen auch Gottes Kinder gespannt nach Christus Ausschau halten. Dabei sind Wohlverhalten und ein harmonisches Miteinander in der Gemeinschaft entscheidend.


Jakobus

2. Beispiele für Geduld
(
5,10-11 )


Jak 5,10


Jakobus erinnert seine jüdischen Brüder an die Propheten , die, wenn sie dem Volk in dem Namen des Herrn weissagten, viel litten und große Geduld ( makrothymia , wörtlich "Langmut"; vgl. V. 7 ) aufbringen mußten.


Jakobus

Jak 5,11


Siehe, wir preisen selig ( makarizomen ), die erduldet haben. Hier kommt Jakobus auf ein anderes hochverehrtes Beispiel für außerordentliche Geduld zu sprechen: Hiob. Der Herr belohnte die Geduld Hiobs mit großem Segen (vgl. Hi 42,12 ). Interessanterweise sagt Jakobus nicht, daß Hiob makrothymia , "Geduld", hatte, sondern wählt an dieser Stelle das Wort hypomonEn , "Beständigkeit, Ausdauer, Durchhaltevermögen" (vgl. Jak 1,3; Kol 1,11 ). Hiob harrte aus und blieb standhaft, obwohl er eigentlich recht unduldsam mit Gott sprach!

Jakobus faßt zusammen: Der Herr ist barmherzig und ein Erbarmer! Das Adjektiv "barmherzig", polysplanchnos , ist zusammengesetzt aus polys , "viel", und splanchna , "die inneren Teile des Körpers", "der Sitz der Gefühle"; das Wort steht nur an dieser einen Stelle im Neuen Testament. Der Ausdruck "ein Erbarmer" ( oiktirmOn , von dem Verb oikteirO ) kommt ebenfalls nur sehr selten vor (er steht außer an dieser Stelle nur noch in Lk 6,36 ).


Jakobus

3. Der Erweis der Geduld
(
5,12 )


Jak 5,12


Vor allen Dingen aber, meine Brüder , so schließt Jakobus, schwört nicht und legt keinen Eid ab. Diejenigen, die die Beständigkeit und Geduld besitzen, die Gott von den Gläubigen fordert, haben es nicht nötig, einen Eid zu schwören, weder bei dem Himmel noch bei der Erde , um ihr Wort zu bekräftigen. ("Schwören" bezieht sich hier nicht auf den profanen Bereich, sondern auf das Ablegen eines Gelübdes.) Ihr Ja soll ein Ja und ihr Nein ein Nein sein (vgl. Mt 5,37 ). Die bevorstehende Wiederkunft des Herrn, des Richters, der "vor der Tür steht" ( Jak 5,9 ), ist Anlaß genug, ehrlich und vertrauenswürdig zu sein, denn andernfalls verfällt man dem Gericht .


Jakobus

C. Gemeinsames Beten
(
5,13 - 20 )


Zum Schluß kommt Jakobus auf das Gebet zu sprechen. Das Beste, was die Glaubensbrüder einander erweisen können, ist, füreinander zu beten. Das Gebet ist tätige Nächstenliebe. Es ist der "heiße Draht" zu dem, der für alles Abhilfe schaffen kann, ganz gleich, wie komplex das Problem ist oder wie unmöglich eine Lösung scheint. Für das gemeinsame Gebet muß ein Gläubiger ein Gefühl für die Bedürfnisse des anderen haben, sich engagiert für die Lösung seiner Probleme einsetzen und die Bedeutung der Nöte anderer für sich selbst erkennen.



1. Aufmerksamkeit für die Nöte der Gläubigen
(
5,13 )


Jak 5,13


Die beiden schwächsten Punkte der heutigen Kirche sind vermutlich das Gebet und das Lob. Der Grund dafür ist wohl ihr fehlendes Verständnis für den Handlungsbedarf, der hier gegeben ist. Die Tatsache, alles zu haben, was man zum Leben braucht, sollte jedoch immer Anlaß zum Lob Gottes sein. Jakobus macht das mit mehreren Feststellungen deutlich. Leidet jemand unter euch ( kakopathei , "Schlimmes erleiden"; vgl. V. 10 ; hier bezieht es sich auf das Mangel leiden), der bete; ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen ( psalletO , "ein Saitensinstrument spielen"; dieses Verb kommt nur viermal im Neuen Testament vor [vgl. Röm 15,9; 1Kor 14,15; Eph 5,19 ]).


Jakobus

2. Hilfe für die Nöte der Gläubigen
(
5,14 - 18 )


Jak 5,14-16


Doch Jakobus nennt noch einen dritten Punkt: Ist jemand unter euch krank . Dieser Vers gab zu vielen Mißverständnissen Anlaß. Manche Exegeten sehen in dieser Stelle einen Beleg dafür, daß Gesundheit einfach nur erbeten werden muß. Andere ziehen sie zur Rechtfertigung der Praxis der Letzten Ölung heran (ein seit dem 8. Jahrhundert gebräuchliches Sakrament). Wieder andere haben das Vorgehen, das Jakobus hier schildert, mit der Praxis des Gesundbetens ("über ihm beten"), die die ärztliche Behand lung ergänzen kann ("ihn salben mit Öl"), in Verbindung gebracht - also die Verbindung aus Gebet und medizinischer Maßnahme.

Der Kern des Problems liegt in der Bedeutung des Adjektives "krank". Es besteht vom Text her kein Grund, dieses Adjektiv ausschließlich auf körperliche Störungen zu beziehen. Vielmehr heißt das hier verwendete Wort asthenei wörtlich "schwach sein". Es wird zwar in den Evangelien für physische Erkrankungen verwendet, doch in der Apostelgeschichte und in den Briefen bezieht es sich auch ganz allgemein auf einen schwachen Glauben oder ein schwaches Gewissen (vgl. Apg 20,35; Röm 6,19; 14,1; 1Kor 8,9-12 ). Daß es auch an dieser Stelle in der Bedeutung von "schwach" gebraucht ist, läßt sich an einem anderen griechischen Wort, kamnonta , das hier mit "Kranker" übersetzt ist und wörtlich soviel wie "matt, lebensmüde sein" heißt, ablesen (vgl. Hebr 12,3 ,wo ebenfalls diese Bedeutung gemeint ist).

Jakobus spricht hier nicht von den Bettlägerigen oder Kranken, sondern von all denen, die inmitten der Leiden moralisch und geistlich müde geworden sind. Sie sind es, die die Ältesten der Gemeinde als Beistand zu sich rufen sollen. Immerhin waren die Vorsteher der frühkirchlichen Gemeinden angewiesen ( 1Thes 5,14 ), "die Kleinmütigen zu trösten" und "die Schwachen ( asthenOn ) zu tragen".

Nach den Worten des Jakobus sollen die Ältesten über ihm beten und ihn salben mit Öl . Es ist wichtig, daß das Wort "salben" hier aleipsantes ("mit Öl einreiben") und nicht chriO ("zeremoniell salben") ist. Der erstere Begriff gehört in den säkularen Bereich, während der zweite ein "heiliges und religiöses Wort" ist (Richard Chenevix Trench, Synonyms of the New Testament , neunte, überarbeitete Auflage, Grand Rapids 1950, S. 136 - 37). "Jakobus schlägt also keine zeremonielle oder rituelle Salbung als göttliches Heilmittel vor, sondern spricht hier von der üblichen Praxis, Öl als ein Zeichen der Ehrerbietung, aber auch zur Erfrischung und bei der Pflege einzusetzen" (Daniel R. Hayden, "Calling the Elders to Pray", In: Bibliotheka Sacra 138, 1981, S. 264). So "goß" ( aleiphO ) die Frau duftendes Salböl über Jesu Füße ( Lk 7,38 ). Ein Gastgeber "goß" ( aleiphO ) Öl auf das Haupt seines Gastes ( Lk 7,46 ). Ein Mensch, der lastet, soll sich nicht gehenlassen und seine Körperpflege vernachlässigen, sondern sein Haupt mit Öl salben ( aleiphO ) und sein Gesicht waschen ( Mt 6,17 ). Jakobus will also offenbar darauf hinaus, daß die "Schwachen" (asthenei) und "Matten" ( kamnonta ) von den Ältesten, die Öl auf das Haupt des verzagten Gemeindegliedes gießen und für es beten sollen, erfrischt, ermutigt und aufgerichtet werden.

Auf diese Weise werden die Gefallenen, Entmutigten und Betrübten getröstet und das Gebet des Glaubens , das die Ältesten über ihm sprechen, wird dem Kranken (wörtlich "dem Schwachen") helfen (d. h., ihn aus seiner Entmutigung und geistlichen Schwäche herausreißen) und der Herr wird ihn aufrichten .

Daß diese Wiederherstellung geistlicher, nicht körperlicher Art ist, geht auch aus der Versicherung hervor: Und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden . Wechselseitige Fürsorge in der Gemeinschaft ist der beste Weg, Entmutigung und Krisen bei den einzelnen Mitgliedern entgegenzutreten. Die Heilung liegt im persönlichen Sündenbekenntnis und im Gebet füreinander. Dabei handelt es sich nicht um eine körperliche Heilung ( daß ihr gesund werdet ), sondern um die Heilung der Seele ( iathEte ; vgl. Mt 13,15; 1Pet 2,24; Hebr 12,13 ). Des Gerechten Gebet vermag viel , es setzt Gottes Hilfe in Bewegung. Das bezieht sich sicherlich auf die beiden Abschlußverse des Jakobusbriefes. Wenn in Jak 5,14-16 tatsächlich von einer rein körperlichen Heilung die Rede wäre, so würden diese beiden Verse überhaupt nicht in den Zusammenhang passen.


Jakobus

Jak 5,17-18


Noch einmal führt Jakobus ein Beispiel an, das seiner jüdischen Leserschaft sicherlich wohlvertraut war. Zuerst sprach er von den Propheten (V. 10 ), dann von Hiob (V. 11 ), und nun stellt er den Propheten Elia in den Mittelpunkt. Er sieht ihn als einen Leidensgenossen: Ein schwacher Mensch wie wir könnte auch übersetzt werden: "Ein Mensch mit denselben Empfindungen" oder "ein Mensch, der dasselbe durchmachte" ( homoiopathEs ; vgl. kakopathei in V. 10.13 ). Elia kannte alle Schwächen der menschlichen Natur, doch er betete ein Gebet ( proseuchE prosEyxato ), d. h., er betete mit Ernst und Inbrunst, und der Regen wurde für eine gewisse Zeit zurückgehalten und strömte dann wieder herab ( 1Kö 17,1; 18,41-46 ). Tiefempfundenes und beständiges Beten ist wesentlich für die christliche Existenz, während das halbherzige Gebet nicht zum Erfolg führen wird (vgl. Jak 1,6-8 ).


Jakobus

3. Die Bedeutung der Nöte der Gläubigen
(
5,19 - 20 )


Jak 5,19-20


Der letzte Appell des Apostels an seine Leser richtet sich mit liebevoller Zuneigung an diejenigen, die anderen beistanden, als sie matt wurden und vom rechten Weg abirrten. Liebe Brüder , schreibt er, "wenn jemand unter euch von der Wahrheit abfällt, und ein anderer bewegt ihn zur Umkehr, so laßt ihn wissen, daß der, der ihn von seinem Irrtum heilt, seine Seele vom Tod erretten und damit viele Sünden bedecken wird" (Übersetzung des Verfassers).

Diejenigen, die den Weg verloren haben, sind die "Kranken" in der Kirchengemeinschaft. Sie sind fortgelaufen. Das griechische Wort an dieser Stelle, planEthE , steht für jemanden, der den Weg verloren und sich hoffnungslos verirrt hat. Von diesem Wort kommt auch der Begriff "Planet", der die Vorstellung vermitteln soll, daß bestimmte Himmelskörper "umherirrende Sterne" (vgl. Jud 1,13 ) sind, im Gegensatz etwa zu den Fixsternen.

Die Abgeirrten müssen in den Schoß der Gemeinde zurückgeführt werden. Jakobus spricht hier nicht von der Evangelisation, sondern von der Rückführung irrender Gemeindeglieder. Es geht um die Wiedererweckung, nicht um die Erlösung. Entscheidend dabei ist, daß diese Menschen zurückgeholt werden. Ein verlorenes Schaf wird vor dem Verderben gerettet und seine Sünden (die Sünden des Wiederhergestellten, nicht des Helfers) werden wie mit einem Schleier bedeckt (vgl. 1Pet 4,8 ). Jetzt kann dieser Mensch auf seinem Weg zu geistlicher Reife weitergehen.

Jakobus hat in seinem Brief klare Anweisungen erteilt, wie die Gläubigen zu praktischer Heiligung und geistlicher Reife gelangen können. Seine aufrüttelnden Ermahnungen zielten auf das Gewissen seiner Leser und sollten seine geliebten jüdischen Brüder innerlich dazu anspornen, vertrauensvoll bei ihrem Glauben auszuharren, anderen gegenüber barmherzig zu sein, ihre Zunge im Zaum zu halten, sich reuig Gott zu unterwerfen und füreinander zu sorgen. Ein Gläubiger soll so sein, wie Gott ihn will, handeln, wie Gott es von ihm erwartet, sprechen, wie es Gott wohlgefällig ist, gesinnt sein, wie Gott es verlangt und seinen Besitz mit anderen teilen. Wahre geistliche Reife umfaßt alle Aspekte des menschlichen Lebens.


Jakobus

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