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Habakuk (J. Ronald Blue)


EINLEITUNG


Mutter Erde mag, von einem Satelliten aus betrachtet, wundervoll aussehen, doch unten auf dem staubigen Globus macht alles einen recht traurigen Eindruck. Ständige Unruhen, zunehmender Terrorismus, wachsende Umweltverschmutzung, immer größere Tragödien, nie dagewesene seelische Erschütterungen, immer schwerere Heimsuchungen und beispiellose Spannungen werfen dunkle Schatten auf die Erdbewohner. Die Welt gleicht mehr und mehr einer bedrohlichen schwarzen Kugel mit fast herabgebrannter Zündschnur - einer zischenden Zeitbombe kurz vor der Explosion.

Es nimmt also kaum wunder, daß denkende Menschen beginnen, Fragen zu stellen. Warum gibt es so viel Unterdrückung? Warum all die Ungerechtigkeit? Warum sind böse Menschen reich? Warum müssen die Guten leiden? Warum unternimmt Gott nichts? Warum bringt er keine Ordnung in das ganze Durcheinander? Warum? Warum? Warum?

Diese drängenden Fragen sind jedoch keineswegs neu. Jahrhunderte, bevor Christus auf diesen Planeten kam, sah ein Prophet auf all die Grausamkeit und Bosheit um sich herum und schrie zu Gott: "Warum läßt du mich Bosheit sehen und siehst dem Jammer zu? Warum siehst du ... den Räubern zu und schweigst, wenn der Gottlose den verschlingt, der gerechter ist als er?" ( Hab 1,3.13 ). Der Prophet fragte nicht nur nach dem geheimnisvollen "Warum?", das die Menschheit quält, er erhielt auch eine Antwort . Die Antwort, die der Schöpfer des Universums ihm gab, ist in dem kleinen Buch Habakuk sorgsam aufgeschrieben.

Habakuk ist ein einzigartiges Buch. Die anderen Propheten überbrachten den Menschen eine Botschaft Gottes - Habakuk sprach mit Gott über die Menschen. Die meisten Propheten des Alten Testaments verkündigten das göttliche Strafgericht - Habakuk aber rief nach Gottes Schiedsspruch. Anders als die übliche Anklageschrift ist dieses kleine Buch ein fesselnder Dialog zwischen einem zutiefst verwirrten Propheten und seinem Schöpfer.

Dabei handelt es sich hier nicht etwa um ein beiläufiges Interview mit Gott - Habakuk geht weit darüber hinaus. Im ersten Kapitel entwickelt sich das Zwiegespräch . Im zweiten folgt, als Antwort auf die Klagen des Propheten, das Gebot des Herrn: "Schreib auf, was du geschaut hast" ( Hab 2,2 ). Gottes Erklärung enthält ein relativ langes Klage- oder Spottlied mit fünf Weherufen über die gottlosen Babylonier. Das dritte Kapitel schließlich gipfelt in einer großartigen Doxologie , einem Lobgesang. Dem immerwährenden "Warum?" steht ein immerwährendes "Wer!" gegenüber. Der Blick nach vorn mag zwar Schrecken verursachen, doch der Blick nach oben gibt Zuversicht. Klage und Furcht des Propheten lösen sich auf in Glauben und Vertrauen. Damit ist der Kern von Habakuks Botschaft ausgesprochen: "Der Gerechte aber wird durch seinen Glauben leben" ( Hab 2,4 ).



Autor


Wir wissen wenig über den Propheten Habakuk. Das Buch nennt nur seinen Beruf und seinen Namen, der zu vielen Vermutungen Anlaß gegeben hat. Die meisten Forscher führen ihn auf das hebräische Verb HABaq , "die Hände falten, umarmen", zurück. Doch ist das aktivisch oder passivisch gemeint? Ist er der "Umarmende" oder der "Umarmte"? Luther deutet das Wort aktiv - in seinen Augen umarmt Habakuk sein Volk, um es zu trösten und zu stärken. Nach Jerome "umfaßt" Habakuk das Problem der göttlichen Gerechtigkeit in einer gottlosen Welt. Andere geben der passivischen Bedeutung den Vorzug - danach wird Habakuk von Gott als sein Kind und Bote umarmt. Erst kürzlich wurde in der akkadischen Literatur, in Texten aus Mesopotamien, das Wort ]ambaququ gefunden, wahrscheinlich die Bezeichnung einer Gartenpflanze. Daraus folgern manche Wissenschaftler, daß der Name des Propheten ein Beweis für den Einfluß Assyriens und Babylons auf Israel ist oder daß Habakuk aus einer israelitisch-assyrischen Mischehe stammte.

Was immer sein Name bedeuten mag - Habakuk war ein Prophet. Die Überschriften der anderen prophetischen Bücher enthalten meist bestimmte Hinweise oder Informationen: den Namen des Vaters des Propheten ( Jes 1,1 ), die Namen der Könige, in deren Regierungszeit er lebte ( Hos 1,1 ), oder seine Heimatstadt ( Am 1,1 ). Nur drei Verfasser des Alten Testaments werden jedoch als "Propheten" bezeichnet: Habakuk, Haggai und Sacharja. Habakuk ist also der einzige präexilische Prophet, der als solcher vorgestellt wird.

Obwohl Habakuk ausdrücklich ein Prophet genannt wird, weist sein Buch im Stil eher Ähnlichkeit mit den Psalmen oder anderen Lehrbüchern auf. Die Schlußbemerkung "Vorzusingen, beim Saitenspiel" ( Hab 3,19 ) legt die Annahme nahe, daß er Musiker in der levitischen Priesterschaft war. In den apokryphen Stücken zum Buch Daniel (Bel und der Drache) wird Habakuk als der Sohn Jeschuas, vom Stamme Levi, bezeichnet. Es handelt sich dabei um eine Sage, nach der dem Propheten angeblich von einem Engel befohlen wurde, Daniel, der ein zweites Mal in die Löwengrube geworfen worden war, eine Mahlzeit zu bringen. Als Habakuk sich beklagte, daß er den Ort nicht kenne, soll der Engel den Propheten am Schopf gepackt haben und mit ihm zu Daniel geflogen sein.

In der rabbinischen Tradition gilt Habakuk als der Sohn der in 2Kö 4 erwähnten schunemitischen Frau, den Elisa vom Tode auferweckte. Diese Theorie stützt sich anscheinend lediglich auf die Bedeutung von Habakuks Namen, "umarmen", und auf Elisas Worte an die Schunemiterin, sie werde übers Jahr einen Sohn umarmen ( 2Kö 4,16 ).

Ungeachtet all dieser Mutmaßungen und Spekulationen steht jedoch eines fest - und vielleicht genügt das ja auch: Habakuk war ein offiziell ordinierter Prophet, der am liturgischen Tempelgesang teilnahm. Er war feinfühlig und hochgebildet, und sein literarischer Stil weist ihn ebensosehr als Dichter wie als Propheten aus. Vor allem aber war er Gottes erwählter Knecht, der eines der eindringlichsten Bücher des Alten Testaments schrieb.


Datierung


Es gilt als allgemein akzeptiert, daß die Erwähnung der Chaldäer (d. h. Babylonier) in Hab 1,6 darauf schließen läßt, daß das Buch im 7. Jahrhundert entstanden ist. Über die genauere Datierung der Prophezeiung bestehen jedoch unterschiedliche Ansichten. Die vorgeschlagenen Daten fallen in drei Zeitabschnitte: die Regierungszeit Manasses (697-642), Josias (640-609) oder Jojakims (609-598).

Die Forscher, die Habakuks Prophezeiung in die Zeit Manasses legen, vertreten die These, daß die Aussage von Hab 1,5 : "Denn ich will etwas tun zu euren Zeiten, was ihr nicht glauben werdet, wenn man davon sagen wird", auf die Zeit vor Babylons Aufstieg zur Weltmacht deutet. Es handelte sich demnach um den Zeitraum vor der Schlacht von Karkemisch im Jahr 605 v. Chr., in der Nebukadnezar Pharao Necho II. von Ägypten besiegte und Babylon zu der mächtigen, nach der Weltherrschaft strebenden Nation wurde. Dies war wahrscheinlich auch vor der Zerstörung Ninives durch die Babylonier im Jahre 612 v. Chr. Wenn sich Habakuks Prophezeiung ( V. 5 ) jedoch wirklich erfüllte, als Jerusalem in die Hände der Babylonier fiel (586 v. Chr.), wurde das Buch mit Sicherheit nicht am Anfang der Regierungszeit Manasses geschrieben. Es heißt im Text, daß die Prophezeiung "zu euren Zeiten" (V. 5 ) in Erfüllung gehen soll. Die Menschen aus der Anfangszeit der Regierung Manasses wären aber zu diesem Zeitpunkt höchstwahrscheinlich schon gestorben gewesen.

Die Datierung in die Spätzeit von Manasses Herrschaft oder in die Regierungszeit Josias scheint zeitlich recht gut zu passen. Doch andererseits deutet Habakuks Klage (V. 2 - 4 ) auf eine Zeit in der Geschichte Judas, in der Gesetzlosigkeit und Grausamkeit herrschten. Habakuks schreckliche Beschreibungen lassen sich schlecht mit den Reformen in der Spätzeit Manasses ( 2Chr 33,15-16 ) und dem umfangreichen Reformwerk Josias ( 2Chr 34 ) in Verbindung bringen.

Dagegen scheint es sehr plausibel, die Ungläubigkeit, von der Hab 1,5 spricht, als Reaktion auf die Ungeheuerlichkeit aufzufassen, daß Gott ein so sündiges Volk wie die Babylonier dazu benutzt, Israel zu richten - und nicht als Überraschung, daß ein bis dahin unbekanntes Volk zu so großer Macht gelangt. Denn daß die Macht der Babylonier bereits bekannt war, wird durch Habakuks Beschreibung in den Versen 7 - 11 belegt. Der Zeitpunkt der Entstehung des Buches liegt daher höchstwahrscheinlich zwischen 606 und 604 v. Chr., irgendwann um die Zeit von Babylons Sieg in der Schlacht von Karkemisch (605).



Das Umfeld


Habakuk schrieb in einer Zeit internationaler Krisen und nationaler Korruption. Babylon hatte gerade seinen Anspruch als Weltmacht geltend gemacht. Als es sich gegen Assyrien wandte, waren die Assyrer gezwungen, alle ihre Kräfte zur Niederschlagung des babylonischen Aufstandes zu mobilisieren, und Juda fand eine kurze Erholungspause. In diese Zeit fallen die Reformen Josias. Schließlich gelang es den Babyloniern jedoch, das assyrische Reich zu zerschlagen, und kurz darauf besiegten sie auch das einst so mächtige Ägypten. Ein neues Weltreich erstreckte sich über die Erde, das schon bald auch Juda erobern und seine Bewohner ins Exil führen sollte. Am Vorabend dieser drohenden Vernichtung, in einer Zeit der Unsicherheit und Angst, schrieb Habakuk seine Botschaft.

Nahm die Krise auf internationaler Ebene auch ernste Formen an, so wog doch die nationale Verdorbenheit fast noch schwerer. In Juda gärten Unruhen. Josia war ein guter König gewesen. Als er starb, kam sein Sohn Joahas auf den Thron. Doch innerhalb von nur drei Monaten marschierte der König von Ägypten in Juda ein, setzte Joahas ab und übergab den Thron dessen Bruder Jojakim. Jojakim war böse, gottlos und widerspenstig ( 2Kö 23,36-24,7; 2Chr 36,5-8 ). Kurz nachdem er an die Macht gelangt war, schrieb Habakuk seine Klage über den Verfall, den Frevel, die Gier, die Machtkämpfe und die pervertierte Rechtsprechung, die ihn umgaben.

Es erstaunt nicht, daß Habakuk angesichts all dieser Verdorbenheit fragte: "Warum tut Gott nichts?" Auch heute, in einer Welt zunehmender internationaler Krisen und Korruption, stellen gottesfürchtige Männer und Frauen ähnliche Fragen. Überall in der Welt erheben sich die Völker gegeneinander, und in der Heimat nimmt die Sünde überhand. Während sie von Frieden sprechen, richten die Weltmächte ständig mehr und schrecklichere Nuklearwaffen aufeinander. Der dritte Weltkrieg scheint unmittelbar bevorzustehen.

Die Bühne ist bereit für den globalen Holocaust, doch das arglose Publikum daheim pfeift sich eins. Das moralische Empfinden des Volkes wird ausgelöscht durch eine "Playboy-Philosophie", die das persönliche Vergnügen zur Lebensmaxime erhebt. Die Menschen jagen dem Genuß nach, währendFamilien auseinanderbrechen. Der Aufstieg der Kriminalität geht einher mit dem Niedergang der Kirche. Süchte, Scheidungen und Ausschweifungen sind an der Tagesordnung, es gibt keinen Anstand mehr. Die Frivolität tanzt auf den Straßen. Der Glaube ist tot. Die Aussage "Im Bewußtsein seiner (des Volkes) Verantwortung vor Gott" ist zur nichtssagenden Präambel des Grundgesetzes geworden.

In eine solche Welt der Krisen und des Chaos fallen Habakuks klare Worte. Dieses kleine Buch ist so aktuell wie die Morgenzeitung.



Die Botschaft


In den dunklen Tagen der Regierungszeit Jojakims, kurz vor dem babylonischen Exil, schrieb der Prophet Habakuk eine ungewöhnliche Botschaft der Hoffnung und Ermutigung für Gottes Volk. In Zeiten der Sünde wird alles wirr und zweifelhaft, doch die Begegnung mit Gott kann die Fragen in Frömmigkeit und alle Verwirrung in Vertrauen verwandeln.

Habakuks Buch beginnt mit einer Frage an Gott, und es endet mit einem Bekenntnis. Angst wird zu Anbetung, Furcht zu Vertrauen. Entsetzen wandelt sich in getroste Erwartung, Hinhaltung in Hoffnung. Leid löst sich auf in Liebe.

Was mit einem Fragezeichen begann, endet mit einem Ausrufezeichen. Die Antwort auf Habakuks "Warum?" ist "Wer!" Seine Verwirrung - "Warum all der Streit?" - löst sich, als er begreift, wer alles beherrscht: Gott!



GLIEDERUNG


I. Ein Zweigespräch mit Gott: Die Vorhersehung der Strafe Gottes für Juda ( Kap. 1 )

     A. Habakuk Verzagtheit ( 1,1-4 )
          1. Warum ist Gott gleichgültig gegenüber dem Gebet? ( 1,1-2 )
          2. Warum ist Gott unempfindlich gegenüber der Sünde und dem Leid? ( 1,3-4 )

     B. Gottes Enthüllung ( 1,5-11 )
          1. Gottes Bestrafungsabsicht ( 1,5 )
          2. Gottes Bestrafungswerkzeug ( 1,6-11 )

     C. Habakuks Verzweiflung ( 1,12-17 )
          1. Warum benutzt Gott als Werkzeug ein Volk, in dem die Gemeinheit herrscht? ( 1,12-13 )
          2. Warum toleriert Gott ein Volk, in dem die Gesetzlosigkeit herrscht? ( 1,14-15 )
          3. Warum entschuldigt Gott ein Volk, in dem der Götzendienst herrscht? ( 1,16-17 )

II. Ein Klagelied von Got; Die Verkündigung der Zerstörung Babylons ( Kap. 2 )

     A. Habakuks Ausschau: "Ich schaue" ( 2,1 )
     B. Gottes Anweisung: "Schreib auf" ( 2,2-5 )
          1. Gottes Offenbarung ist deutlich ( 2,2 )
          2. Gottes Offenbarung ist gewiß ( 2,3 )
          3. Gottes Offenbarung ist radikal ( 2,4-5 )

     C. Habakuks Aufzeichnung: "Wehe" ( 2,6-20 )
          1. Wehe über die Schreckensherrschaft ( 2,6-8 )
          2. Wehe über die üermessenheit ( 2,9-11 )
          3. Wehe über das Unrecht ( 2,12-14 )
          4. Wehe über die Schamlosigkeit ( 2,15-17 )
          5. Wehe über die Abgötterei ( 2,18-20 )

III. Ein Lobgesang für Gott: Die Verherrlichung der Schöpfung Gottes ( Kap.3 )

     A. Habakuks Bitte um Barmherzigkeit ( 3,1-2 )
     B. Gottes mächtige Majestät ( 3,3-15 )
          1. Gottes Ankunft ( 3,3 a)
          2. Gottes Erscheinung ( 3,3 b. 4 - 7 )
          3. Gottes Taten ( 3,8-15 )

     C. Habakuks getroster Glaube ( 3,16-19 )


AUSLEGUNG


I. Ein Zwiegespräch mit Gott: Die Vorhersehung der Strafe Gottes für Juda
( Hab 1 )


Der Prophet war zutiefst verunsichert. Bosheit und Gewalt schienen sich ungehindert zu entfalten. Würde der immer mehr um sich greifenden Sünde kein Einhalt geboten werden? Habakuk wandte sich mit seiner Klage an Gott: "Warum tust du nichts?" Gott antwortete: "Ich tue etwas. Juda wird von Babylon bestraft werden." Das verstörte den Propheten erst recht . Sein Kummer verwandelte sich in tiefe Ausweglosigkeit. Deshalb setzte er sein Gespräch mit Gott fort und fragte weiter: "Warum benutzt du diese abscheulichen babylonischen Barbaren, um Juda zu strafen?"



A. Habakuks Verzagtheit
(
1,1 - 4 )


1. Warum ist Gott gleichgültig gegenüber dem Gebet?
(
1,1 - 2 )


Hab 1,1


Es wirkt kaum überraschend, daß das Buch den Titel trägt: " Dies ist die Last, die der Prophet Habakuk geschaut hat. " Der Prophet selbst nennt seine Schrift eine maRRA? , eine "Last". Dieses hebräische Substantiv stammt von einem Verb, das "emporheben" heißt, und bezeichnet folglich "das, was emporgehoben wird" und damit eine "Last" ist. Habakuks Botschaft ist wirklich schwer. Das Wort " maRRA? " wird allerdings nicht immer zur Einleitung bedrückender Botschaften benutzt; es steht z. B. auch vor den gar nicht bedrohlichen Aussagen von Spr 30 und Spr 31 (Luther übersetzt hier: "die Worte Agurs ... aus Massa"; Spr 30,1 bzw. "die Worte ... des Königs von Massa"; Spr 31,1 ). Doch wenn jemals ein Mensch eine schwere Botschaft zu überbringen hatte, dann der Prophet Habakuk.

Wörtlich übersetzt lautet der Titel: "Die Last, die der Prophet Habakuk schaute." Dieselben beiden hebräischen Wörter, "Last" und "schaute", finden sich auch in Jes 13,1 .Das Wort "sah" ( HAzCh ) bedeutet bei den Propheten häufig "in einer Vision sehen" (vgl. Jes 1,1; 2,1; Hes 12,27; Am 1,1; Mi 1,1 ). Weil Gott ihnen Einblicke in die Zukunft (d. h. "Visionen", HAzNn ) gewährte, wurden sie manchmal auch seine "Seher" ( HOzeh ) genannt.



Hab 1,2


Der Kummer, den der Prophet schon so lange mit sich herumtrug und der nun zu diesem wilden Ausbruch der Klage führte, mündete in zwei große Fragen. Er möchte wissen, warum Gott so gleichgültig erscheint: Warum hört Gott nicht? Und er will wissen, warum Gott so unempfindlich erscheint: Warum hilft Gott nicht?

Habakuks Worte " Wie lange? " zeigen, wie sehr es ihn quält, daß Gottes Anwort anscheinend so lange auf sich warten läßt. Vielen Christen geht es heute ebenso. Sie fragen sich, warum Gott zu schweigen scheint, wenn sie beten. Wie mehrere andere Psalmisten (David: Ps 13,1-3; 22,2.12.20-22 ; Asaf: Ps 74,1-2.10-11 ; die Söhne Korach: Ps 88 ) trat Habakuk vor Gott, um ihm seine Sorgen und die Sorgen seines Volkes zu klagen. Er beschrieb die Ungerechtigkeit, von der er umgeben war, und fragte dann: "Wie lange?" ( Hab 1,2 ) und "Warum?" (V. 3 ). Noch einmal, etwas später, gebrauchte er dieselben Worte: "Warum?" (V. 13 ) und "Wie lange?" ( Hab 2,6 ).

Dieser Prophet hatte mehr von einem Sänger als von einem Seher. Der israelitische Gottesdienst kannte leidenschaftliche Hilferufe zu Gott in Zeiten der Verzweiflung. Israel brachte seine Beschwerden normalerweise nicht in "Leserbriefen" vor. Es richtete seine Bitten im Gottesdienst direkt an Gott. Aber Habakuk ging es nicht nur darum, daß seine Hilferufe ungehört verhallten, sondern auch um das ungestörte Weiterwuchern der Verderbnis. Er rief zu Gott: Frevel , doch Gott schien nicht zu reagieren. Das ausdrucksvolle Wort "Frevel" faßt das ganze Chaos, das Habakuk um sich herum sah, zusammen. Es erscheint immer wieder ( Hab 1,2; 2,17 ) wie Tintenflecke auf einer zerknitterten Seite im Buch der Geschichte.



2. Warum ist Gott unempfindlich gegenüber der Sünde und dem Leid?
(
1,3 - 4 )


Hab 1,3


Die Sünde nimmt überhand, und Gott scheint gleichgültig und untätig. Habakuk hält Gott sein Verhalten mit der eindringlichen Frage vor: " Warum läßt du mich Bosheit sehen? " Dann fragt er sogar: " Warum siehst du dem Jammer zu? " Gott läßt Habakuk Zeuge all der Ungerechtigkeit (wörtlich: des "Unrechts") werden, doch er selbst toleriert (wörtlich: "sah zu") ebendieses Unrecht. Es ist schlimm genug, daß ein schwacher Sünder das Böse mitansehen muß. Aber daß der gerechte Gott das Böse sieht und nichts dagegen unternimmt, ist unbegreiflich (vgl. V. 13 ).

Es ist wirklich ein trauriges Bild. Raub und Frevel sind vor mir; es geht Gewalt vor Recht (vgl. "Frevel" in Hab 2,8.17 ). Die Wörter "Raub" bzw. "Gewalt" ( SOD , "gewaltsame Handlung, die Elend hervorruft") und "Frevel" ( HAmAs , "Bosheit, die den anderen verletzen soll") treten häufig gemeinsam auf (z. B. Jer 6,7; 20,8; Hes 45,9 : "Frevel und Gewalttat"; Am 3,10 : "Frevel und Raub"; an jeder dieser beiden Stellen stehen die Wörter im Hebräischen im Vergleich zu Hab 1,3 in umgekehrter Reihenfolge). Sie geben ein anschauliches Bild von Israels Zustand.



Hab 1,4


Das Schlimmste war jedoch, daß die Menschen Gottes Gesetz mißachteten: Darum ist das Gesetz ohnmächtig (wörtlich: "wird kalt, gelähmt"). Das göttliche Gesetz schien eine vernichtende Niederlage erlitten zu haben. Aber auch das menschliche Recht, die rechte Sache , konnte, wie Habakuk sagt, nie gewinnen bzw. kam gar nicht erst zum Zuge (vgl. "Frevel" in V. 3 ). Die Schlechtigkeit schien als unbestrittener Sieger hervorzugehen. Der Gottlose übervorteilt den Gerechten . Die Rechtschaffenen wurden eingesperrt, und ihre schlimmen Bewacher warfen den Schlüssel fort. Deshalb ergingen verkehrte Urteile (von ZAqal , "aus der Form bringen"; das Wort steht im Alten Testament nur an dieser Stelle). Da die Schlechten die Macht hatten, wurde das Recht gedreht und gewendet, bis es zu Unrecht wurde! In Habakuks Zeit lebte man gefährlich.



B. Gottes Enthüllung
(
1,5 - 11 )


Obwohl der Prophet eine Klage anstimmte, wie er sie von den Juden schon oft gehört hatte, und obwohl er im Grunde nur rhetorische Fragen stellte, antwortete Gott ihm. Er war weder gleichgültig noch unempfindlich. Er war nicht untätig; er hatte bereits einen besonderen Plan zur Bestrafung Judas und offenbarte diesen Plan nun dem bekümmerten Propheten.



1. Gottes Bestrafungsabsicht
(
1,5 )


Hab 1,5


" Schauet hin unter die Heiden, sehet und verwundert euch! " lautete Gottes Antwort. Der Wechsel des Sprechers wird an den Verben "schaut hin" und "sehet", die im Hebräischen den Plural der zweiten Person, "ihr", bei sich tragen, deutlich. Gott spricht hier zum Propheten und auch zum Volk. Habakuk hatte sich beklagt, daß er soviel Unrecht mitansehen mußte. Doch sowohl der Prophet als auch das Volk litten an Myopie: Sie waren einfach zu kurzsichtig. Gott wies sie an, den Blick über die unmittelbar vor ihnen liegenden Mißstände hinaus, auf die internationalen Aussichten zu richten. Sie sollten eine Weltsicht entwickeln, die auch "die Heiden" miteinschloß. Wenn sie das könnten, wärensie verwundert . Die politischen Entwicklungen, die Habakuk und dem Volk enthüllt werden sollten, würden sie starr vor Staunen machen (das Verb tAmCh bedeutet "verblüfft, verwirrt oder sprachlos sein"). Habakuk war in der Tat sprachlos (V. 12.17 ). Was Gott vorhatte, war kaum zu glauben , selbst dann nicht, wenn Gott selbst es offenbarte.



2. Gottes Bestrafungswerkzeug
(
1,6 - 11 )


Judas Sünde sollte nicht ungestraft bleiben. Das Recht war nicht tot, und es schlief auch nicht. Die Strafe kam; sie war auf dem Weg. Doch nicht die Strafe, die das Volk erwartete, rief Erstaunen und Entsetzen hervor, sondern diejenigen, die die Strafe vollziehen sollten. Nicht die kommende Bestrafung war schwer zu glauben, sondern das Instrument der Bestrafung schien so unglaublich.



a. Die Vernichtung durch die Babylonier
(
1,6 )


Hab 1,6


Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe: " Ich will die Chaldäer erwecken. " Zugegeben, die Sünde herrschte bereits zu lange in Juda. Doch im Vergleich mit den barbarischen Babyloniern waren die Sünder in Juda Heilige - allenfalls leicht angeschmutzte Heilige. Babylon war ein Volk, das für seine Gewalttätigkeiten bekannt war. Seine Bewohner begingen Grausamkeiten, ohne nachzudenken und ohne zu bereuen. Die historischen Berichte schildern die Babylonier als ein wildes, erbarmungsloses und rohes Volk. Gott bestätigte Habakuk diese Tatsache, er bezeichnete sie als ein grimmiges ( mar , "rauh, bitter", d. h. unerbittlich) und schnelles Volk . Auch Hesekiel nannte Babylon ein grimmiges Volk (er gebrauchte allerdings das hebräische Wort ZArIQ , "schreckenerregend", von Luther mit "gewalttätig" übersetzt: Hes 28,7;30,11; 31,12; 32,12 ). Ihr Verhalten entsprach ihrem Charakter. Soweit die Erde reichte, plünderten und raubten sie. Damit war zweifellos ein Großteil der damals bekannten Welt gemeint, denn die Babylonier eroberten viele Länder, unter anderem Assyrien, Juda, Ägypten und Edom. Juda war nur ein Häuflein Staub vor diesem gigantischen Staubsauger.



b. Die Beschreibung der Babylonier
(
1,7 - 11 )


Die Babylonier, auch als Chaldäer bekannt, lebten im Süden Mesopotamiens. Jeremia nannte sie "ein uraltes Volk" (5,15), ein Urvolk. Abraham war von Ur in Chaldäa nach Kanaan gezogen. Gott hatte ein Volk aus der zunehmend grausamer werdenden Bevölkerung herausgerufen. Jetzt brachen diese Heiden aus dem Tal des Euphrat und Tigris hervor und ergossen sich gleich einem furchtbaren Lavastrom über die Welt. Ihr ruhiger, kleiner Vetter Juda sollte bald überrollt werden.

(1) Ihr Status



Hab 1,7


Babylon besaß offensichtlich keine Konkurrenten. Dieses grausame und schreckliche Volk gebietet und zwingt, wie es will . Es hob sich selbst auf den Schild. Babylon erkannte kein Gesetz und keinen Richter über sich an; seine Überlegenheit und Autorität gründeten sich allein auf seine eigenen grausamen Eroberungen.



Hab 1,8


(2) Ihre Schnelligkeit

In anschaulichen und furchterregenden Bildern beschreibt Gott den Feind als ein Volk, dessen Pferde schneller als die Panther und bissiger als die Wölfe am Abend sind. Sowohl Panther als auch Wölfe sind wilde und schnelle Tiere, ausgezeichnete Jäger. Am Abend sind die Wölfe hungrig und streifen auf der Suche nach Beute umher. Aber auch mit der ungeheuren Schnelligkeit, mit der die Adler zum Fraß eilen , wird die Eroberungsgier der Babylonier verglichen. Bei diesen "Adlern" handelte es sich wahrscheinlich um Geier ( neSer ), und zwar um den großen Weißkopfgeier, einen majestätischen Vogel, den man in Palästina häufig beobachten kann. Er schraubt sich in die Höhe und stürzt dann auf seine Beute herab. Jeremia schrieb, daß die Babylonier alles vernichteten, was ihnen in den Weg kam, Felder, Menschen, Tiere, Bäume und Städte ( Jer 5,17 ; vgl. auch Kl 4,19 ). Die Babylonier, die mit solch schrecklichen Vergleichen belegt wurden, waren also ganz sicher ein furchtbarer Feind.



Hab 1,9


(3) Ihre Erfolge

Der Versuch, die Babylonier aufzuhalten, war zwecklos. Sie kommen allesamt, um Schaden zu tun . Sie würden alle militärischen Kräfte ihres Landes für die Invasion mobilisieren und jeden Widerstand niederwerfen. Der zweite Teil dieses Verses, " wo sie hinwollen, stürmen sie vorwärts ", besteht im Hebräischen aus nur drei Wörtern, die zum Teil sehr unterschiedlich interpretiert wurden. Das erste Wort des Satzes steht im Alten Testament nur an dieser Stelle und wurde übersetzt mit "Widerstand leistend", "kämpfend gegen", "Begierde", "sich versammelnd", "sich sammelnde Menge" und "Truppen" oder "Horde". Das letzte der drei hebräischen Worte ist auch das Wort für "Osten". Hier bezeichnet es einen Wind, der von Osten kommt. Diese heißen Stürme, die von Osten her über die Wüste brausten, vernichteten meistens alles Leben und jegliche Vegetation (vgl. Jer 18,17; Hes 17,10; 19,12; Jon 4,8 ). Der Feind kam wie ein Sturmwind und raffte Gefangene zusammen wie Sand - ein Bild, das die unermeßlich große Zahl der Gefangenen veranschaulicht.



Hab 1,10


(4) Ihr Spott

Im Vertrauen auf ihre Stärke spotten die Babylonier der Könige, und der Fürsten lachen sie . Es war bei ihnen Sitte, gefangene Herrscher in öffentlichen Spektakeln zur Schau zu stellen. Ihre Brutalität zeigte sich auch an der Art und Weise, wie sie nach der Eroberung Jerusalems mit Zedekia umgingen. Erst töteten sie vor seinen Augen seine Söhne und dann - mit diesem schrecklichen Bild vor Augen, das in sein Gedächtnis eingebrannt war - blendeten sie ihn, legten ihn in Fesseln und führten ihn gefangen nach Babylon ( 2Kö 25,7 ).

Doch nicht nur ihre Feinde, auch alle für uneinnehmbar gehaltenen Festungen waren den Babyloniern ein Scherz . Sie schütteten Erde an den Mauern der auf Hügeln errichteten Städte auf, stürmten die so errichteten Rampen hinauf und konnten die Städte auf diese Weise leicht angreifen und ihre Festungsanlagen erobern. Diese Praxis war in der damaligen Kriegsführung zwar durchaus bekannt und üblich, doch die Babylonier hatten die Konstruktion des "Belagerungswalls" ( 2Kö 19,32 ; vgl. Hes 4,2 ) noch entscheidend verbessert.



Hab 1,11


(5) Ihr Frevel

Der erste Teil dieses Verses ist schwer zu übersetzen. In einer Bibelübersetzung heißt es: "Dann wird sein Geist ( rUaH , "Geist" oder "Wind") sich ändern, und er wird vorübergehen." Das hieße, die Babylonier würden anderen Sinnes und begännen hemmungslos, gegen sich selbst zu wüten. Es ist jedoch unwahrscheinlich, daß rUaH Subjekt dieses Satzes ist; und das Verb "ändern" sollte wohl besser in seiner normalen Bedeutung ("hindurchgehen") wiedergegeben werden. Die Übersetzung Luthers ist plausibler: Dann brausen sie dahin wie ein Sturm (vgl. V. 9 ). Das schwerste Vergehen der Babylonier kommt jedoch ganz klar zum Ausdruck: Sie machen ihre Kraft zu ihrem Gott . Ihre eigene Macht war ihr Abgott. Für sie wurde das Wort "Der Stärkere hat recht" zu "Der Stärkere ist Gott".



C. Habakuks Verzweiflung
(
1,12 - 17 )


Gottes verblüffende Enthüllung stürzte den Propheten nur in noch größere Bestürzung. Auf Habakuks Klage über die Sünde und Gesetzlosigkeit in Juda (V. 2-4 ) antwortete Gott mit dem Hinweis, daß er das Betragen seines Volkeskenne und seine Strafe schon unterwegs sei. Die Babylonier sollten dieses sündige Volk schon bald gefangennehmen und verschleppen. Jetzt war der Prophet nicht nur - wie Gott es ihm prophezeit hatte - überrascht (V. 5 ), er war vielmehr entsetzt, schockiert, daß Gott ein solches Werkzeug einsetzen wollte, um Juda zu strafen. Habakuk gab seiner tiefen Verwirrung Ausdruck. Er stellte Gottes Plan in Frage.



1. Warum benutzt Gott als Werkzeug ein Volk, in dem die Gemeinheit herrscht?
(
1,12 - 13 )


Wie vernichtend die Androhung des göttlichen Gerichts auch klingen mag, der Prophet verläßt sich dennoch auf Gottes Heiligkeit und Treue, die ihm Trost und Hoffnung geben. In einem Meer der Verwirrung klammerte sich Habakuk an den lebendigen Rettungsanker, den Gottes heiliges Wesen für ihn verkörperte. Er hielt sich im Chaos an der unerschütterlichen Stärke seines Gottes fest.



Hab 1,12


Im Hebräischen verlangt die Form der Frage Aber du, HERR, mein Gott, mein Heiliger, der du von Ewigkeit her bist eine bejahende Antwort. Sie ist ebensosehr Aussage wie Frage. Das Vertrauen des Propheten in den lebendigen, ewigen Gott Jahwe steht in schroffem Gegensatz zu dem vorhergehenden Vers, der besagt, daß die Babylonier ihre eigene Stärke zu ihrem Gott machen.

Aus menschlicher Sicht war es natürlich ein leichtes für Babylon, Juda auszulöschen. Doch für den Propheten war es völlig undenkbar, daß das Gottesvolk und damit auch seine Bundesbeziehung zu Jahwe ausgetilgt werden sollte. Habakuks Überzeugung gründete sich auf zwei Verheißungen: (a) den unveränderlichen und ewigen Herrn (vgl. Hes 3,6 ), der seinen Bund mit Israel nicht brechen wird; und (b) den heiligen (vgl. Hes 3,3 ) und gerechten Gott, der weder in Israel noch unter seinen Feinden die Sünde ungestraft läßt. Der Prophet bat ganz richtig: " Mein Gott, mein Heiliger, laß uns nicht sterben. "

Habakuk rief sich in Erinnerung, daß der Herr die Babylonier nur dazu ausersehen hatte, Juda zu züchtigen , nicht dazu, das Volk endgültig auszurotten. Der Feind war Gottes Straf- , nicht sein Vernichtungswerkzeug. Der Prophet nennt seinen Herrn einen Fels ( QUr ), eine Bezeichnung, die erstmals in 5Mo 32,4 auf Jahwe angewendet wurde und die auf die Beständigkeit und Treue des Allmächtigen verweist (vgl. 5Mo 32,15.18.30-31 ).



Hab 1,13


Noch eine brennende Frage hatte Habakuk jedoch auf dem Herzen: Warum benutzte der seit Ewigkeiten Höchste, Jahwe, der vollkommen Heilige, der unveränderliche, beständige Fels, ein so gottloses Volk zur Züchtigung Judas? " Deine Augen sind zu rein, als daß du Böses ansehen könntest ", klagt der Prophet. " Dem Jammer kannst du nicht zusehen. " Zuvor hatte Habakuk gefragt, warum er gezwungen war, Unrecht anzusehen, und warum Gott angesichts der Lage (V. 2 - 4 ) nicht eingriff, wie er erwartet hätte. Nun scheint sich sein Problem von der Sünde der Menschen auf den Herrscher, der alles lenkt, zu verlagern. Im Lichte von Jahwes eigentlichem Wesen fand Habakuk die Frage gerechtfertigt: " Warum (vgl. V. 3 ) siehst du dann aber den Räubern zu? " Warum sollte Gott einem solchen gottlosen Volk erlauben, "den (zu) verschlingen, der gerechter ist als er?" Das schien geradezu die Umkehrung des Rechts zu sein. So sehr Juda auch gesündigt hatte, seine Sündhaftigkeit verblaßte völlig neben den Grausamkeiten der Babylonier. Habakuk stand in einem inneren Konflikt. Ganz sicher teilen viele Menschen aus dem Volk Gottes seinen Schmerz über Gottes scheinbares Schweigen (vgl. Hi 19,7 ).



2. Warum toleriert Gott ein Volk, in dem die Gesetzlosigkeit herrscht?
(
1,14 - 15 )


Hab 1,14


Habakuk sagte: "Du läßt es den Menschen gehen wie den Fischenim Meer, wie dem Gewürm, das keinen Herrn hat." Die Juden waren hilflos wie Fische, sie lebten wie die Tiere im Meer, jedes für sich, ohne Führer. Vollkommen orientierungslos, konnten sie sich nicht einmal zu ihrer Verteidigung organisieren und waren eine leichte Beute für die mächtigen Eroberer.



Hab 1,15


Die räuberischen (vgl. V. 13 ) Babylonier fingen die arglosen Menschen wie Fische mit der Angel , trieben sie in Netze und sammelten sie mit ihrem Garn (vgl. V. 16 ) - ein sehr anschauliches Bild. Jeremia benutzt einmal einen ähnlichen Vergleich mit Fischern und erweitert ihn um das Bild der Jäger ( Jer 16,16 ). Die Babylonier nahmen so wenig Rücksicht auf die Menschen wie die Fischer auf die wehrlosen Fische. Der siegreiche babylonische Feind freute sich vielmehr und war fröhlich. Es war schwer einzusehen, warum Gott eine solche schreiende Ungerechtigkeit zulassen sollte. Habakuk sah sich wirklich vor unlösbare Fragen gestellt.

 

3. Warum entschuldigt Gott ein Volk, in dem der Götzendienst herrscht?
(
1,16 - 17 )


Hab 1,16


Die Angeln und Netze brachten den Babyloniern Speise, und ihr Anteil war fett . Ihre Eroberungen sicherten ihnen nicht nur den Lebensunterhalt, sondern ermöglichten ihnen ein Leben im Luxus. Daher ehrten diese Barbaren die Werkzeuge, die ihnen solchen Reichtum sicherten. Sie opferten ihren Netzen und räucherten ihrem Garn. (Das Wort für "Garn" steht im Alten Testament nur an dieser Stelle und in V. 15 .) Die Metapher ist äußerst treffend. Die Babylonier huldigten den Dingen, denen sie ihren militärischen Erfolg verdankten. Gott hatte bereits gesagt, daß ihre Kraft ihr Gott sei (V. 11 ). Nun wies Habakuk noch auf die materiellen Vorteile hin, die ihnen ihre militärische Stärke brachte.

Götzendienst treiben nicht nur diejenigen, die unbelebten Gegenständen Opfer bringen oder ihnen räuchern. Personen von Rang, Macht und Wohlstand verehren häufig auch die Dinge oder Mittel, die ihnen zu ihrem begehrten Status verholfen haben. Ja, manchmal sind sie geradezu besessen von ihnen, sie "vergöttern" sie.

Habakuk

Hab 1,17


Der Prophet fragt den "dicken Fischer" Babylon, ob er sein Netz immerdar ausleeren und Völker umbringen wolle ohne Erbarmen (vgl. Hab 2,8.17 ). Das Bild symbolisiert einen ständig wiederholten Handlungsablauf. Sie leerten ihre Netze, um sie wieder und wieder zu füllen. Wann würde Gott der babylonischen Eroberungsgier ein Ende setzen? Wie konnte er ein Volk an der Macht lassen, wenn es diese Macht so offen als seinen Gott verehrte? Habakuk war ratlos.



II. Ein Klagelied von Gott: Die Verkündigung der Zerstörung Babylons
( Hab 2 )


Das innere Dilemma des Propheten wurde immer größer. Warum sollte Gott eine gottlose Nation wie Babylon als Werkzeug der Bestrafung gegen sein eigenes Volk Juda einsetzen? Habakuk hatte seine Fragen unerschrocken vorgetragen und wartete nun auf Gottes Antwort. Ganz sicher würde er eine logische Erklärung erhalten.



A. Habakuks Ausschau: "Ich schaue"
(
2,1 )


Hab 2,1


Wie ein Wächter, der im Wachturm steht, um schon die ersten Anzeichen eines nahenden Feindes zu sehen, stellte Habakuk sich selbst auf einen Turm , um zu sehen, was Gott ihm sagen werde. Er hatte seine Klage vorgetragen und beschloß nun, sich so zu postieren, daß er die Antwort so rasch und so deutlich wie möglich wahrnehmen und die Nachricht dann, wie ein Wächter, seinen wartenden Brüdern überbringen konnte. Wahrscheinlich beziehen sich die Begriffe "Warte"( miSmereT , "Wachstation") und "Turm" ( mAQNr , "Wachturm oder Festung") eher auf die innere Erwartung des Propheten als auf einen äußeren Standort. Dieser bildhafte Ausdruck war Habakuks Zuhörerschaft durchaus vertraut ( 1Sam 18,24; Jes 21,6 ). Der Prophet oder Seher wartete, wie der Mann im Ausguck, darauf zu sehen - nicht so sehr zu hören -, was Gott sagte.

Der Prophet wartete gespannt auf eine Antwort auf die Klagen, die er Gott vorgehalten hatte.

Mit dieser Formulierung bezieht sich Habakuk wahrscheinlich auf seine eigenen, im Gespräch mit Gott geäußerten Fragen ( Hab 1,2-4.12-17 ). Manche Forscher sind allerdings der Ansicht, daß es sich hier um eine gegen den Propheten gerichtete Klage ( tNKaHaT , "Berichtigung, Tadel"), nicht um eine von ihm vorgetragene Beschwerde handle. Sie übersetzen den Satz mit: "Was ich anworten werde, wenn ich getadelt werde." Ob Habakuk nun mit einem Verweis Gottes rechnete oder nicht, eins ist jedenfalls sicher: Er erwartete diese Antwort sehnsüchtig.


B. Gottes Anweisung: "Schreib auf"
(
2,2 - 5 )


Habakuks Beruf war, Gottes Sprachrohr zu sein. Er wartete nicht nur für sich selbst auf eine Botschaft des Herrn, sondern er war bereit, diese Botschaft an sein Volk weiterzugeben. Habakuk wartete, und Gott sprach.



1. Gottes Offenbarung ist deutlich
(
2,2 )


Hab 2,2


Gottes Antwort ist kein undeutliches Gemurmel. Er spricht klar und deutlich. Gott befahl Habakuk: "Schreib auf, was du geschaut hast, deutlich auf eine Tafel." Die Offenbarung (wörtlich: "Vision") sollte auf Tontafeln festgehalten werden, damit Gottes Wort bewahrt und - noch wichtiger - verkündet würde: "daß es lesen könne, wer vorüberläuft" . Gemeint ist, daß jeder Vorübergehende die Tafeln schnell lesen und dann den anderen die Nachricht rasch verkündigen sollte.



2. Gottes Offenbarung ist gewiß
(
2,3 )


Hab 2,3


Jede prophetische Offenbarung erfordert ein gewisses Maß an Geduld. Man muß auf ihre Erfüllung harren. Gott versicherte Habakuk: "Die Weissagung wird ja noch erfüllt werden zu ihrer Zeit." Das deutet auf ein Ziel in der Zukunft (wörtlich: "sie drängt zum Ende" wie ein Läufer in der Zielgeraden). Dieser Hinweis scheint, nicht nur auf die kommende Zerstörung des gottlosen Babylon, sondern auf die umfassendere Erfüllung des messianischen Gerichts beim Fall der "großen Hure Babylon" am Ende der Drangsal im Jüngsten Gericht ( Offb 17-18 ) vorauszudeuten.

Eins ist sicher: Gottes Offenbarung wird nicht trügen . Wenn sie sich auch hinzieht, wird sie doch gewiß kommen und nicht ausbleiben , gemäß seiner vollkommenen Vorsehung. Für die Menschen in Juda, denen die schreckliche Erfahrung der babylonischen Invasion und Gefangenschaft bevorstand, muß diese Zusicherung ein großer Trost gewesen sein. Auch an dem furchtbaren Volk, das sie gefangennehmen würde, würde zu dem von Gott bestimmten Zeitpunkt das göttliche Urteil vollstreckt werden!

Der Verfasser des Hebräerbriefes bezieht sich in seiner Aufforderung an die verfolgten Gläubigen, auszuharren und standhaft zu bleiben, auf diese Verse ( Hebr 10,37 ). Er stellt dabei vor allem ihre messianische Bedeutung in den Vordergrund. Der Tag wird kommen, an dem der König der Könige mit vollkommener Gerechtigkeit auf Erden herrschen wird.



3. Gottes Offenbarung ist radikal
(
2,4 - 5 )


Hab 2,4


Zu Beginn der von Weherufen durchsetzten Spottverse, die Habakukaufzeichnen sollte, verkündete Gott die umfassende Verdammung des dünkelhaften Wesens der Babylonier: Sie sind halsstarrig und aufgeblasen. Wie eine aufgeblähte Kröte hüpft dieses arrogante Volk seinem Verderben entgegen. Seine Menschen sind geschwollen (das hebräische Wort ZAPal steht im Alten Testament nur an dieser Stelle) von ihren bösen Leidenschaften. Sie sind alles andere als rechtschaffen.

Ihnen hält Jahwe in scharfem Kontrast den Gerechten entgegen, der durch seinen Glauben leben wird ( MmUnCh , "Standhaftigkeit, Treue"). Ein gerechter Israelit, der Gottes Gebote befolgt und demütig vor dem Herrn ist, genießt ein Leben in der überfließenden Gnade Gottes. "Leben" bedeutet, den Segen eines sicheren, geschützten und vollen, reichen Lebens zu erfahren. Der anscheinend so siegreiche, aber stolze und innerlich verdorbene Babylonier hingegen wird sterben. Treue und Glauben gehören zusammen. Wer an den Herrn glaubt, verläßt sich auf ihn und ist ihm treu.

Der Schlüsselsatz "Der Gerechte aber wird durch seinen Glauben leben" funkelt wie ein Diamant in einem Haufen Dreck. Mitten in Gottes unerbittlichem Verdammungsurteil über Babylon findet sich eine strahlende Offenbarung seiner Gnade, die im Neuen Testament dreimal zitiert wird ( Röm 1,17; Gal 3,11; Hebr 10,38 ). Dort erhalten die Worte "wird leben" jedoch einen weiter gefaßten Sinn als bei Habakuk. Im Neuen Testament bedeuten sie Erlösung und ewiges Leben. Im Gegensatz zu der selbstgerechten, prahlerischen Art der Ungerechten verläßt sich der Gerechte auf Gott und ist ihm treu.



Hab 2,5


Die bisher eher allgemein gehaltene Schilderung der Schlechtigkeit Babylons wird jetzt genauer ausgeführt: Es ist der treulose Tyrann , der keinen Erfolg haben wird.

Weiter sagt Gott, die Babylonier seien stolz ( yAhIr , "überheblich"; das Wort steht außer an dieser Stelle nur noch in Spr 21,24 ) und hätten keine Ruhe in ihren Herzen (V. 4 ). Dieses stolze, ruhelose Volk sperrt seinen Rachen auf wie das Reich des Todes . Wie der Tod und das Reich des Todes ist es nicht zu sättigen , bis es alles an sich gerissen hat. So versuchten die Babylonier, alle Völker zu sich zu sammeln (vgl. Hab 1,17 ). Wie ein schreckliches Ungeheuer verschlingt das Reich des Todes die Völker. Ebenso öffnete Babylon weit sein unersättliches Maul und verschlang alle Menschen. Doch dieses gottlose Volk sollte nicht ungestraft davonkommen. Gottes Strafe war ihm gewiß!



C. Habakuks Aufzeichnung: "Wehe"
(
2,6 - 20 )


Die schließliche Zerstörung Babylons, die Gott Habakuk ankündigte, wird in einem Weheruf in fünf Strophen zu je drei Versen ("Weh" steht in V. 6.9.12.15.19 ) näher beschrieben. Alle einst von den Babyloniern eroberten und geplünderten Völker sollen zu gegebener Zeit Zeugen des Falls ihres Feindes werden und in ein Anklage- und Hohnlied einstimmen. Die Übersetzung Luthers: "Diese alle werden einen Spruch über ihn machen und ein Lied und ein Sprichwort sagen." (V. 6 ) lautet im Urtext: "Werden sie nicht alle ein Spottlied auf ihn anstimmen?" Ein solches Lied ( mASAl ) kann alle möglichen literarischen Formen annehmen; es kann eine Parabel, ein Spruch, eine Ode oder - wie in dem hier aufgezeichneten Lied - ein Klagegesang sein. Das vorrangige Konstruktionsprinzip ist jedoch stets der Parallelismus. Fünf Weherufe sind in diese schmerzliche Klage eingewoben.



1. Wehe über die Schreckensherrschaft
(
2,6 - 8 )


Hab 2,6


Das Weh ist ein Ausruf des Schmerzes im Unglück oder angesichts einer nahenden Strafe (z. B. Jes 3,11; 5,11; 10,5 ) für bestimmte Sünden. Die Propheten verwenden es ausnehmend oft (zweiundzwanzigmal bei Jesaja,zehnmal bei Jeremia und in den Klageliedern, siebenmal bei Hesekiel und vierzehnmal bei den kleinen Propheten). Das erste Wehe bei Habakuk vergleicht die Babylonier mit einem gewissenlosen Pfandleiher, der Wucherzinsen nimmt. Aus selbstsüchtiger Gewinnsucht rafften sie rücksichtslos die Reichtümer anderer Völker an sich. Das war nichts anderes als Diebstahl, denn die geraubten Schätze waren keineswegs Eigentum der Eroberer. Wie lange wird's währen? Wie lange werden die Angreifer ihr geplündertes Gut behalten dürfen? (Vgl. Habakuks "Wie lange noch?" zu Judas Frevel: Hab 1,2 .)



Hab 2,7


Diese Frage in Vers 6 wird mit zwei Ausrufen beantwortet: Wie plötzlich werden aufstehen, die dich beißen! Die gequälten Völker werden sich unvermutet erheben. Die Schuldner (wörtlich: "Beißer") werden zurückschlagen. Sie werden nicht nur ihren Anteil an den gestohlenen Gütern zurückholen, sondern nun, da sie an der Reihe sind, ihrerseits ihre Angreifer tüchtig durchschütteln: Wie plötzlich werden erwachen, die dich peinigen! Dieses Schütteln wird kein Händeschütteln sein. Mit der Kraft eines Orkans wird der böse Gläubiger gebeutelt werden. Wie ein Baum, dem der Sturm Blätter und Zweige abreißt, so wird er ausgeraubt werden. Babylon wird ihnen zum Raube werden , zum Raub der Völker, die es gequält hat. Das angriffslustige (vgl. Hab 1,6.8-10 ) und plündernde ( Hab 1,6.16 ) Babylon wird nun seinerseits angegriffen und ausgeplündert werden.



Hab 2,8


Der Räuber wird seiner Beute beraubt werden, denn die Beraubten werden ihn unerwarteterweise wieder berauben. Die von Babylon unterworfenen, aber nicht vernichteten Völker, die übrigen Völker , werden das Gefecht leiten. Der Bumerang wird zurückkommen. Babylons Schreckensherrschaft und Grausamkeit werden über es selbst hereinbrechen. Es wird ernten, was es gesät hat ( Spr 22,8; Gal 6,7 ). Das Volk, das skrupellos Menschenblut ("Blut" steht im Urtext im Plural, ebenso in V. 12.17 ) vergossen und rücksichtslos Land und Stadt geplündert und zerstört (vgl. Hab 1,17; Hab 2,17 ) hat, wird nun die Strafe für seine Verbrechen erhalten (vgl. Hab 1,12 ).



2. Wehe über die Vermessenheit
(
2,9 - 11 )


Hab 2,9


Die Babylonier hatten sich nicht nur unrechten Gewinn angeeignet (V. 6 - 8 ), sondern die Beute aus ihren Raubzügen auch noch dazu verwendet, sich selbst zu verherrlichen und zu erhöhen. Wie ein Adler sein Nest - für alle Räuber unzugänglich - in der Höhe erbaut, versuchten auch die Babylonier, ihr Reich abzusichern ( um dem Unheil zu entrinnen ). Vom niedriggelegenen Tal seiner Heimat aus errichtete dieses Volk von Eroberern ein gewaltiges Weltreich.



Hab 2,10


Um sich selbst zu erhöhen, trampelten die Babylonier andere nieder. Um das Gebäude ihres Reiches zu errichten, mußten viele Völker zerschlagen werden (vgl. "Völker" in Hab 1,17 ; "Heiden" und "Völker" in Hab 2,5 ; und "viele Völker" in V. 8 ). Doch ihr Plan, ihre eigene Sicherheit auf der Vernichtung anderer aufzubauen, schlug fehl. In einem Haus, das aus gefolterten Leibern und nackten Skeletten gebaut ist, wohnt es sich nicht besonders gut. In ihrem Eifer, ein Monument zu hinterlassen, errichteten die Babylonier ihr eigenes schändliches (vgl. "Schande" in Hab 1,16 ) Mausoleum. So wurde der Tod ihr Teil.


Hab 2,11


Als Zeugen in dem Prozeß, der mit dem Todesurteil enden wird, treten überraschenderweise sogar die Steine in der Mauer und die Sparren am Gebälk auf. Selbst wenn alle Feinde vernichtet wären, würden immer noch die Steine und das Holz gegen die räuberischen und grausamen Hände der Babylonier aussagen, die diese Materialien bearbeiteten, um die Stärke und Pracht ihres Reiches zu verewigen. All die Steine und das Holz der Häuser und Paläste waren durch Plünderung und Unrecht erworben. Das hohe Nest (V. 9 ) wird aus seiner luftigen Höhe gestoßen werden, und der verschwenderisch ausgestattete Palast wird den Tod seiner Erbauer besiegeln. Die stolzen, ehrgeizigen Projekte dienten letztlich nur als Beweis für die Berechtigung der bevorstehenden Strafe.



3. Wehe über das Unrecht
(
2,12 - 14 )


Hab 2,12


Der Raub, von dem im ersten Weheruf die Rede ist (V. 6 - 8 ), und der im zweiten Weheruf beschriebene Stolz (V. 9 - 11 ) wurden von der von Sünde getränkten Verderbtheit genährt, die der dritte Weheruf ausmalt (V. 12 - 14 ). Es ist, als ob die Steine und das Holz von Babylons riesigen Bauprojekten das Klagelied zurückwerfen. Weh dem, der die Stadt mit Blut baut und richtet die Burg auf mit Unrecht! Die babylonischen Städte waren mit dem Blut und Schweiß der versklavten Völker erbaut. Mord, Blutvergießen, Unterdrückung und Tyrannei waren die Werkzeuge. (Das mit "Blut" übersetzte Wort ist im Hebräischen der Plural des Substantivs "Blut" und steht immer für Mord; vgl. V. 8.17 : "Menschenblut".)



Hab 2,13


In jeder der vorhergehenden Strophen des Klageliedes wird die Beschreibung der Sünden durch einen Weheruf in der ersten Zeile eingeleitet und in den folgenden Zeilen dann näher ausgeführt. An dieser Stelle nun wird die Aufmerksamkeit auf den HERRN Zebaoth und seine unbestechliche Einschätzung all der Verkommenheit gelenkt. Das ist eine wohltuende Unterbrechung dieser fünf beklemmenden Verse. Der allmächtige Herr, der Herrscher des Universums, erklärt, daß das ehrgeizige Werk der Babylonier vergeblich sein wird: Woran die Völker sich abgearbeitet haben, muß mit Feuer verbrennen (vgl. Jer 51,58 ). Ihre sorgfältig behauenen Steine werden zum Altar und das mit Schnitzereien geschmückte Holz wird zum Brennholz für das gewaltige Opferfeuer werden, in dem Babylon verbrennen wird. Habakuk, das Sprachrohr Gottes, fügte hinzu: Wofür die Leute sich müde gemacht haben, das muß verloren sein . Ihre ganze Arbeit - die Arbeit von Babylon und jeder anderen Nation, die Babylon gleicht - ist vergeblich, wenn sie auf Blutvergießen und Verbrechen beruht.


Hab 2,14


Im Gegensatz dazu wird die Erde voll werden von der Erkenntnis der Ehre des HERRN, wie Wasser das Meer bedeckt . Die mühselige Plackerei einer ganzen Generation prahlerischer Babylonier wird gerade für ein kleines Feuer ausreichen, und ihre Werke werden als Häuflein Asche in einer Ecke der Welt enden. Gottes ewige Herrlichkeit aber wird die ganze Erde erfüllen! Dieser Vers wiederholt - mit einigen geringen Abweichungen - Jes 11,9 .(Von Gottes die Erde erfüllender Herrlichkeit ist auch in 4Mo 14,21; Ps 72,19 und Jes 6,3 die Rede.) Jesaja schließt seine Beschreibung des Gottesreiches ( Jes 11,1-9 ) mit der Aussage, daß die Erde voll der Erkenntnis des Herrn sein wird. Nach Habakuk wird sie mit der Erkenntnis seiner Ehre erfüllt sein. Jesaja ging es also um das Wesen des Gottesreiches, Habakuk um seine Errichtung; Jesaja ging es um die Tatsache, Habakuk um die Tat selbst. Gott wird auch das zukünftige Babylon ( Offb 17-18 ) und alle in Babylon verkörperten gottlosen Mächte ( Offb 19,20 ) stürzen und richten. Die Herrlichkeit ( Mt 24,30 ) und Macht ( 2Thes 1,9 ) des Herrn wird im Tausendjährigen Reich auf der ganzen Erde offenbar werden.

Wenn der Messias in seinem Königreich herrschen wird, wird die Erkenntnis des Herrn in der ganzen Welt sein (wie Wasser das Meer bedeckt). Jeder wird ihn kennen (vgl. Jer 31,34 ). Die unbehauenen Steine des Unrechts und der schleimige Seetang der Sünde werden von Gottes Gerechtigkeit bedeckt und glatt gemacht werden.



4. Wehe über die Schamlosigkeit
(
2,15 - 17 )


Hab 2,15


Der vierte Weheruf wendet sich wieder dem schändlichen Treibendes barbarischen Babylon zu. Hier stehen die Grausamkeit und Schamlosigkeit der Eroberer gegenüber den von ihnen Unterworfenen im Mittelpunkt. Sie werden als Trunkenbolde dargestellt, die ihren Nächsten Wein zu trinken geben, um sie betrunken zu machen, dadurch zu gottloser Lüsternheit zu verführen und dann der Schande preiszugeben. Zu dem Frevel der Babylonier kam also auch noch die von Gott streng verbotene Wollust hinzu ( 1Mo 9,21-25 ). Außerdem schenkten die Babylonier mehr ein als nur Wein. Es heißt von diesem Volk, daß es " seinen Grimm beimischte ". Unter den Wein mischten die Babylonier also "Grimm" (das Wort "Grimm" ist im Hebräischen verwandt mit "Hitze", was wiederum für jegliche frevelhafte Leidenschaft steht). Das war in der Tat ein übles Mischgetränk. Haß und Leidenschaft wurden zusammen eingeschenkt. Die Völker, die verleitet oder noch häufiger gezwungen wurden, von dem giftigen Gebräu der Babylonier zu trinken, fielen um wie Betrunkene und lagen hingestreckt - geschändet und gedemütigt.



Hab 2,16


Doch diejenigen, die beim Anblick ihrer betrunkenen Opfer Schadenfreude empfanden, werden eines Tages gesättigt mit Schande sein (vgl. "Schande" in V. 10 ). Ihr Ruhm war letztlich ihre Schande. Dieser pervertierte "Ruhm" der Babylonier hebt sich scharf ab von Gottes ewiger Herrlichkeit (V. 14 ). Statt in Ruhm schwelgten die Babylonier in Schande, und bald würden sie trinken, betrunken umfallen und ihre Schande als "Unbeschnittene" (so im Hebräischen) zur Schau stellen. (Unbeschnittensein war für die Juden etwas Verächtliches.) Die Babylonier hatten andere betrunken gemacht und entblößt (V. 15 ); später wird das Blatt sich wenden (vgl. V. 7 ), und sie werden betrunken und nackt daliegen.

Der Kelch , den sie trinken müssen, kam aus der Rechten des HERRN , ein Bild der göttlichen Vergeltung (vgl. Jes 51,17-23; Jer 25,15-17; Kl 4,21 ). Wenn Babylon Gottes Gericht trinken muß, wird es mit Schande bedeckt werden. Das Wort "Schande" im ersten Teil von Hab 2,16 und das gleichlautende Wort im letzten Teil des Verses geben zwei im Hebräischen verschiedene, aber ähnliche Begriffe wieder, wobei der zweite stärker betont ist (er steht im Alten Testament nur an dieser Stelle). Es ist ein Ausdruck extremer Verachtung. Das einst so ruhmreiche Babylon wird hier als total entehrter, verächtlicher Betrunkener gezeichnet.



Hab 2,17


Der Grund für Babylons große Schande war sein Frevel am Libanon . Der Libanon, ein Gebiet nördlich von Israel, war bekannt für seinen Reichtum an Zedern und wilden Tieren. Rücksichtslos holten die Babylonier sich von dort Holz für ihre Bauwerke und schlachteten die Tiere ab, die in den Wäldern lebten. Der dem Wald zugefügte Frevel soll auf Babylon lasten, und das sinnlose Jagen und Töten der Tiere soll es schrecken.

Der schwerste Vorwurf, der bereits zweimal gegen die Babylonier erhoben wurde, war jedoch das Abschlachten der Menschen (vgl. Hab 2,8.12 ). Sie hatten nicht nur die Wälder vernichtet und die Hügel verwüstet, sondern auch am Lande und an der Stadt und an allen, die darin wohnen (vgl. V. 8 ), gesündigt. Die an Gottes Volk und seinen Geschöpfen verübte Schamlosigkeit wird Babylon statt Weltruhm ewige Schande bringen. Gottes großes Gericht wird über es kommen.



5. Wehe über die Abgötterei
(
2,18 - 20 )


Hab 2,18


Die letzte Strophe beginnt nicht mit dem dumpfen und drohenden "Weh!" (das folgt erst in V. 19 ), sondern mit der eindringlichen Frage: " Was wird dann das Bild helfen? " Die Antwort liegt auf der Hand. Ein Götze (wörtlich: "geschnitztes Bild", d. h. ein Götzenbild, das aus Holz geschnitten oder aus Stein gehauen ist) und ein Bild (wörtlich: "gegossenes Bild", d. h. ein Götzenbild aus geschmolzenemMetall in der Form eines falschen Gottes) sind zu nichts nütze. Wie schön diese Götterbilder auch immer scheinen mochten, sie waren dennoch im Grunde nur Holz- oder Metallblöcke. Auf ein solches Götzenbild zu vertrauen hieß, einem Gegenstand zu vertrauen, der Lügen lehrt , denn die Menschen wurden durch dieses Bild getäuscht und dazu verführt zu glauben, es könne ihnen helfen. Doch Götzen und Götzenbilder sind leblos. Da sie von den Gläubigen selbst geschaffen sind, können die Bilder ihnen nicht helfen (vgl. V. 19 ). Ob gebildet oder gegossen, sie bleiben stumme Gegenstände. Die ihnen zugeschriebenen Orakel sind offensichtlich Lügen, denn Bilder können nicht sprechen.



Hab 2,19


An die Frage schließt sich Gottes Verdammungsurteil über die schleichende Sünde des Götzendienstes an: Weh dem, der zum Holz spricht: "Wach auf!" und zum stummen Steine: "Steh auf!" Wie absurd, sich vor ein Stück Holz oder einen kalten Stein zu stellen und zu schreien: "Steh auf! Wach auf!" Die Szene erinnert an die Propheten Baals, als sie von Elia verspottet wurden ( 1Kö18,26-29 ).

Von einem leblosen Gegenstand kommt keine Hilfe oder Lehre, auch wenn er mit Gold und Silber überzogen ist (vgl. Jes 40,19 ). Er hat keinen Odem oder Geist und daher auch kein Leben in sich (vgl. 1Mo 2,7 ). Jesaja verspottet die Babylonier häufig für ihr Vertrauen in zahlreiche falsche Götter, die doch nur von Menschen gemachte Götzen waren ( Jes 41,7; 44,9-20; 45,16.20; 46,1-2.6-7 ; vgl. Jer 10,8-16 ). Götzen sind nutzlos, denn sie können nicht sprechen, nicht lebendig werden, lehren oder atmen. Der Götzendienst - das Anbeten von Menschenwerk statt des Schöpfers - steht unter dem Wehegericht Gottes.



Hab 2,20


Der letzte Vers der Strophe ist einzigartig. Anders als die vorangehenden vier Verse, die auf das Wehe folgten und im Hebräischen jeweils mit "denn" ( kI ; V. 8.11.14.17 ) beginnen, wird Vers 20 mit "aber" eingeleitet. Dieser ausgeprägte Gegensatz führt zu einem wunderbaren Höhepunkt: Aber der HERR ist in seinem heiligen Tempel. Es sei vor ihm stille alle Welt! Von den hohlen, von Menschen gemachten Götzenbildern wird die Aufmerksamkeit auf den lebendigen Herrn gelenkt, der aus sich selbst heraus existiert, auf den ewigen (vgl. Hab 1,12; 3,6 ), heiligen (vgl. Hab 1,12; Hab 3,3 ) Herrscher, der von seinem heiligen Tempel, d. h. vom Himmel aus, über das Universum herrscht (vgl. Ps 11,4; 18,7; Mi 1,2-3 ). Statt zu rufen "Steh auf! Erwache!" muß die ganze Erde still vor ihm sein und ihn anbeten. Das hebräische Wort hAsCh , übersetzt mit "still sein", bedeutet eigentlich "pst!" (so auch in Zeph 1,7 : "Seid stille"; und Sach 2,17 : "Sei stille").

Für Habakuk war das eine klare Botschaft. Schluß mit den Klagen! Schluß mit dem Zweifel! Gott ist nicht gleichgültig gegenüber der Sünde. Er ist nicht unempfindlich gegenüber dem Leid. Der Herr ist weder untätig noch unzugänglich. Er "sitzt im Regimente". Jahwe wird seinen göttlichen Plan zur richtigen Zeit vollenden. Habakuk soll in demütigem Schweigen vor ihm stehen und in stiller Erwartung auf Gottes Eingreifen harren. Der Schlußvers des Klageliedes bildet damit den Übergang zu dem Lobgesang, der im dritten Kapitel folgt.



III. Ein Lobgesang für Gott: Die Verherrlichung der Schöpfung Gottes
( Hab 3 )


Der bekümmerte Prophet, der sich über die ungehindert wuchernde Sünde in seinem Land beklagte, war überrascht, ja schockiert angesichts Gottes Offenbarung, daß schon ein Werkzeug zum Gericht über Juda bereitstand: Babylon. Er trug Gott seinen inneren Konflikt vor und wartete auf eine Antwort. Diese Antwort kam in der Form eines Klage- oder Spottliedes, das Habakuk aufzeichnen sollte. Als er von Gottes Plan, Babylon zu zerstören, erfuhr, verneigte sich der Prophet in demütiger Anbetung. Seine Fragen gehen in ein Gebet und einen Lobgesang über.

Das dritte Kapitel bildet den Höhepunkt von Habakuks Buch. Es ist keinesfalls, wie manche Forscher annehmen, ein von den beiden ersten Kapiteln unabhängiges, einheitliches Stück, das er später schrieb, und stammt schon gar nicht, wie manche glauben, von einem anderen Verfasser, der ebenfalls Habakuk hieß oder unter dessen Namen schrieb.

Trotz aller Hinweise auf den andersartigen Stil und den eigenen Titel fügt sich das dritte Kapitel gut in den Gedankengang des Buches ein. Der neue Stil entspricht dem neuen Thema. In gleicher Weise markierte die Wendung vom Dialog im ersten Kapitel zu dem Klagelied im zweiten Kapitel einen veränderten inhaltlichen Schwerpunkt. Außerdem wird das neue Thema in Hab 3,1 durch die Überschrift angekündigt, so wie im zweiten Kapitel das Bild der "Warte" ebenfalls auf einen Wechsel hinwies.

Als in Qumran der Habakuk-Kommentar entdeckt wurde, der nur die beiden ersten Kapiteln umfaßte, hielten die Forscher, die an zwei unabhängige Bücher glaubten, ihre These für bewiesen. Die Sache liegt jedoch nicht so einfach. Der Kommentator kann z. B. nur die beiden ersten Kapitel benutzt haben, weil sie seiner Absicht besonders entgegenkamen. Die Schriftrolle ist jedenfalls noch kein Beweis, daß es kein drittes Kapitel gab. Für dessen Existenz spricht auch die thematische Einheitlichkeit des Buches Habakuk. Das dritte Kapitel ist keine Nachschrift, sondern der Höhepunkt des Textes. Es ist der Gipfel des Berges, der Endpunkt einer Reise, die "im finstern Tal" begann.



A. Habakuks Bitte um Barmherzigkeit
(
3,1 - 2 )


Hab 3,1


Zu Beginn des zweiten Kapitels wartete Habakuk auf die Antwort Gottes und machte sich bereit, dem Herrn zu antworten ( Hab 2,1 ). Dann schrieb er Gottes Erklärung ( Hab 2,2-20 ) und auch seine eigene Reaktion auf. Seine Antwort war jedoch kein Protest mehr. Sie wurde ein Lobgesang, wie schon der schlichte Titel " Das Gebet des Propheten Habakuk " zeigt.

Diese Überschrift gleicht der vieler anderer Psalmen, die ebenfalls Inhalt, Verfasser und die literarische Form des Liedes angeben (vgl. z. B. Ps 16;30;45;88;102;142 ). Habakuk bezeichnet sich dabei wiederum, wie schon zu Beginn seines Buches, als Prophet ( Hab 1,1 ).

Das Wort "shigjonoth" , das Luther mit " nach Art eines Klageliedes " übersetzt hat, ist etwas dunkel. Im Hebräischen ist es der Plural eines Substantivs, das sonst nur noch in Ps 7 steht, wo Luther es ebenfalls mit "Klagelied" wiedergibt. Es scheint, mit einem Verb, das "vor- und zurücktaumeln" heißt, verwandt zu sein. Manche halten das Kapitel deshalb für eine ekstatische Dichtung in freiem Stil, wie er in Triumph- oder Siegesliedern Verwendung fand, oder auch für ein Elegie- oder Klagelied mit wechselnder Tonlage. Es ist unwahrscheinlich, daß sich der Begriff auf den Inhalt des Liedes bezieht, obwohl die hebräische Wurzel auch "übertreten oder sündigen" bedeuten kann. Schließlich geht es in dem Ps. nicht mehr um die Übertretungen oder Irrungen Babylons und Judas; es geht vielmehr um die Herrlichkeit Gottes. Wesentlich plausibler ist es also, von einer musikalisch-liturgischen Bedeutung des Wortes "shigjonoth" auszugehen. Eine weitere, ebenfalls den musikalischen Charakter des Kapitels betreffende Bemerkung steht am Schluß der Verse. Möglicherweise wurde das Lied irgendwann einmal Bestandteil des Tempelgottesdienstes.



Hab 3,2


Habakuk hatte Gottes Plan, Juda zu bestrafen und Babylon zu zerstören, gehört und war voller Ehrfurcht. Gottes Pläne und seine Größe gehen über das Verstehen des Menschen hinaus. Habakuks Antwort auf das, was er "gehört" hat (" HERR, ich habe die Kunde von dir gehört "), ist Ehrfurcht vor Gott. Der Prophet trägt nun die zwei einzigen Bitten dieses Gebetes vor. Er bittet um eine weitere Manifestation von Gottes Macht ( mache es lebendig , d. h. dein Werk ) und um Barmherzigkeit .

Die erste Bitte - die Bitte darum, daß Gott sein Eingreifen erneuern möge, wird zweimal mit der Zeit in Beziehung gesetzt: in naher Zeit (wörtlich: "inmitten der Jahre"). Es scheint, daß der Prophet eine rasche Erfüllung ersehnte. Gott hatte es ja auch bereits versprochen ( Hab 1,5 ).

Die zweite Bitte des Propheten steht in engem Zusammenhang mit der ersten. Habakuk bittet um Barmherzigkeit im Gericht ( im Zorne ; vgl. Hab 3,8.12 ).

An diese beiden Bitten schließen sich Verse, die eher als Lobpreis Gottes denn als Gebet zu betrachten sind (V. 3 - 19 ). Habakuk gedenkt darin der ehrfurchtgebietenden Taten des Herrn, als er sein Volk aus Ägypten heraus und durch die Wüste in das verheißene Land führte. Die Erinnerung an diese Taten gibt ihm die Zuversicht, daß Gott sein Volk auch aus Babylon erlösen wird.

 

B. Gottes mächtige Majestät
(
3,3 - 15 )


Habakuks fast an ein Ferngespräch erinnernde Konversation mit Gott im ersten Kapitel wurde im zweiten eher zu einer Art "geschlossener Gesprächsrunde im Fernsehen". Die zunächst nur über das Hören bestehende Verbindung ( Hab 1 ) wurde durch das, was Habakuk von seiner "Warte" aus sehen konnte, ergänzt ( Hab 2,1 ). Dann wurde der Prophet plötzlich mitten in die Gegenwart des Schöpfers selbst versetzt, mit dem er aus der Entfernung heraus so unerschrocken gesprochen hatte. Er stand Gott dem Herrn sozusagen von Angesicht zu Angesicht gegenüber (vgl. Hi 42,5 ).



1. Gottes Ankunft
(
3,3 a)


Hab 3,3 a


Wie Gott auf den Sinai herabkam, um den Bund mit seinem Volk zu schließen, so wird er wiederkommen, um es zu befreien und seinen Bund zu bestätigen. Habakuk beschrieb Gottes frühere Erscheinung am Sinai: Gott kam von Teman und der Heilige (vgl. Hab 1,12 ) vom Gebirge Paran . Mose hatte gesagt, die Erscheinung des Herrn sei wie ein Licht gewesen, das "von Seïr" - und "vom Berge Paran" kam ( 5Mo 33,2 ).

Teman war eine Wüstenoase in Edom, es kann jedoch auch für die ganze Region im Süden des Toten Meeres stehen. "Seïr", wie Mose es nannte, war der poetische Name für das Bergland Teman. Paran liegt westlich von Edom über dem Ghor-Tal, zwischen der Sinaihalbinsel im Süden und Kadesch Barnea, einem anderen Bergland, im Norden.

Es mag eine gewisse Bedeutung haben, daß Gott Mose in dem Gebiet südlich von Juda erschien, während die Babylonier von Norden her einmarschierten. Gott hatte hier im Süden viele Wunder vollbracht, als er sein Volk aus Ägypten in das verheißene Land führte.

Die übliche Bezeichnung für "Gott", der Plural " ?MlOhIm ", steht in diesem Vers im Singular, " ?MlNah ", was vielleicht auf die Wesenseinheit des göttlichen Erlösers, des "Heiligen", hinweisen soll.

Das " Sela " ( Hab 3,3.9.13 ), das im allgemeinen als weiteres Musikzeichen gilt, soll vielleicht eine Pause im Lied anzeigen. "Sela" steht sonst nur in den Psalmen - dort einundsiebzigmal. Das hebräische Wort, von dem es abstammt, bedeutet "erhöhen, emporheben". Es kann eine Pause bezeichnen, die (a) den Wechsel zu einer anderen Tonlage oder ein Anwachsen der Lautstärke angibt, (b) zum Nachdenken über das Gesungene und zur Erhöhung des Herrn im Lob dient oder (c) Gelegenheit zum Aufheben bestimmter Instrumente, wie vielleicht Fanfaren, geben soll. Welche Bedeutung es in unserem Zusammenhang auch immer haben mag, auf jeden Fall war in der Mitte von Hab 3,3 eine deutliche Unterbrechung beabsichtigt.



2. Gottes Erscheinung
( Hab 3,3 b. 4-7 )


Hab 3,3 b


Am Sinai war Gott wie ein schrecklicher Gewittersturm gekommen, der vom Berg herab in den Süden hereinbrach. Seines Lobes war der Himmel voll , und Sonne und Mond erschienen blaß im Vergleich zu ihm. Gottes schimmernde Herrlichkeit füllte nicht nur den Himmel, auch die Erde war seiner Ehre voll . "Ehre" meint hier wahrscheinlich nicht den Lobpreis von seiten der Menschen, sondern die Wirklichkeit des Ruhmes Gottes. Gottes Selbstoffenbarung erfüllte die Himmel und die ganze Erde.


Hab 3,4


Der Prophet stellt eine Steigerung in Gottes Erscheinung fest: Sein Glanz war wie Licht . Wie der Himmel beim Sonnenaufgang zuerst von den frühen Strahlen der noch verborgenen Sonne gefärbt, dann der Feuerball über dem Horizont erscheint, die Erde erhellt und schließlich alles mit strahlendem, glänzendem Licht erfüllt, so gingen Strahlen von Gottes Händen aus. Beim Näherkommen sah man, daß das alles durchdringende Licht aus der Hand des Herrn kam. Die Strahlen (wörtlich: "Hörner") umflossen Gott wie die Sonne. Die Sonne wird häufig vereinfacht als Kreis gezeichnet, den man ringsum mit Strichen, Strahlenbündeln oder Zacken umgibt, eine etwas grobe, aber nichtsdestoweniger anschauliche Darstellungsform der Strahlen. Interessanterweise wird mit dem hebräischen Verb für "Strahlen aussenden", das mit dem hebräischen Substantiv für "Hörner" verwandt ist, auch der Anblick Moses beschrieben, als er vom Berg Sinai herabgestiegen war: "die Haut seines Angesichts glänzte" (wörtlich: "sein Angesicht sandte Lichtstrahlen aus"; 2Mo 34,29-30.35 ). Das ist auch der Grund für die seltsamen Hörner, die Michelangelos berühmte Mosestatue trägt.

Gottes Glanz ist zugleich erhellend und verhüllend. Er offenbart seine Herrlichkeit, aber er verhüllt seine Macht . Man vergißt leicht, daß das Licht und die Wärme, die der Erde so wohltun, von einem Feuerball herrühren, der sie im Nu zerstören könnte. Deshalb ist Gottes Macht in seiner Herrlichkeit verborgen . Seine Offenbarung darf nicht vollständig sein, da sie sonst die Betrachter vernichten würde.



Hab 3,5


Gott kann seine Macht jedoch durchaus auch anwenden. Für diejenigen, die sich ihm widersetzen, ist er ein schrecklicher Gott. Als Gott über das Land ging, sah Habakuk: Pest ging vor ihm her, und Seuche (wörtlich: "brennende Hitze" oder "Blitze") folgte, wo er hintrat . Wenn er will, kann Gott seine Feinde mit Seuchen (wie in den 10 Plagen in Ägypten; 2Mo 7,14-11,10 ) oder mit der Pest (vgl. 5Mo 32,24 ) schlagen. Mit Pest kann hier sowohl eine von hohem Fieber begleitete Krankheit als auch das Verkohlen der Erde durch Blitze gemeint sein. Gott ist kein kleiner, alter Mann, der im Dachgeschoß wohnt, in die Menschen vernarrt ist und ihnen nur freundlich und liebenswürdig begegnet. Er ist allmächtig und all-liebend. Sein Glanz und seine Güte gehen einher mit Macht und Majestät.



Hab 3,6


Habakuks Vision Gottes, wie er näherkommt und über das Land schreitet, steigert sich zum Höhepunkt. Als Gott den Ort, von dem aus er richten wird, erreicht hatte, blieb er stehen, stand auf und ließ die Erde erbeben . Allein seine Gegenwart ließ die Erde beben. Die Heiden machte sein Blick erzittern (wörtlich: "in Schrecken verfallen"), und selbst die Natur wurde erschüttert. Die uralten Berge und uralten Hügel , die Grundfesten der Erde, wurden zu Staub zerschmettert . Genauso kam Gott mit Donner, Blitzen und Feuer auf den Berg Sinai herab, während die Berge bebten ( 2Mo 19,16-19 ). Doch wenn auch die uralten (wörtlich: "ewigen") Hügel zugrunde gehen, Gottes Ewigkeit bleibt bestehen. Das ist auch eine Warnung für diejenigen, die die Schöpfung über den Schöpfer stellen (vgl. Hab 2,19-20 )!



Hab 3,7


Kuschan und die Midianiter , Völker auf beiden Seiten des Roten Meeres (Kuschan ist eventuell auch nur eine andere Bezeichnung für Midian),hatten Gottes Erscheinung beim Exodus und auf der Wanderung durch die Wüste gesehen. Gottes wunderbares Handeln am Roten Meer (als er sein Volk aus der ägyptischen Gefangenschaft herausführte) versetzte die benachbarten Völker in Schrecken. Sie gerieten in Not und waren betrübt . Auch andere Völker hörten von Gottes großen Taten und ängstigten sich ( 2Mo 15,14-16; 5Mo 2,25; Jos 2,9; 5,1 ). Der Hinweis auf die Hütten und Zelte scheint die gefährdete Lage dieser Völker noch zu unterstreichen. Wenn die Berge schmelzen, welche Hoffnung haben dann Menschen, die sich unter Zelten zusammenkauern?



3. Gottes Taten
(
3,8 - 15 )


Habakuk wendet seine Aufmerksamkeit nun der Schilderung der Taten Gottes auf der Erde zu. Dieser Teil der Ode beginnt in Vers 8 mit einer Reihe von Fragen, die als stilistische Unterbrechung der Botschaft Leben und Anschaulichkeit verleihen und den Leser provozieren, über ihren Inhalt nachzudenken. Sie verlangen keine Antwort und sollen nur Gedankenanstöße sein.



a. In der Natur
(
3,8 - 11 )


Hab 3,8


Drei Fragen setzen sich mit dem Motiv für Gottes Erscheinen auseinander: Zeigte dieses Erscheinen seinen Zorn auf die Flut ? Auf die Wasser ? Wider das Meer ? Mit anderen Worten, war Gottes Grimm gegen die Natur gerichtet? Direkte Antworten werden nicht gegeben und sind auch nicht nötig. Gott ist nicht unzufrieden mit der Natur. Er benutzt die Natur lediglich als Werkzeug, um seine Macht zu demonstrieren (vgl. V. 12 - 13 ). Gott hatte seine Macht gezeigt, indem er den Nil ( 2Mo 7,20-21 ), das Rote Meer ( 2Mo 14,15-28; 15,8-10 ; vgl. Ps 78,13 ) und den Jordan ( Jos 3,14-17 ) schlug. Ebenso wird er die Völker schlagen. Er ist erschienen, weil er seine Feinde vernichten und sein Volk erlösen will. Habakuk sieht Gott als Sieger, der mit seinen Rossen und Wagen majestätisch vorwärts zieht (vgl. Hab 3,15 ). Die Pferde der Babylonier ( Hab 1,8-9 ) dagegen werden zum Stehen gebracht, wenn Babylon wenige Jahrzehnte später, im Jahr 539 v. Chr., fallen wird (vgl. Hab 2,6-8 ).



Hab 3,9


Gott zieht seinen Bogen hervor , d. h. er zieht ihn aus der Umhüllung, und spannt ihn. Die mit " legtest die Pfeile auf deine Sehne " übersetzte Stelle ist im Hebräischen rätselhaft. Ein Exeget behauptete, daß er mehr als 100 Übersetzungen dieses im Hebräischen aus drei Wörtern ( S+BuZNT maFFNT?Omer ) bestehenden kurzen Satzes gefunden habe. Das erste Wort kann mit "der siebte" (verwandt mit dem Sabbat), "Eid" oder "geschworen" übersetzt werden. M aFFNT kann "Äste", "Ruten", "Stäbe" oder "Stämme" heißen. ?~mer , ein ausschließlich in der Dichtung verwendetes Wort, bezeichnet "einen Diskurs", "ein Wort" oder "eine Angelegenheit oder Gelegenheit". Eine plausible und einigermaßen wörtliche Übersetzung lautet also: "Stäbe (Pfeile) werden geschworen von einem Wort." Das könnte man als Ausdruck für den Ernst dessen, was Gott hier tut, verstehen. Gott versichert in einem feierlichen Eid, daß er seine Waffen einsetzen wird.

Die Parallelen zwischen diesem Vers und Teilen von 5Mo 32 fallen ins Auge. Moses Lied spricht von einem verzehrenden Feuer ( 5Mo 32,22 ), von Fieber, Plagen ( 5Mo 32,24 ) und Pfeilen, die trunken von Blut sind ( 5Mo 32,42 ), als Teil des Racheschwurs Gottes gegen seine Widersacher ( 5Mo 32,41 ).

Wie man diesen kleinen Satz in Habakuks Lied auch übersetzen mag, das Wort sela , das dann folgt, ist auf jeden Fall abermals ein Aufruf, innezuhalten und nachzudenken. Gottes Beweggründe und seine Macht kommen in seinen Taten in der Natur, unter den Völkern und gegen seine Feinde zum Ausdruck. Er ist in der Lage, die Oberfläche der Erde durch Ströme zu spalten.



Hab 3,10


Habakuk personifiziert die Berge und schreibt ihre Reaktion Gottes Gegenwart und Macht zu: Sie sahen Gott, und ihnen ward bange . Das mit "bange" übersetzte hebräische Wort beschreibt eine Person, die sich, von einer plötzlichen Qual ergriffen, wie eine Gebärende windet. Vorher (V. 6 ) hatte der Prophet gesagt, daß die Berge vor Gott zu Staub werden; jetzt sagt er, ihnen werde bange. Der Berg Sinai bebte, als Gott Mose erschien ( 2Mo 19,18; Ps 114,5 ). Neben den Zeugnissen der Ströme ( Hab 3,9 ) und Berge (V. 10 a) regten sich auch die Wasser unter der Erde vor der Macht Gottes. Die Wasser der Tiefe werden ebenfalls personifiziert und können sprechen (wörtlich: " ließ sich hören "), und ihre hohen Wellen bekommen gleichsam Hände. Gottes Macht kann in der Natur Furchtbares bewirken! Schon das Rote Meer und der Jordan hatten Gottes Gebot gehorcht (vgl. Ps 77,7.20; 114,3.5 ). In diesem Chor der Natur vergaß die Sonne ihren Aufgang .



Hab 3,11


Sogar der Mond stand still (vgl. Jos 10,12-13 ). Vor dem Glänzen der strahlenden Majestät Gottes verblassen Sonne und Mond.

Während die ganze Natur bebt, eilen die Pfeile und Speere des Zornes Gottes (seine Blitze; vgl. Ps 18,15; 77,18 ) zu ihren Zielen. Sonne und Mond erblassen vor diesen leuchtenden Blitzen, die vielleicht den Hagel, der Israels Feinde bei Gilgal vernichtete, begleiteten ( Jos 10,11 ). Immer wieder benutzt Gott in seinem Zorn die Naturgewalten.



b. In den Nationen


Hab 3,12


Habakuk sah Gott in seiner Vision wie einen donnernden Giganten, der über die Erde schreitet. Gott ging wohl kaum "auf Zehenspitzen". Im Zorn (vgl. V. 2.8 ) zerdrosch er die Heiden . Wie ein Ochse das Getreide tritt, um Spreu und Körner zu trennen, so ging Gott über die Erde, um die sündigen Völker zu zertreten und Israel zu erlösen. Der Prophet vertraute darauf, daß er es wieder tun würde.



Hab 3,13


Der Grund für Gottes Gericht lag auf der Hand. Sein Zorn galt nicht der Natur (vgl. V. 8 ) oder den Menschen an sich. Er wollte die Gottlosen vernichten und seinen Gesalbten erlösen. Hinter Gottes Vernichtung stand das Ziel der Erlösung - seines Volkes, doch auch des Gesalbten , ein Terminus, der im Alten Testament niemals für das Volk Israel steht. Er bezieht sich wahrscheinlich auf den kommenden Messias (vgl. Ps 2,2; Dan 9,26 ). Indem Gott das Volk Israel bewahrte (indem er es aus Ägypten und später aus der babylonischen Gefangenschaft befreite), bahnte er dem Messias den Weg.

Du , so sagt Habakuk zu Gott, zerschlugst das Dach vom Hause des Gottlosen und entblößtest die Grundfeste . Damit ist im Hebräischen ein völlig zerstörtes Haus gemeint, dessen Dach abgedeckt ist, so daß die Grundmauern offenliegen. Gott hatte die Reiter von Pharao, die Israel verfolgten ( 2Mo 14,23-28 ), und andere Führer ( 4Mo 21,23-25; Jos 6,2; 8,28-29;10-11 ) vernichtet. Wenn er das tun konnte, dann konnte er auch Babylon zerstören. Auch Belsazar, der gottlose Herrscher, wurde seiner Macht entkleidet ( Dan 5,25-28.30 ).

Wieder sieht der musikalische Aufbau dieses Lob- und Schreckensliedes eine Pause vor. An dieser Stelle steht das dritte und letzte sela (vgl. den Kommentar zu Hab 3,3 ). Die äußerste und endgültige Vernichtung derer, die sich Gott widersetzen, zwingt zum Nachdenken. Bevor Gott zum endgültigen Auslöschen der gottlosen Menschen schreitet, verlangt er einen Augenblick des Besinnens - während sich die Staubwolken des vernichtenden Schlages, der die babylonischen Festungen in Schutt legte, senken.


Hab 3,14


Die beiden letzten Verse des Liedes über Gottes furchteinflößende Selbstoffenbarung sprechen von der endgültigen Zerstörung des Feindes. In Panik werden diejenigen umkommen, die versuchten, Israel zu zerstören: Ihre Scharen zerstoben wie Spreu .

Die barbarischen Horden werden als Räuber beschrieben, deren Freude (im Hebräischen ein Wort, das "frohlocken, jubeln" heißt und im Alten Testament nur an dieser Stelle steht) es war, die hilflosen, elenden Opfer auszurauben. Ihre Freude wird sich jedoch in Blut verwandeln, ihr Stolz in Schrecken, und plötzlich werden sie in tödlicher Verwirrung umkommen. Es ist nicht ganz klar, auf welches Ereignis in der Geschichte Israels sich diese Wendung bezieht.



Hab 3,15


Die Aufzählung der schrecklichen Taten Gottes endet mit dem Hinweis auf eines seiner eindrucksvollsten Wunder. Er führte sein Volk durchs Rote Meer und bereitete den ägyptischen Verfolgern ein nasses Grab ( 2Mo 14,15-18; 15,8-10 ). Gottes Sieg über die ägyptischen Reiter ist dabei so anschaulich dargestellt, als habe er selbst ihre Rosse im Meer niedergetreten (vgl. Hab 3,8 ). In seinem Sieg hatte Gott den Schlamm der Wasserfluten aufgewühlt (vgl. V. 10 ).

 

C. Habakuks getroster Glaube
(
3,16 - 19 )


Offensichtlich wurde jeder, der Gottes Macht in ihrer ganzen Größe sehen durfte, in Angst und Schrecken versetzt. Habakuk war da keine Ausnahme. Er hatte einen Beweis für Gottes Macht verlangt (V. 2 ) und ahnte nicht, was auf ihn zukommen sollte.



Hab 3,16


Der Prophet bebte am ganzen Leib, seine Lippen zitterten , und auch seine Knie bebten . Habakuk war nahe daran, bei dieser furchtbaren Begegnung mit Gott zusammenzubrechen. Er fühlte sich, als ob Fäulnis in seine Gebeine fahre, und seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. In diesem geschwächten Zustand jedoch kehrten sein Vertrauen und seine Hoffnung zurück. Er sah wieder einen Sinn in seinem prophetischen Amt, er war seiner selbst als Prophet wieder sicher. Er wollte harren auf die Zeit der Trübsal, daß sie heraufziehe über das Volk, das uns angreift . Der Prophet war entschlossen, auf diesen Tag, der ein Tag der Zerstörung und gleichzeitig ein Tag des Sieges über das gottlose Babylon sein würde, zu warten. Gottes Taten für Israel in Ägypten, am Roten Meer, auf dem Berg Sinai, am Jordan und bei der Eroberung von Kanaan waren zweifellos ehrfurchtgebietend. Der Rückblick auf dieses frühere Wirken Gottes gab dem Propheten die Gewißheit, daß Gott Israel auch aus Babylon erlösen würde. Habakuk war zuversichtlich, daß Gott eines Tages sein mächtiges Handeln, seinen Zorn gegenüber Babylon und seine Barmherzigkeit gegen Juda, "lebendig machen" werde (V. 2 ).

 

Hab 3,17


Der geschwächte körperliche Zustand des Propheten steht in schroffem Gegensatz zu seiner unglaublichen geistlichen Kraft. Habakuk malte die schlimmsten möglichen Folgen von Gottes Zorn kurz aus: völliges Ausbleiben der Ernte (Feigen, Trauben, Oliven und Korn - die Grundnahrungsmittel des Volkes) und der Verlust aller Schafe und Rinder . Doch selbst inmitten der völligen Vernichtung und der größten Hungersnot (die tatsächlich eintrat, als die Babylonier Jerusalem eroberten; Kl 2,12.20; 4,4.9-10;5,17-18 ) vertraute der Prophet auf Gott. Er wußte, daß innere Ruhe nicht von äußerem Wohlstand abhängig ist.



Hab 3,18


Habakuk sagt nicht, daß er das Unheil lediglich über sich ergehen lassen werde. Er will sich freuen des HERRN und fröhlich sein . Gott ist die unerschöpfliche Quelle der Freude. Gott, mein Heil, heißt wörtlich "der Gott meiner Rettung" ( ?MlOhL yiSZi ; dieselbe hebräische Wendung steht in Ps 18,46; Ps 25,5 ). Viel zu viele Menschen versuchen, sich Freude zu erkaufen, doch das Glück liegt nicht in den äußeren Umständen. Freuen kann sich jeder, auch diejenigen, die keinerlei materiellen Besitz haben, denn die Freude wird in einem Gegenüber gefunden. Sie kommt aus einer vertrauten und persönlichen Beziehung zum Herrn, aus der heraus jeder - auch in der schlimmsten Lage - lächeln kann.



Hab 3,19


Die unfehlbare Quelle der Kraft und des Vertrauens, die für Frieden und Zufriedenheit notwendig sind, ist der HERR ( ?XdOnAy ), Gott ( Jahwe ) selbst. Die Stärke, die er verleiht,macht die Füße wie Hirschfüße , wie die Füße einer Gazelle oder eines anderen lebhaften, leichtfüßigen Tieres. So wie ein Hirsch geschwind einen dunklen Wald durchbrechen kann, so - sagt der Prophet - wird er fröhlich durch schwierige Umstände hindurchgehen. Obwohl seine Knie bei der schrecklichen Erscheinung Gottes bebten (V. 16 ), war eben dieser Herr seine Freude (V. 18 ), seine Kraft (V. 19 ) und seine Sicherheit. Gott setzte den Propheten in die Lage, über die Höhen zu gehen: Er wird nicht nur Prüfungen durchstehen, sondern auch die Gipfel des Sieges und Triumphes erklimmen. Die dichterische Sprache dieses Verses findet sich auch in anderen Textstellen (z. B. 5Mo 32,13; 2Sam 22,34; Ps 18,34 ). Ein Hirsch oder eine Gazelle sind ein Bild der Stärke, Sicherheit, Schönheit und Schnelligkeit.

Die Schlußworte " vorzusingen, beim Saitenspiel " sind ein Zusatz und beziehen sich auf den Titel des "Gebetes" des Propheten ( Hab 3,1 ). Sie deuten auf die Verwendung dieses Liedes im Gottesdienst hin. Der Prophet bestimmte seinen Ps. für die Verwendung im öffentlichen Gottesdienst, unter der Begleitung von Saiteninstrumenten. Das dumpfe Dröhnen von Habakuks Klage ( Hab 1,2-4.12- Hab 2,1 ) macht den lebenssprühenden Tönen von Freude und Zuversicht Platz.

Gott der Herr läßt diejenigen, die ihm vertrauen, über die Umstände triumphieren. Um aus einer Belastung herauszukommen, muß man sich dem Herrn unterstellen. Unter dem Herrn zu stehen heißt, über den Umständen zu stehen. Diese Erfahrung ist unbezahlbar, insbesondere, wenn die Welt wie Treibsand erscheint.

Habakuk war dabei "unterzugehen", als er begann, dieses Buch zu schreiben. Überall sah er nur Zerstörung, Frevel, Hader, Streit, Ungerechtigkeit und Gottlosigkeit. Doch er schrie zu Gott, und sein Schreien wurde gehört. Der Herr antwortete nicht nur auf seine Klage, sondern gab ihm auch das Vertrauen, das er brauchte, um aus dem Elend herauszukommen. Habakuks Reise begann in der Grube, doch sie endete auf dem Berggipfel. Sie war zwar nicht gerade leicht, aber sie hatte sich gelohnt.

Gott führte Habakuk durch den Dialog ( Hab 1 ), in dem er seinen Plan, Juda zu bestrafen und Babylon zu zerstören, enthüllte. Dann schrieb Habakuk auf Gottes Befehl hin ein Klagelied auf ( Hab 2 ), in dem Gottes Gericht über Babylon nochmals ausführlich gerechtfertigt wurde. Schließlich fand der Prophet Worte höchsten Lobes, in denen Gott sich selbst in all seiner Macht und Herrlichkeit offenbarte. Dieser Lobgesang ( Hab 3 ) schloß mit Habakuks unerschütterlichem Vertrauen in den Herrn.

Die Verzweiflung des Propheten wurde von seinem Vertrauen besiegt. Seine Furcht wurde zur Zuversicht. Habakuk wandelte sich von einem verbitterten, nervösen, niedergedrückten Propheten zu einem zuversichtlichen, fröhlichen Prediger. Die Gerechten, Aufrechten, Glücklichen, Zufriedenen und Siegreichen werden durch ihren Glauben leben. Denn der Glaube überwindet die Welt! ( 1Joh 5,4 ).


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