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2. Thessalonicher Walvoord für iPad

2. Thessalonicher (Thomas L. Constable)

EINFÜHRUNG
Verfasserfrage

Auch der zweite Brief an die Gemeinde in Thessalonich beansprucht für sich Authentizität als echter Brief des Apostels Paulus (vgl. 1Thes 1,1 ). In den Schriften der frühen Kirchenväter finden sich keinerlei Hinweise darauf, daß die Echtheit des Briefes damals angezweifelt wurde, vielmehr erwähnen mehrere von ihnen ausdrücklich, daß Paulus ihn tatsächlich persönlich geschrieben habe. Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die Verfasserschaft des Apostels von seiten der historisch-kritischen Forschung, die die Verbalinspiration der Bibel bestreitet, in Frage gestellt. Da jedoch andererseits die Authentizität dieser und anderer neutestamentlicher Schriften bis heute immer wieder nachgewiesen wurde, konnten sich die kritischen Ansätze nicht allgemein durchsetzen.

2. Thessalonicher

Abfassungsort


Alle Gelehrten des konservativen Lagers sind sich darüber einig, daß Paulus den 2. Thessalonicherbrief von Korinth aus geschrieben hat. Ihre Überzeugung gründet sich auf die Tatsache, daß sich Paulus, Silvanus und Timotheus gemeinsam in der Stadt aufhielten ( Apg 18,5 ). Nirgends in den neutestamentlichen Schriften wird berichtet, daß sie zu einem späteren Zeitpunkt nochmals alle drei beisammen waren - auch wenn das durchaus der Fall gewesen sein mag. Da auch der 1. Thessalonicherbrief in Korinth entstand (vgl. die Einführung zu 1. Thess) und da die Themen des zweiten Briefes an die des ersten anzuknüpfen scheinen und auf eine ganz ähnliche Ausgangslage in der thessalonischen Gemeinde hindeuten, erscheint Korinth in vieler Hinsicht als Abfassungsort am plausibelsten.

 

2. Thessalonicher

Anlaß und Zweck des Briefes


Im Brief selbst finden sich Hinweise, daß Paulus kurz zuvor Nachricht über die Zustände in der thessalonischen Gemeinde erhalten hatte, möglicherweise durch den Boten, der den ersten Brief des Apostels nach Thessalonich brachte und dann nach Korinth zurückkehrte. Vielleicht wurden die drei Missionare (Paulus, Silvanus und Timotheus) aber auch von anderer Seite informiert. Es gab gute Neuigkeiten: Trotz aller Verfolgungen nahm die thessalonische Gemeinde im Glauben zu und blieb Christus treu. Doch es war auch Negatives zu vermelden: Falsche Lehren über den sogenannten "Tag des Herrn" waren in der Gemeinde aufgetaucht, hatten die Gläubigen in die Irre geführt und manche Gemeindeglieder sogar dazu veranlaßt, in der Erwartung der baldigen Wiederkunft des Herrn ihren Beruf aufzugeben.

Angesichts dieser Vorkommnisse sah Paulus sich gezwungen, den Thessalonichern abermals einen Brief zu schreiben. Er lobte darin seine "Kinder im Glauben" für ihre zunehmende geistliche Reife, bezog Stellung zu den Irrlehren über den "Tag des Herrn" und warnte die Gemeindeglieder vor den Folgen übereilter Handlungen.


2. Thessalonicher

GLIEDERUNG


I. Grußwort ( 1,1-2 )

II. Lob für die Fortschritte der Gemeinde in der Vergangenheit ( 1,3-12 )

     A. Dank für das geistliche Wachstum der Gemeinde ( 1,3-4 )
     B. Ermahnung zur Beständigkeit ( 1,5-10 )
     C. Gebet um die Vollendung der Thessalonicher ( 1,11-12 )

III. Richtigstellung der eschatologischen Irrümer in der Gemeinde ( 2,1-12 )

     A. Der Anbruch des Tages des Herrn ( 2,1-5 )
     B. Das Geheimnis der Bosheit ( 2,6-12 )

IV. Danksagung und Gebet ( 2,13-17 )

     A. Dank des Apostels für die Berufung der Thessalonicher ( 2,13-15 )
     B. Bitte um Kraft für die Gemeinde ( 2,16-17 )

V. Ermahnungen für ein künftiges geistliches Wachstum ( 3,1-15 )

     A. Fürbitte für die Apostel ( 3,1-2 )
     B. Zuversicht der Apostel ( 3,3-5 )
     C. Umgang mit den "Unordentlichen" ( 3,6-10 )
     D. Gebote für die "Unordentlichen" ( 3,11-13 )
     E. disziplinierung der Ungehorsamen ( 3,14-15 )

VI. Schluß ( 3,16-18 )


2. Thessalonicher
AUSLEGUNG
I. Grußwort
( 1,1-2 )

2Thes 1,1

Der Brief setzt mit der Erwähnung jener drei Männer ein, die auch im 1. Thessalonicherbrief ( 2Thes 1,1 ) als Verfasser genannt werden. Wie dort ist Paulus der unmittelbare Briefschreiber, der im Laufe des Briefes immer wieder auch persönlich hervortritt ( 2Thes 2,5;3,17 ). Silvanus und Timotheus schließen sich jedoch seinen Worten an, wie an der Verwendung zahlreicher "Wir"-Formulierungen deutlich wird ( 2Thes 1,3-4.11-12; usw.). (Weitere Informationen zu den Autoren gibt der Kommentar zu 1Thes 1,1 .)

Auch die Adressaten des Briefes sind dieselben: "die Gemeinde in Thessalonich in Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus" . Wie an vielen anderen Stellen in den neutestamentlichen Briefen wird Jesus Gott dem Vater hier völlig gleichgestellt. Gott ist der Vater jedes einzelnen Christen, eine Wahrheit, die Jesus Christus den Menschen offenbart hat ( Mt 6,9 ). Eine christliche Gemeinde ist eine Gemeinschaft von Einzelpersonen, die im Glauben an den versöhnenden Tod Jesu Christi in Christus und damit Kinder Gottes sind.


2. Thessalonicher
2Thes 1,2

Paulus erinnert seine Leser in seiner Grußformel daran, daß sie Empfänger der Gnade und des Friedens Gottes sind, und wünscht ihnen, daß sie diesen göttlichen Frieden zutiefst empfinden mögen. In der Gnade manifestiert sich der Reichtum Gottes, den Christus für die Menschen erworben hat; sie ist die unverdiente Zuwendung Gottes, die er allen, die Jesu stellvertretendes Sühnewerk am Kreuz im Glauben annehmen, zukommen läßt. Gottes Gnade wird darin deutlich, daß er den Menschen das Gegenteil dessen gibt, was sie verdienen: Segen statt Gericht. Der Friede Gottes beschreibt einen Zustand ohne jede Feindseligkeit, der durch den Tod Christi für die Christen erwirkt wurde. Gott und die Menschen können miteinander versöhnt sein, weil Christus die Schuld für die menschliche Sünde bezahlt hat. Die Christen haben durch den Tod Christi Frieden mit Gott, aber sie erleben durch die Tat Christi auch den von Gott kommenden Frieden.

Selbst inmitten von Bedrängnissen und Verfolgungen können sie in diesem inneren Frieden leben. Das ist auch der Wunsch des Apostels für die Gemeinde in Thessalonich. In beiden Briefen an die Thessalonicher benutzt Paulus die Wendung "Gnade und Friede mit euch", doch nur hier fügt er hinzu: "von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus" . Gnade und Frieden sind Gaben Gottes, die durch den Herrn Jesus Christus über die Gläubigen ausgegossen werden.


2. Thessalonicher

II. Lob für die Fortschritte der Gemeinde in der Vergangenheit
( 1,3 - 12 )


In diesem Abschnitt geht Paulus in leichtem Konversationsstil auf ganz verschiedene Themen ein. Er dankt Gott für das geistliche Wachstum der Gläubigen in Thessalonich und ermutigt sie, bei ihrer Standhaftigkeit zu bleiben. Schließlich spricht er von der Fürbitte, die er und seine Mitarbeiter für das geistliche Weiterkommen der Gemeinde darbringen.


A. Dank für das geistliche Wachstum der Gemeinde
( 1,3-4 )

In diesen beiden Versen erklärt der Apostel den Grund seiner Dankbarkeit und die Folgen, die sie hat.

2Thes 1,3

Paulus und seine Mitstreiter in Thessalonich haben guten Grund, Gott für die Gläubigen dort zu danken , und tun dies auch immer wieder (vgl. 1Thes 1,2 ). Ja, Paulus empfindet es geradezu als eine Pflicht, die er nur zu gerne auf sich nimmt, Gott für die Erfolge der Mission in Thessalonich zu danken, denn der Glaube der Gemeinde hat immer mehr zugenommen ( hyperauxanei ). Das griechische Verb auxanO wird in den Evangelien im Zusammenhang mit dem Wachsen von Pflanzen und kleinen Kindern gebraucht, in den Briefen dagegen steht es grundsätzlich für geistliches Wachstum (z. B. Eph 4,15; Kol 1,6.10; die Steigerungsform hyperauxanei kommt im Neuen Testament nur an dieser einen Stelle vor). Dieses Glaubenswachstum soll im christlichen Leben nie zum Stillstand kommen. Die thessalonischen Gläubigen sollen Gott im Laufe der Zeit immer fester und ausschließlicher vertrauen lernen. Der Glaube ist nichts Statisches - da er sich auf eine Person richtet, kann er jederzeit wachsen oder abnehmen. Ein zunehmender Glaube aber ist ein Zeichen für geistliches Wachstum.

Doch die Thessalonicher haben sich nicht nur in ihrer Beziehung zu Gott weiterentwickelt, auch ihr zwischenmenschlicher Umgang hat sich verändert. Echter Glaube an Gott geht immer Hand in Hand mit der Liebe zum Nächsten ( Jak 2,14-17 ). Der Glaube ist gleichsam die Wurzel, die die Liebe als Frucht hervorbringt. So nimmt denn auch die gegenseitige Liebe der Thessalonicher immer mehr zu (pleonaxei ). Im 1. Thessalonicherbrief ( 3, 12 ) hatte Paulus sie in dieser Haltung bestärkt ( pleonasei ) und stellt nun zu seiner Freude fest, daß seine Mahnung auf fruchtbaren Boden fiel - Glaube und Liebe gedeihen in der Gemeinde wie gut gedüngte Pflanzen über alle Erwartungen hinaus. Die Thessalonicher sind in dieser Hinsicht ein herausragender Einzelfall in der missionarischen Praxis des Apostels.



2Thes 1,4


Wegen dieser überaus positiven Entwicklung sprechen die Apostel anderen Gemeinden gegenüber häufig mit berechtigtem Stolz von der thessalonischen Kirche und stellen sie als nachahmenswertes Vorbild hin. Besonders ihre Geduld ( hypomonEs ; vgl. 1Thes 1,3; 2Thes 3,5 ) inmitten von Verfolgungen ist bewundernswert. Die Thessalonicher reagierten auf die widrigen Umstände, mit denen sie konfrontiert waren, offensichtlich nicht so wie viele Christen, die Unannehmlichkeiten lieber aus dem Wege gehen. Sie betrachteten das, was mit ihnen geschah, vielmehr als Gottes Willen und waren entschlossen, dem Druck nichtnachzugeben. Dabei verließen sie sich keineswegs auf ihre eigene Kraft, sondern stützten sich ganz auf ihren Glauben. Sie erwarteten von Gott, daß er ihnen die Gnade schenken möge, die Anfeindungen zu ertragen, und sie akzeptierten das, was sie durchzumachen hatten, als einen Weg, auf dem Gott seine Herrlichkeit offenbar machen will. Deshalb ertrugen sie geduldig alle Verfolgungen ( diOgmois ) von seiten der Feinde des Evangeliums (vgl. 1Thes 3,3-4 ). Die zahlreichen Bedrängnisse ( thlipsesin ; vgl. V. 6-7 ), denen sie ausgesetzt waren, gingen sowohl von den Juden als auch von den Heiden aus (vgl. 1Thes 1,6;2,14; Apg 17,5-9 ). Doch ihre Angriffe konnten die Thessalonicher nicht in ihrem Glauben irremachen.



2. Thessalonicher

B. Ermahnung zur Beständigkeit
( 1,5 - 10 )


Paulus bemüht sich, den Seelen der bedrängten Heiligen in Thessalonich Nahrung zu geben, damit sie dem Druck der Versuchung weiter standhalten können.



2Thes 1,5


Die gegenwärtigen Erfahrungen der Thessalonicher, so macht Paulus ihnen ermutigend klar, sind ein Anzeichen dafür, daß Gott recht richten wird , sie sind nichts anderes als ein Zeichen seiner Gerechtigkeit.

Wenn Gott am Ende die Menschen richten wird, wird er die Gläubigen aus Thessalonich für würdig halten, in sein Reich einzugehen. Es wäre sicherlich ein Mißverständnis, aus diesem Satz abzuleiten, daß das Ausharren in Bedrängnissen die Menschen des Himmelreiches würdig macht - man verdient sich den Himmel nicht durch Leiden. Doch an der Geduld in der Not zeigt sich die Würdigkeit des Menschen. Würdig aber wird der Christ allein durch die Gnade Gottes, die er durch den Glauben an Jesus Christus als ein Geschenk empfängt. Seine Bedrängnisse machen lediglich deutlich, was er bereits besitzt, und da die Festigkeit, die im Läuterfeuer der Prüfungen zutage tritt, etwas Gottgegebenes ist, gebührt Gott allein der Ruhm dafür. Es ist die göttliche Gnade, die es dem Christen ermöglicht, menschliche Erfahrungen, die einen Nichtchristen vernichten würden, auszuhalten, und sie ist es, die ihn des Reiches Gottes würdig macht. Dieses Reich manifestiert sich in der vollkommenen Herrschaft Gottes, an der die Christen als seine Kinder teilhaben.

Der Zweck der Leiden der Thessalonicher war es also, Gott dadurch zu verherrlichen, daß in der Art, wie sie ihre Beschwernisse ertrugen, seine Gnade nur um so deutlicher zum Ausdruck kam. In gewissem Sinne nahmen sie die Strapazen der Verfolgung auch als Soldaten Christi auf sich.



2Thes 1,6


Paulus erklärt seinen Lesern, inwiefern in ihrer Bedrängnis Gottes Gerechtigkeit zutage tritt. Er beginnt mit jener großen Wahrheit, die sich vom 1. Buch Mose bis zur Offenbarung durch die ganze Heilige Schrift zieht: "Gott ist gerecht." Er wird die Waagschalen der Gerechtigkeit im Gleichgewicht halten und mit Bedrängnis ( thlipsin ; vgl. V. 4 ) vergelten denen, die jetzt die Thessalonicher bedrängen ( thlibousin ; vgl. Gal 6,7 ).




2Thes 1,7


Zugleich aber wird Gott denjenigen, die zu Unrecht von ihren Feinden verfolgt (wörtlich: "bedrängt, bedrückt", thlibomenois ; vgl. V. 4.6 ) werden, Erleichterung verschaffen. Auf diesen Moment dürfen sich die Thessalonicher wie die Apostel und alle anderen Christen, die unter Repressalien leiden, freuen. Diese endgültige Ruhe ( anesin ; das Wort kommt nur fünfmal im Neuen Testament vor: Apg 24,23; 2Kor 2,13;7,5;8,13 ) wird mit der Offenbarung Christi einkehren. Paulus beschreibt den Vorgang so, als würde ein Schleier vor Christus fortgezogen, wenn er sich "in Feuerflammen" offenbaren wird (V. 8 ; vgl. 2Mo 3,2; 19,18; 24,17; Ps 18,12; Jes 30,27-30; Jes 66,15; Dan 7,9-10 ). Dann wird der Herr herrschen, wie es jetzt die Verfolger der Christen tun; er wird bei seinem Kommen von den Engeln seiner Macht begleitet, die für die Durchführung seiner Gebote sorgen werden.



2Thes 1,8


Wenn diese Zeit angebrochen ist, wird Jesus Christus an zwei Gruppen von Menschen Vergeltung üben : an denen, die Gott nicht kennen ( Röm 1,18-32 ), und an denen, die nicht gehorsam sind dem Evangelium (vgl. Joh 3,36 ). Die Schuld der letzteren ist dabei größer, weil sie die besseren Ausgangsmöglichkeiten hatten. Das bewußte Verschmähen der Offenbarung Gottes ist letztlich eine gegen Gott selbst gerichtete Zurückweisung, die Gottes vollkommen gerechtes Urteil heraufbeschwören wird.




2Thes 1,9


Hier wird die Vernichtung beschrieben, die über die beiden Gruppen kommen wird. "Die werden Strafe erleiden" heißt wörtlich: "Sie werden eine Strafe zahlen" ( dikEn tisousin ). Als Strafe für ihre Verwerfung der Gnade Gottes werden sie das ewige Verderben erleiden ( olethron aiOnion ) - das ist "die am schärfsten formulierte Aussage zur ewigen Dauer der künftigen Strafe in den paulinischen Briefen" (Edward Headland und Henry B. Swete, The Epistle to the Thessalonians , London 1863, S. 137). Die Bestrafung der Bösen wird weder zeitlich begrenzt sein noch auf die Auslöschung ihrer Existenz hinauslaufen, sondern sie wird ewig währen, und die Bestraften werden sie bei vollem Bewußtsein erleben. Es ist der ewige Tod, der hier dem ewigen Leben entgegengesetzt wird ( Mt 25,46 ). Im folgenden wird noch genauer ausgeführt, wie dieses Verderben aussehen wird.

Die ewige Strafe besteht in der Trennung vom Angesicht Gottes . Während die Hoffnung der Christen sich darauf richtet, den Herrn zu sehen und bei dem zu sein, dessen Gegenwart den Himmel erst zum Himmel macht, werden die Ungläubigen durch Gottes Urteil dazu verdammt, auf ewig von seiner Gegenwart ausgeschlossen zu sein (vgl. Röm 1,18; Röm 2,5-9; Röm 6,21; Phil 3,19; 1Thes 1,10;4,17 ).

Mit "seiner herrlichen Macht" ist der sichtbare Glanz der Gegenwart Gottes gemeint, die in einem majestätischen Schauspiel sichtbar werden wird (vgl. Offb 19,11-16 ).


 

2Thes 1,10


Das Gericht über die Ungläubigen wird stattfinden, wenn der Herr auf die Erde kommen und durch das Leben der Gläubigen, die er von Sündern in Heilige verwandelt hat, verherrlicht wird. Paulus spricht hier nicht von der Entrückung ( Joh 14,2-3; 1Thes 4,13-18 ), die nicht vom Gericht begleitet wird, sondern hier geht es um das Offenbarwerden Jesu Christi in Macht und Herrlichkeit ( Ps 2,1-9; Mt 25,31 ), wenn er sein Reich auf Erden errichtet ( Offb 19,11-20,4 ). Bei seiner Wiederkunft wird er die gegen ihn zusammengezogenen Heere bei Harmagedon schlagen ( Offb 16,12-16;19,19-21 ) und danach die Juden ( Hes 20,33-38 ) und Heiden ( Mt 24,31-46 ) richten, die dann noch leben.

Der genaue Zeitpunkt der Wiederkunft des Herrn ist den Menschen nicht bekannt. Auf jeden Fall wird dieser Augenblick für die Verlorenen ein Tag des Gerichts und für die Gläubigen ein Tag der Herrlichkeit und des Staunens sein. An diesem Tag wird Christus in seinen Heiligen (nicht "von" ihnen) verherrlicht werden, d. h., seine Herrlichkeit wird sich in ihnen spiegeln, und die Christen werden ihren Herrn für alles, was er für sie getan hat, anbeten. Es werden alle Gläubigen versammelt sein - nicht nur die zu dieser Zeit auf der Erde lebenden und jene, die bei Christi Wiederkunft auferweckt wurden, sondern auch die, die mit ihm zur Erde zurückkommen, nachdem sie ihm bei der Entrückung entgegengegangen sind.

Zu dieser letzteren Gruppe werden nach Paulus' Überzeugung auch die thessalonischen Gläubigen gehören. Weil sie geglaubt haben , was der Apostel ihnen bezeugt hat, werden sie diesen großen Tag miterleben.

Diese Hoffnung müßte eigentlich jedem Gläubigen, der unter dem Druck von Verfolgungen steht, Kraft geben (V. 4 ). Zweifellos ermutigte der Blick in die Zukunft die Leser des Briefes - wie er auch den Gläubigen von heute Mut machen kann.




C. Gebet um die Vollendung der Thessalonicher
( 2Thes 1,11-12 )


Die vorangehenden Ausführungen sind für Paulus ein Anlaß zur Fürbitte für seine thessalonischen Brüder und Schwestern. Sie sollen imstande sein, ihr Leben auf eine Art und Weise zu leben, die mit ihrer Berufung und ihrer göttlichen Bestimmung in Einklang steht.

2Thes 1,11


Paulus und seine Mitarbeiter beten beständig für die Thessalonicher, denn das geistliche Wohl der Gemeinde liegt ihnen in besonderer Weise am Herzen.

Sie bitten Gott, die Gemeindeglieder der Berufung , die sie von ihm empfangen haben, würdig zu machen, so daß sie durch ihren Glauben an Jesus Christus zu Gott finden (vgl. Röm 8,30; Eph 4,1; 1Thes 4,7 ). Wenn Paulus für seine Gemeinden um die Befähigung zu einer wahrhaft christlichen Lebensführung bat, so ging er dabei von dem aus, was Gott bereits für die Gläubigen getan hatte: Christen leben ja nicht nach dem Willen Gottes, um erlöst zu werden, sondern weil ihnen die Erlösung bereits geschenkt ist.

Eine zweite Bitte der Apostel richtet sich darauf, daß Gott alles Wohlgefallen am Guten in der Gemeinde wecken und das Werk des Glaubens in ihr zur Vollendung bringen möge. Beides hat seinen Ursprung in Gott ( Phil 2,13 ) und kann daher nur in seiner Kraft erreicht werden.




2Thes 1,12


Der eigentliche Sinn des Gebetes aber ist das Gotteslob und die Bitte um das Deutlichwerden der göttlichen Herrlichkeit in den und durch die thessalonischen Gläubigen, sowohl in der unmittelbaren Gegenwart (V. 12 ) als auch in der Zeit des Offenbarwerdens Jesu Christi (V. 10 ). Dann werden auch die Gefäße, in denen sich jetzt die Herrlichkeit Gottes spiegelt, durch ihre Verbundenheit mit ihm verherrlicht werden. In der Bibel steht der Terminus "der Name" stets für die ganze Person, für ihren Charakter, ihren Lebenswandel und ihren Ruf. Indem Paulus diesen Begriff verwendet, bittet er Gott darum, Jesus in diesen seinen Heiligen in Thessalonich herrlich werden zu lassen. Er stellt dabei die Person des Herrn Jesus Christus Gott, den er als "unseren" Gott bezeichnet, gleich (vgl. V. 1 ; 1Thes 1,1 ). Die Erfüllung von Gebeten hängt allein von Gottes Gnade ab. Nur durch diese Gnade können so hochfliegende Wünsche, wie Paulus sie hier äußert, wahr werden.


2. Thessalonicher

III. Richtigstellung der eschatologischen Irrtümer in der Gemeinde
( 2,1 - 12 )


Der zweite, entscheidende Teil des 2. Thessalonicherbriefes enthält Aussagen, wie sie sonst an keiner Stelle in der Bibel zu finden sind. Sie enthalten den Schlüssel zum Verständnis der zukünftigen Ereignisse, die die Christenheit erleben wird. Paulus befaßt sich hier mit einer Irrlehre im Zusammenhang mit der Eschatologie (der Lehre von den letzten Dingen), die in der thessalonischen Gemeinde aufgekommen war. Im zweiten Kapitel geht er zunächst auf den theologischen Aspekt dieser Irrlehre ein und setzt sich dann im dritten Kapitel mit praktischen Problemen in der Gemeinde auseinander, die aus diesem Irrtum heraus entstanden waren.

A. Der Anbruch des Tages des Herrn
( 2,1-5 )


Paulus hatte den Thessalonichern schon vom "Tag des Herrn", wie er im Alten Testament beschrieben ist, erzählt, als er bei ihnen war. Dieser "Tag des Gerichts" spielt in den alttestamentlichen Texten eine wichtige Rolle als die Zeit, in der Gott in direkterer und drastischerer Weise als je zuvor seine Strafe und seinen Segen über die Menschen ausgießen wird (vgl. Jes 13,6.9; Zeph 1,14-16 ). Aus weiteren Offenbarungen im Neuen Testament, die diese Zeitperiode betreffen, wird geschlossen, daß sie nach der Entrückung der Kirche einsetzen wird und die Zeit der großen Trübsal und das Tausendjährige Reich umfaßt.

In seinem ersten Brief an die Thessalonicher hatte Paulus der Gemeinde geschrieben, daß der Tag des Herrn kommen werde "wie ein Dieb in der Nacht" ( 1Thes 5,2 ). Dieser Gedanke machte seinen Lesern offensichtlich zu schaffen. Es hat den Anschein, als ob einige von ihnen daraufhin dachten, der Tag des Herrn sei bereits gekommen. Immerhin schienen die Verfolgungen, denen sie ausgesetzt waren, ganz zu dem zu passen, was die Propheten des Alten Testaments über die großen Bedrängnisse gesagt hatten, die am Tag des Herrn über das Gottesvolk und die ganze Welt hereinbrechen werden. Offenbar hatten gewisse andere Lehrer die Thessalonicher noch in dieser Ansicht bestärkt. Doch nun stellte sich für sie die Frage, wie dann Paulus' frühere Aussage, daß sie entrückt und dem Zorn Gottes entzogen würden, wahr sein konnte. Um diesen irrigen Meinungen entgegenzutreten, geht der Apostel hier nochmals ausführlich auf die ganze Frage ein ( 2Thes 2,1-5 ).



2Thes 2,1


Durch seine Ausführungen zum Kommen Christi ( 2Thes 1,5-10 ) waren die Gedanken seiner Leser schon auf das Thema eingestimmt, auf das er nun detaillierter zu sprechen kommt. Das "Kommen ( parousias ) unseres Herrn Jesus Christus ... und unsere Vereinigung mit ihm" bezieht sich auf die Entrückung. Wieder spricht Paulus seine Leser in warmem, herzlichem Ton an und macht ganz deutlich, daß er sie als seine Brüder und Schwestern im Glauben empfindet, die er in seiner brüderlichen Sorge und Liebe fast mehr noch "beschwört" als "bittet" ( erOtOmen ), auf dem rechten Weg zu bleiben. Daß Paulus hier den vollen Titel des Gottessohnes - "unser Herr Jesus Christus" - gebraucht, unterstreicht den Ernst und die Feierlichkeit seines Anliegens.

2Thes 2,2


Der Apostel warnt seine Leser eindringlich davor, sich die Irrlehren, die unter ihnen im Umlauf sind, ihr geistliches Gleichgewicht durcheinanderbringen und sie ängstigen, zu eigen zu machen. Anscheinend wurde die Parole, daß der Tag des Herrn schon da sei, auf ganz verschiedene Weise (durch Weissagung, Wort, Brief ) vermittelt, was die Thessalonicher noch stärker dazu bewog, sie als autoritativ zu betrachten. Einige behaupteten sogar, diese Lehre sei ihnen vom Herrn selbst offenbart worden. Andere gaben nur das wieder, was sie selbst von anderen gehört hatten, und zu alledem erhielten die Thessalonicher einen Brief, der angeblich von Paulus stammte und denselben Irrtum vertrat (vgl. 2Thes 3,17 ). Angesichts so vieler Einflüsse ist es kein Wunder, daß die noch junge Gemeinde in ihren Überzeugungen erschüttert war.

Der Kern der irreführenden Botschaft, die von diesen ganz verschiedenen Quellen verbreitet wurde, war, daß der Tag des Herrn bereits angebrochen sei und die Thessalonicher sich mitten darin befänden. Wenn dies tatsächlich der Fall war, so fragten sich die Gläubigen, wie hatte Paulus dann behaupten können, daß die Wiederkunft des Herrn dem Tag des Herrn vor sich gehe ( 1Thes 1,10 )? Und was war von den Versprechungen zu halten, daß sie Gottes Zorn nicht sehen würden ( 1Thes 1,10;5,9 )? Paulus hatte sie gelehrt, daß die Kirche vor der Zeit der großen Trübsal entrückt würde. Die Verwirrung in der Gemeinde war nun darauf zurückzuführen, daß sie keinen Unterschied zwischen ihren gegenwärtigen Bedrängnissen und denen, die für den Tag des Herrn prophezeit waren, sehen konnten.

2Thes 2,3


Nachdem Paulus die falsche Lehre und die Quellen, denen sie entstammte, kenntlich gemacht hat, warnt er seine Leser nochmals nachdrücklich davor, sich täuschen zu lassen. Die Thessalonicher sollen sich durch keinen Menschen irreführen lassen, ganz gleich, wie glaubwürdig er auftreten mag oder wie gut er seine Lehre "verkauft", indem er die Autorität Gottes oder gottesfürchtiger Männer für sich in Anspruch nimmt. Christen, die neu im Glauben sind, neigen natürlicherweise zu einer gewissen Leichtgläubigkeit, weil sie noch nicht fest in der Wahrheit des Gotteswortes verwurzelt sind (vgl. Eph 4,14 ). Doch auch erfahrene Christen sind nicht gegen die Verblendung durch eine beeindruckende Persönlichkeit oder ein spektakuläres Auftreten gefeit. Das beste Gegengift gegen einen solchen vergiftenden Einfluß ist eine starke Dosis Wahrheit, wie sie Paulus der Gemeinde in Thessalonich im folgenden verabreicht.

Er spricht von drei Ereignissen, die auf jeden Fall vor dem Gericht am Tage des Herrn eintreten müssen: der Abfall ( 2Thes 2,3 ), das Offenbarwerden des Menschen der Bosheit (V. 3-4.8 ) und das Wegfallen aller Schranken gegen die Bosheit (V. 6-7 ). (Dies ist nicht unbedingt die genaue chronologische Reihenfolge der drei Vorgänge; vgl. den Kommentar zu den Versen 3.7 .)

Ein Ereignis von großer Wichtigkeit ist der Abfall ( hE apostasia , daher der Begriff "Apostasie"), die Auflehnung gegen eine zuvor vertretene Überzeugung und deren Verwerfung. Dieser Abfall, der innerhalb der Kirche stattfinden wird, wird eine Abkehr von der Wahrheit mit sich bringen, die Gott in seinem Wort offenbart hat. Es ist zwar richtig, daß es in der Kirche von Anbeginn an immer wieder zu derartigen Gegenbewegungen gekommen ist, doch Paulus bezieht sich hier auf eine ganz bestimmte, noch in der Zukunft liegende Apostasie, die sich deutlich von allen vorherigen abhebt (vgl. 1Tim 4,1-3; 2Tim 3,1-5;4,3-4; 2Pet 2;3,3-6; Jak 5,1-8; Jud) und von der er der thessalonischen Gemeinde bereits bei seinem Aufenthalt in Thessalonich erzählte ( 2Thes 2,5 ).

Manche Exegeten sehen in der "Abkehr", von der der Apostel hier spricht, einen Hinweis auf die Entrückung der Kirche (z. B. E. Schuyler English, Rethinking the Rapture , New York 1954, S. 67 - 71), doch das ist eher unwahrscheinlich, und D. Edmond Hiebert widerlegt denn auch die These, daß sich apostasia an dieser Stelle auf die Entrückung bezieht ( The Thessalonian Epistles , S. 306). Andere Bibelforscher sind der Ansicht, daß dieser Abfall (von Paulus "der" Abfall genannt) darin bestehen wird, daß die Menschen sich von der göttlichen Wahrheit ab- und dem Antichristen zuwenden, der sich im Tempel Gottes niederlassen und als Gott ausgeben wird (V. 4 ). Wenn das stimmt, dann findet das Gericht in der zweiten Hälfte der sieben Jahre, die dem zweiten Advent Christi vorangehen, statt.

Ein weiteres Ereignis, das vor dem Tag des Herrn stattfinden muß, ist das Offenbarwerden "des Menschen der Bosheit" ( ho anthrOpos tEs anomias ). Die Verbform "muß ... offenbart werden" zeigt an, daß es sich dabei um einen konkreten Vorgang handelt, der zu einer ganz bestimmten Zeit in der Geschichte ablaufen wird (vgl. V. 6.8 ). Dieses Wesen wird ganz und gar durch "Bosheit" (oder "Sünde", wie manche Übersetzungen schreiben) gekennzeichnet sein. Es wird auch als "der Sohn des Verderbens" bezeichnet. Sein zerstörerischer Auftrag ist das Gegenstück zur Erlösung - eine immerwährende Qual der Menschen. Möglicherweise wird der "Mensch der Bosheit" von einigen bereits dann erkannt werden, wenn er zu Beginn der siebzigsten Woche Daniels (vgl. Dan 9,27 a) einen Bund mit Israel schließt; doch wenn er diesen Bund dreieinhalb Jahre später ( Dan 9,27 b) bricht, wird auf jeden Fall offen zutage liegen, wer er wirklich ist (Charles C. Ryrie, First and Second Thessalonians , S. 104). Wahrscheinlich meint Paulus diesen späteren Zeitpunkt, wenn er vom Offenbarwerden des "Menschen der Bosheit" redet.



2Thes 2,4


"Der Sohn des Verderbens" ist der Widersacher Gottes und wird versuchen, den Gottesdienst des wahren Gottes - und aller falschen Götter - durch die Verehrung seiner selbst zu ersetzen, indem er vorgibt, er sei Gott . "Das Tier" wird keinen Gottesdienst als seinen eigenen dulden (vgl. Offb 13,5-8 ). Es wird sich auf Gottes Thron im inneren Heiligtum des Tempels Gottes setzen. Damit könnte ein wirklicher Tempel gemeint sein, wie die frühen Kirchenväter und verschiedene moderne Ausleger glauben. Nach Ansicht anderer Exegeten ist dies jedoch eine bildliche Anspielung darauf, daß der Widersacher Gottes das Allerheiligste in der menschlichen Gottesverehrung, das rechtmäßig nur Gott gehört, für sich in Besitz nehmen wird. In der Offenbarung des Johannes wird der Widersacher auch als "das Tier aus dem Meer" ( Offb 13,1-10 ), als "scharlachrotes Tier" ( Offb 17,3 ) oder einfach als "das Tier" ( Offb 17,8.16;19,19-20;20,10 ) bezeichnet. Er ist der "Antichrist" ( 1Joh 2,18 ), ein Pseudochristus, der dem Erlöser feindlich gegenübersteht. Es handelt sich bei ihm jedoch um einen wirklichen Menschen, nicht etwa um ein Prinzip, ein Herrschaftssystem oder eine Dynastie. Bis jetzt ist eine solche Gestalt noch nicht auf der Bühne der Menschheitsgeschichte erschienen.



2Thes 2,5


Für die Thessalonicher war das hier Gesagte nicht neu; Paulus hatte sie schon bei seinem Besuch in der Stadt mit diesen Vorstellungen vertraut gemacht und ruft sie ihnen nun wieder ins Gedächtnis. Er weist dabei - zum ersten Mal im 2. Thessalonicherbrief - explizit darauf hin, daß er ganz persönlich (Singular) die Gemeinde in diesen Dingen unterwiesen hat, und unterstreicht damit die Wahrhaftigkeit seiner Botschaft, denn er war in Thessalonich der Wortführer der Missionare gewesen. Offensichtlich erachtete der Apostel prophetische Wahrheiten wie die Vision des Antichristen keineswegs als zu tiefschürfend, unwichtig oder widersprüchlich für die neubekehrten Christen. Für ihn waren sie ein wichtiger Teil des göttlichen Ratschlusses, den er ohne Zögern oder Abschwächung an die Gemeinde weitergab.

B. Das Geheimnis der Bosheit
( 2,6 - 12 )


In Fortführung seiner Richtigstellung geht der Apostel nochmals genauer auf den "Menschen der Bosheit" und auf die Entfernung jener Instanz, die die Bosheit momentan noch teilweise zurückhält, ein. Die "Bosheit" bildet das zentrale Thema dieses ganzen Briefabschnittes. Das Entfallen aller die Bosheit eindämmenden Schranken ist ein drittes Geschehen, das vor dem Anbruch des Tages des Herrn eintreten muß.



2Thes 2,6


Das Wörtchen "und" ( kai ) wirkt als Bindeglied, das das Vorherige mit dem Folgenden verbindet. Nach Paulus wissen die Thessalonicher, welche Macht das Offenbarwerden des "Menschen der Bosheit" verhindert, er selbst geht hier nicht näher darauf ein. Möglicherweise hatte er die Gläubigen bei seinem Aufenthalt in Thessalonich darüber unterrichtet. Jemand oder etwas sorgt dafür, daß die Bosheit nicht überhandnehmen kann, und zwar zum Teil, damit der "Mensch der Bosheit" nicht zu früh in Erscheinung tritt.



2Thes 2,7


Dieser Vers ist eine Erklärung und Erweiterung von Vers 6 . Paulus erinnert seine Leser daran, daß sich das Geheimnis der Bosheit schon regt . Dieses "Geheimnis" ( mystErion ) ist eines der Geheimnisse des Neuen Testamentes ( Röm 16,25; 1Kor 2,6-12; Eph 1,9;3,3-5; Kol 1,25-27 ). Ein solches "Mysterium" ist immer eine neue Wahrheit, die den Menschen bis zu ihrer Enthüllung in der gegenwärtigen Zeit verschlossen war. Im vorliegenden Fall ist es die Offenbarung einer in der Zukunft liegenden Übersteigerung der Bosheit in der Welt. Damals wie heute war und ist eine von Satan gelenkte Gegenströmung gegen das göttliche Gesetz wirksam. Doch diese Gegenströmung wird noch zurückgehalten, bis schließlich der Zeitpunkt für das Offenbarwerden des "Menschen der Bosheit" und die letzte Klimax der Bosheit gekommen ist.

Wer oder was hält diese satanischen Bestrebungen gegen das Gesetz Gottes und damit das Offenbarwerden des "Menschen der Bosheit" zurück? Manche Ausleger verstehen die rätselhafte Andeutung des Apostels als einen Hinweis auf das Römische Reich. Doch das römische Imperium ist schon langeversunken, und doch ist die geheimnisvolle eindämmende Macht noch immer am Werk. Einer anderen These zufolge ist es Satan selbst, wenngleich es schwer einzusehen ist, warum ausgerechnet er die Sünde zurückhalten sollte. Wieder andere sind der Auffassung, daß die Regierungen und Staatsformen auf der Welt ganz allgemein der Sünde Schranken setzen und so das Erscheinen des Antichristen verhindern. Doch andererseits werden diese Regierungen ihrerseits erst beim Auftreten des Antichristen verschwinden. Im übrigen setzen keineswegs alle Regierungen der Sünde Grenzen - viele fördern sie sogar!

Die einzige denkbare Instanz, die genügend (übernatürliche) Macht besitzt, um eine solche Funktion auszuüben, ist der Heilige Geist. Aber auch diese Deutung ist nicht unwidersprochen geblieben, weil to katechon in 2Thes 2,6 eine Neutrumform ist (" was hält zurück"). Aus zwei Gründen stellt das jedoch kein Problem dar: Zum einen wird der Heilige Geist mehrfach als Neutrum behandelt ( Joh 14,26; 15,26; 16,13-14 ). Zum anderen wechselt das Genus im zweiten Teil von Vers 7 ins Maskulinum: " ho katechOn " ( der, der es aufhält ). Auf welche Weise aber wirkt der Heilige Geist als die Sünde eindämmende Macht? Er nimmt Wohnung in den Christen und baut durch sie in der Gesellschaft gleichsam einen Wall gegen die steigende Flut der Schlechtigkeit. Damit erklärt sich auch, wie es kommt, daß der Hinderer der Sünde weggetan wird, denn wenn die Kirche von der Erde entrückt wird, wird auch der Heilige Geist insofern verschwinden, als sein einzigartiges Wirken durch die Christen ein Ende haben wird (vgl. 1Mo 6,3 ). Die Entfernung der dämmenden Kraft in der Zeit der Entrückung muß dem Tag des Herrn offensichtlich vorausgehen. Paulus' Gedankengang kann daher als Argument für die These der Entrückung vor der Zeit der großen Trübsal herangezogen werden: Die Thessalonicher befinden sich demzufolge momentan keineswegs in der Zeit der großen Trübsal, weil es noch keine Entrückung gegeben hat.



2Thes 2,8


Wenn die Sünde nicht mehr zurückgedrängt wird, wird die Welt restlos in Bosheit versinken, und der "Mensch der Bosheit" wird offenbar werden (vgl. den Kommentar zu V. 3 ). Der Name dieses Menschen wird an keiner Stelle in der Bibel genannt, doch er wird an seinen Taten zu erkennen sein (vgl. 2Thes 2,3 sowie Dan 9,26-27 und Dan 11,36-12,1 ). Paulus war sich der Kräfte, die hinter dieser Person stehen, bewußt, deshalb beschreibt er ihr Erscheinen als ein Geschehen, das durch die Macht eines anderen, nicht durch sie selbst bewirkt wird.

Diese böse Macht wird der Herr Jesus durch den Hauch seines Mundes vernichten. Der Antichrist mag die Kontrolle über die Menschheit erlangen, doch er ist kein Gegner für den Messias. Jesus ist wahrhaftig der Herr. "Der bloße Atem des verherrlichten Jesus wird den Bösen wie in einem Feuerofen verglühen lassen" (Hiebert, The Thessalonian Epistles , S. 315) - er wird tot sein, und sein Werk wird vernichtet werden. Die strahlende Helligkeit der Gegenwart Christi bei seinem Kommen auf die Erde wird die Pläne des Antichristen vereiteln, wie einst die Offenbarung des verherrlichten Christus Saulus auf der Straße nach Damaskus niederwarf und seinen widergöttlichen Bestrebungen ein Ende machte.

Vers 8 umspannt die siebenjährige Herrschaftszeit des Antichristen von seinem kurz nach der Entrückung geschlossenen Bund mit Israel bis zu seiner Überwindung durch Christus, wenn er am Ende der Zeit der großen Trübsal kommt .



2Thes 2,9


In Vers 9 - 11 wird diese Herrschaft des Bösen genauer beschrieben. Er wird gestützt von Satan (vgl. Offb 13,2 b) und hält sich an der Macht durch dessen Lieblingswerkzeuge: Lüge und Täuschung. Das Streben Satans, die Wunder Gottes in der Welt nachzuäffen, läßt sich vom 1. Buch Mose bis zur Offenbarung des Johannes in der ganzen Heiligen Schrift verfolgen. Paulus verwendet drei Termini zurSchilderung der übernatürlichen Machtmanifestationen des "Menschen der Bosheit": (1) Er tritt mit großer Kraft ( dynamei ) auf, d. h., hinter den Dingen, die er bewirkt, steht eine starke Macht. (2) Seine Herrschaft wird von lügenhaften Zeichen ( sEmeiois ) begleitet, d. h., er täuscht vor, daß die Wunder, die er tut, Zeichencharakter haben. (3) Daß sie mit Wundern ( terasin ) gleichgesetzt werden, zeigt die Ehrfurcht und Bewunderung, die sie bei den Menschen, die sie sehen, auslösen. Kurz, er vollbringt so große Wunder, daß alle, die sie miterleben, spüren werden, daß er übernatürliche Macht besitzt, und ihn verehren werden. Ein Beispiel für ein solches Wunder und die Ehrfurcht, die es bei den Menschen erweckt, wird in Offb 13,2 b.3-4 und Offb 17,8 geschildert.



2Thes 2,10


Doch die Wunder, die der Böse tun wird, werden nicht das einzige sein, was die Menschen dazu bewegt, ihn für göttlich zu halten. Alles, was er tut, wird die Leute in die Irre führen, ganz besonders jene, deren Augen für sein wahres Gesicht und sein Handeln blind sind, weil sie nicht an Gottes Wort glauben. Das soll nicht heißen, daß alles, was er tut, von den Menschen als böse erkannt wird, sondern daß es seinem Wesen nach böse ist, weil es die Wahrheit verfälscht und die Menschen von der Anbetung Gottes abhält. Die gleichen griechischen Begriffe, mit denen in Vers 9 das Wirken des Antichristen beschrieben wird, werden in Apg 2,22 in bezug auf das Wirken Jesu und in Hebr 2,4 für die Arbeit der Apostel gebraucht. Für die Menschen, die in dieser Zeit auf der Erde leben werden, wird es in der Tat den Anschein haben, als sei der Antichrist Gott. Er wird sich als Gott ausgeben, und ihm wird auch die Verehrung eines Gottes zuteil werden.

Diejenigen, die sich durch den "Menschen der Bosheit" täuschen lassen, sind verloren ( apollymenois , Partizip Präsens; das Substantiv dazu, "Verderben" [ apOleias ], steht in 2Thes 2,3 ), weil sie die Liebe zur Wahrheit Gottes nicht angenommen und die von ihm geschenkte Erlösung verschmäht haben. Trotz der Überzeugungskraft, die dieser rettenden Wahrheit innewohnt, verschließen sich die Ungläubigen davor. Sie haben damit ihr eigenes Verdammungsurteil gefällt. Die Liebe zur Wahrheit des Evangeliums dagegen ist ein Zeichen echter Bekehrung; es gehört dazu nicht mehr als die Bereitschaft, das Evangelium im Glauben anzunehmen. Die "Wahrheit des Evangeliums" verkörpert den Gegenpol zu den "lügenhaften Zeichen" des Bösen. Wer der Wahrheit glaubt und sie liebgewinnt, ist gerettet. Die Reaktion auf das Evangelium kommt also ebensosehr oder fast noch stärker aus dem Herzen als aus dem Kopf.



2Thes 2,11


Gott will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen ( 1Tim 2,4-6 ). Wenn die Menschen die Wahrheit jedoch ablehnen, läßt er sie die Folgen der Lüge spüren (vgl. Röm 1,18-25 ). Im Augenblick ihrer Auflehnung tritt Gott in sein Amt als Richter der Menschheit ein und setzt sie der Macht der Verführung ( energeian planEs ) aus, die daraus erwächst, daß die Menschen sich bewußt dafür entscheiden, der Lüge zu glauben und dem Irrtum vor der Wahrheit den Vorzug zu geben. Der Richterspruch Gottes ist also durch die Entscheidung der Ungläubigen gerechtfertigt. "Die Lüge", auf die sie hereinfallen, ist der Anspruch des Bösen, Gott zu sein.



2Thes 2,12


Das eigentliche Ziel des göttlichen Handelns ist Gerechtigkeit (vgl. 2Thes 1,6 ). Ewige Verdammnis ist das Schicksal all derer, die sich der Wahrheit verschließen und die Freude an der Ungerechtigkeit haben. Ihre Lust ... an der Ungerechtigkeit ist das Gegenstück zum christlichen Glauben an die Wahrheit - in beiden kommt eine geistliche Entscheidung zum Ausdruck. Auch wenn es Paulus hier natürlich in erster Linie um die Ungläubigen, die beim Offenbarwerden des "Menschen der Bosheit" leben, geht, so sehen die Folgen des Unglaubens letztlich doch immer gleich aus. Das Grundprinzip der göttlichen Gerechtigkeit bleibt über die Zeitenhinweg bestehen und ist heute noch ebenso gültig wie zur Zeit des Apostels.

Wird in dieser Passage ausgesagt, daß jene, die zur Zeit des "Menschen der Bosheit" nicht an das Evangelium glauben und die deshalb nicht entrückt werden, sondern weiter auf der Erde leben, nicht mehr gerettet werden können? Oder können Menschen, die die Wahrheit des Evangeliums vor der Entrückung zwar kennen, aber bewußt zurückweisen, danach noch zum Glauben kommen? Die "Macht der Verführung" (V. 11 ), der Gott diese Menschen aussetzen wird, legt die Annahme nahe, daß allenfalls wenige der dann Lebenden noch erlöst werden. Es scheint sich hier um ein besonderes Gottesurteil nur an diesem einen Punkt in der Geschichte zu handeln. Bei den vielen Heiligen, von denen das Buch der Offenbarung sagt, daß sie die Zeit der großen Trübsal miterleben werden, handelt es sich also wahrscheinlich um Menschen, die das Evangelium bis zur Entrückung nicht kannten und deshalb auch nicht abgelehnt haben ( Offb 7,4 ).

Paulus führt seinen Lesern vor Augen, daß die Bedrängnisse und Verfolgungen, denen sie sich ausgesetzt sehen ( 2Thes 1,4 ), in keiner Weise als Anzeichen dafür zu werten sind, daß sie nun das Strafgericht am Tag des Herrn erleben. Sie müssen nicht befürchten, bei der Entrückung übergangen worden zu sein, denn vor dem endgültigen Gericht am Tag des Herrn werden mehrere eindeutig identifizierbare Ereignisse eintreten, die bis jetzt noch ausstehen. Es sind dies die Apostasie - der bewußte Abfall von der Wahrheit Gottes -, die Entfernung der die Bosheit bändigenden Macht bei der Entrückung, d. h. die Entfernung des Heiligen Geistes, der durch die Gläubigen das Böse in der Welt im Zaum hält, und schließlich das Offenbarwerden des Antichristen, des "Menschen der Bosheit". Da diese drei Ereignisse damals noch nicht eingetreten waren (und bis heute noch nicht Realität geworden sind), waren die Thessalonicher also offensichtlich einem Irrglauben erlegen, als sie meinten, der Tag des Herrn sei bereits da.



IV. Danksagung und Gebet
( 2,13 - 17 )


Die anschließende Passage bildet ein überleitendes Versatzstück zwischen der Lehre vom Tag des Herrn ( 2Thes 2,1-12 ) und den Verhaltensmaßregeln des Apostels für eine christliche Lebensführung, die auf diesen Tag ausgerichtet ist und die Gemeinde in Thessalonich für ihn bereitmachen soll ( 2Thes 3,1-15 ).



A. Dank des Apostels für die Berufung der Thessalonicher
( 2,13 - 15 )


2Thes 2,13


Im Gegensatz zu den Ungläubigen, von denen zuvor die Rede war, machen die Thessalonicher den Aposteln wirklich Freude. Ja, Paulus hat das starke Bedürfnis, Gott allezeit für sie zu danken. Er sieht in ihnen seine Brüder (vgl. V. 1.15 ) und Schwestern im Glauben, die vom Herrn geliebt sind, auch wenn sie von ihren gottlosen Mitbürgern gehaßt und verfolgt werden.

Die Freude und Dankbarkeit des Apostels hat ihren Grund darin, daß Gott die thessalonischen Gläubigen zum ewigen Heil erwählt ( heilato , Imperfekt von aireO , "ergreifen, erwählen"; das Wort steht außer an dieser Stelle nur noch in Phil 1,22 ) hat - und zwar als erste (vgl. "ehe der Welt Grund gelegt war"; Eph 1,4 ), also nicht aufgrund ihrer Liebe oder eines anderen Verdienstes von ihrer Seite, sondern weil er sie liebt (vgl. 1Thes 1,4 ). Paulus lehrte immer wieder, daß die Initiative zur Erlösung von Gott ausgeht und nicht vom Menschen. Das Werkzeug, dessen er sich dazu bedient, ist das Wirken des Heiligen Geistes, der die Erwählten zu einem Leben der Heiligung und Sündlosigkeit aussondert (vgl. Joh 16,7-11 ). Er erneuert, erfüllt und tauft die Christen und macht sie damit zu Gliedern des Leibes Christi. Der menschliche Anteil an der Erlösung liegt im Glauben an die Wahrheit des Evangeliums. Wo dieser Glaube vorhanden ist, reinigt der Geist das Leben der Gläubigen durch das Wort Gottes ( Joh 17,17 ).

Daß Gott, der ja alle Menschen liebt, manche von ihnen für die Erlösung erwählt, sollte die Gläubigen mit Dank für die Gnade dieser Erwählung erfüllen.



2Thes 2,14


Gott selbst hat die Leser dieses Briefes durch das Evangelium , wie es von den Aposteln in Thessalonich verkündigt wurde, zum Heil berufen . Er wollte, daß die Gläubigen eines Tages die Herrlichkeit und Ehre, die Jesus Christus , der zur Rechten des Vaters sitzt, schon jetzt hat, mit ihm teilen (vgl. 2Thes 1,10-12 ).



2Thes 2,15


Deshalb sollen die thessalonischen Gläubigen im Angesicht ihrer Berufung nicht in ihrer Glaubensfestigkeit, ihrer vorbildlichen, brüderlichen Fürsorge und in ihrer Hoffnung auf die unmittelbar bevorstehende Wiederkunft Jesu Christi wankend werden (vgl. 1Thes 1,3 ), sondern feststehen ( stEkete ; vgl. 1Kor 16,13; 1Thes 3,8 ). Die Christen sind immer in Gefahr, von den Strömungen der sie umgebenden, ihrer Religion meist feindlich gegenüberstehenden Kultur erfaßt zu werden. Und sie neigen allzuoft dazu, die Wahrheit, die ihnen offenbart wurde, zu vergessen und ihre Beziehung zu Gott erkalten zu lassen. Sie haben es daher dringend nötig, sich an dem festzuhalten, was ihnen die Diener Gottes gesagt haben. Die Thessalonicher standen im Begriff, sich von den - persönlich wie brieflich empfangenen - Lehren der Apostel zu lösen (vgl. 2Thes 3,6 ). Die ständigen Bedrängnisse, denen sie ausgesetzt waren, aber auch der negative Einfluß der Welt, des Fleisches und des Bösen drohten, sie in ihrer Glaubensentwicklung zurückzuwerfen.



B. Bitte um Kraft für die Gemeinde
( 2,16 - 17 )


Paulus betet für die Standfestigkeit der Thessalonicher, daß Gott ihnen Mut und Kraft geben möge (vgl. 1Thes 3,2.13; 2Thes 3,3 ).



2Thes 2,16


Wieder werden der Sohn und der Vater einander gleichgestellt und als eins betrachtet. Gottes Liebe und Gnade sind die Grundlage für einen ewigen (d. h. nie versiegenden) Trost ( paraklEsin aiOnian ) in allen zeitlichen Nöten. Aber Gott gibt seinen Gläubigen auch eine gute ( agathEn ) Hoffnung , die ihnen die Gewißheit der Rückkehr ihres siegreichen Erlösers gibt.



2Thes 2,17


Zwei Dinge wünscht Paulus den Thessalonichern in all den Ängsten und Befürchtungen, die durch die Irrlehren in bezug auf den Tag des Herrn geweckt wurden: Trost und Mut (das Verb "trösten", parakalesai , vereinigt beide Bedeutungen in sich; an anderer Stelle [ 1Thes 4,1.10; 2Thes 3,12 ] heißt es auch "ermahnen"), und Gottes Gnade, um sie zu festigen und zu stärken ( stErizai ; vgl. auch 1Thes 3,2.13 ) in allem guten Werk ("gut" im Sinne von gottgefällig) und Wort , das sie zur Verteidigung und Bekräftigung des Evangeliums sprechen.



V. Ermahnungen für ein künftiges geistliches Wachstum
( 3,1 - 15 )


In diesem letzten Teil des Briefes werden die Leser zu einem Leben im Lichte der zuvor verkündeten Wahrheit und in der Gnade Gottes aufgerufen.



A. Fürbitte für die Apostel
( 3,1-2 )


Paulus und seine Mitarbeiter bitten die thessalonischen Brüder, für die sie immer wieder beten, ebenfalls um ihre Fürbitte.



2Thes 3,1


Das Bindewort "weiter" leitet den letzten Hauptteil des Briefes ein. Die Gläubigen in Thessalonich bedürfen in den Anfechtungen, die sie durchmachen, der Fürbitte, aber sie sind zugleich auch dazu aufgerufen, selbst für andere zu beten. Wer die Fürbitte für andere auf sich nimmt, macht damitseine eigene Last leichter. Die Apostel unterscheiden sich darin nicht von den thessalonischen Christen. Sie bitten aus zwei Gründen um Beistand im Gebet. Zum einen sind sie sich dessen bewußt, daß der Erfolg ihrer missionarischen Arbeit allein davon abhängt, daß Gott das Wort, das sie verkünden, segnet. Die Verbreitung des Evangeliums ist allein Gottes Werk, und die Aufnahme der frohen Botschaft bei denen, die sie hören, hängt davon ab, wie er die Herzen bereitet hat. Die Thessalonicher wußten aus eigener Erfahrung, wie Gott in den Herzen der Menschen wirken und sie für die Aufnahme des Evangeliums bereitmachen kann. So konnten sie aus Überzeugung darum beten, daß Gott zur Verherrlichung seines Wortes beitragen möge, indem er auch anderen, die es hören, Glauben schenkt.



2Thes 3,2


Die zweite Bitte der Apostel richtet sich darauf, daß sie von den Feinden des Evangeliums, die ihnen auf ihren Reisen von Stadt zu Stadt immer wieder in den Weg treten und versuchen, ihre Bemühungen zunichte zu machen, erlöst werden möchten. Auch darüber wußten die Thessalonicher aus eigener Erfahrung nur zu gut Bescheid ( Apg 17,5-9 ). Die Feinde des Evangeliums tun etwas im Grunde genommen Unvernünftiges: sie widerstehen dem Geschenk Gottes. Durch ihre Haltung zerstören sie zum Teil aber auch das geistige Wohl anderer. Ihre Feindseligkeit entspringt dem Mangel an Glauben an die Botschaft des Heils, der sie zu falschen ( atopOn , "verderbt") und bösen ( ponErOn , "vorsätzlich zerstörerisch") Menschen macht. Vers 1.2 zeigen ganz deutlich die positiven und negativen Reaktionen, die die Predigt des Evangeliums hervorruft.

B. Zuversicht der Apostel
( 3,3 - 5 )


Die Apostel fühlen sich durch die gegenwärtige Situation in der thessalonischen Gemeinde keineswegs entmutigt, sondern sind voller Zuversicht.



2Thes 3,3


Ihre Zuversicht gründet sich dabei eher auf ihren Glauben an die Treue Gottes, nicht so sehr auf ihr Vertrauen in die Thessalonicher. Gottes Wesen sollte denn auch die eigentliche Basis für die Zuversicht der Christen sein. Weil Gott zugesagt hat, die Nöte der Gläubigen zu stillen, kann Paulus in der Gewißheit ruhig sein, daß Gott ihnen die Kraft geben wird (vgl. 1Thes 3,2.13; 2Thes 2,17 ), der Anfechtung und Bedrängnis zu widerstehen. Und er weiß, daß er sie vor dem Bösen und seinen Sendboten bewahren wird (vgl. Phil 1,6; 1Thes 5,24 ). (Vgl. "die bösen Menschen" in 2Thes 3,2 mit "dem Bösen" in V. 3 .)



2Thes 3,4


Ein weiterer Grund für das Vertrauen der Apostel ist ihre Überzeugung, daß die Thessalonicher den Anweisungen, die sie in diesem Brief erhalten haben, Folge leisten werden. Die Missionare verlassen sich auch dabei nicht auf die Kraft ihrer Leser, das Rechte zu tun; ihr Vertrauen richtet sich vielmehr darauf, daß sie, weil sie in dem Herrn sind, von Gott selbst dazu befähigt werden, im Sinne des Briefes zu handeln.



2Thes 3,5


Paulus bittet deshalb darum, daß Jesus Christus der Gemeinde Gehorsam schenken möge - einen Gehorsam, der aus einer wachsenden Erkenntnis der Liebe Gottes und, damit einhergehend, aus einer immer größeren Liebe zu Gott erwächst. Er erbittet für die Gläubigen eine Standhaftigkeit, wie sie die Geduld ( hypomonEn ; vgl. 1Thes 1,3; 2Thes 1,4; Hebr 12,1-2 ) Christi hervorbringt. Die Versenkung in die Liebe Gottes und das geduldige Ausharren Christi soll den Christen Mut machen, dem Wort ihres Herrn zu gehorchen und geduldig in der Not auszuharren. (Das Wort "richte aus" , kateuthynai , bedeutet "räume die Hindernisse aus dem Weg"; vgl. 1Thes 3,11 .)


C. Umgang mit den "Unordentlichen"
( 3,6 - 10 )


Theologische Irrtümer über den Anbruch des Tages des Herrn hatten in der Gemeinde in Thessalonich zu Unkorrektheiten geführt. Paulus geht imfolgenden Abschnitt auf diese Mißstände ein. Auch wenn er im Brief nicht explizit einen Zusammenhang mit den Mißverständnissen in der Lehre herstellt, so liegt doch die Schlußfolgerung nahe, daß das eine aus dem anderen erwuchs.


2Thes 3,6


Aus der Aufforderung des Apostels, irrende Brüder zur Ordnung zu rufen, geht eindeutig hervor, daß sich eine Minderheit der Gemeinde offensichtlich nicht mehr an den christlichen Verhaltenskodex hielt. Wie ernst dieser Vorwurf zu nehmen ist, zeigt die Berufung auf den Namen Jesu Christi. Um all dessen willen, was Jesus Christus ihnen bedeutet, sollen die thessalonischen Christen tun, was Paulus ihnen hier sagt. Das ist nicht nur ein guter Rat, sondern ein Gebot. Schon zuvor hatte der Apostel die Gemeinde dazu aufgerufen, nichts mit denjenigen zu schaffen zu haben, die seinem Brief ungehorsam waren ( 1Thes 5,14 ).

Aber offenbar hatte diese Warnung nichts gefruchtet, daher greift Paulus jetzt zu härteren Mitteln und verlangt von der Gemeinde, die "Unordentlichen" aus der Gemeinschaft auszuschließen, was möglicherweise den Ausschluß aus dem gemeinschaftlichen Leben und aus der Gemeindeversammlung bedeutete (vgl. 1Kor 5,11 ). Durch die Unterbindung aller sozialen Kontakte würde die geistliche Kluft, die das Betragen der "Unordentlichen" geschaffen hatte, auch äußerlich zum Ausdruck kommen. Ihnen wird ein unordentlicher Lebenswandel und untätiges Herumlungern vorgeworfen, was bei manchen so weit ging, daß sie die Arbeit anderer störten (V. 11 ) und von ihnen erwarteten, für sie zu sorgen (V. 12 ). Ein solches Verhalten läuft allen Anweisungen des Apostels direkt zuwider.



2Thes 3,7


Paulus rechtfertigt seinen Befehl mit dem Beispiel der Missionare bei ihrem Aufenthalt in Thessalonich (V. 7 - 10 ). Er hatte der Gemeinde geboten, daß sie diesem Beispiel nachfolgen sollte ( 1Thes 1,6 ), doch manche Gemeindeglieder sträubten sich dagegen, soweit es um die Arbeit ging. Ganz offensichtlich betrachtete der Apostel die Lebensweise, die er und seine Gefährten den Gläubigen vorlebten, als ein verbindliches Vorbild für die Bekehrten - sie sollten sich das Verhalten ihrer Lehrer ebenso zu eigen machen wie ihre Lehre . Paulus und seine Mitarbeiter aber gaben sich nie der Untätigkeit hin.



2Thes 3,8


Sie schmarotzten nicht bei anderen. Das heißt nicht, daß sie nie ein Geschenk oder eine Mahlzeit von ihren Glaubensbrüdern annahmen, doch ihren Lebensunterhalt bestritten sie selbst (V. 12 ). Sie arbeiteten sogar Tag und Nacht , um keinem der thessalonischen Christen finanziell zur Last zu fallen (vgl. 1Thes 2,9 ).



2Thes 3,9


Die Apostel wollten damit den von ihnen Bekehrten ein Vorbild ( typon ; vgl. 1Thes 1,7 ) für opferbereiten Gemeinschaftsgeist geben. Sie hatten zwar durchaus das Recht , für ihr geistliches Amt materielle Unterstützung anzunehmen (vgl. 1Kor 9,3-14; 1Tim 5,18 ), doch sie beschnitten sich freiwillig dieses Rechtes, um die Bedeutung selbstloser Liebe und selbstlosen Fleißes anschaulich zu machen. Paulus geht nicht davon aus, daß das Recht auf Versorgung immer geopfert werden sollte; an anderer Stelle lehrt er im Gegenteil, daß es legitim ist, wenn diejenigen, die Unterweisung empfangen, ihre Lehrer unterstützen ( Gal 6,6 ). Worum es ihm hier geht, ist, daß die Christen im allgemeinen nicht von anderen verlangen dürfen, für sie zu sorgen, sondern so weit als möglich ihr eigenes Brot essen sollen.



2Thes 3,10


Die paulinischen Missionare hatten den Thessalonichern Fleiß sowohl theoretisch als auch praktisch nahegebracht, und Paulus möchte nicht, daß sie das wieder vergessen. Immerhin handelt es sich dabei um ein feststehendes Gebot für die christliche Lebensführung, das er in diesem Zusammenhang entweder wörtlich zitiert oder in der gerafften Form eines Merksatzes wiedergibt. Es gilt ausschließlich denen, die nicht arbeiten wollen , und keineswegs denen, die es aus bestimmten Gründen nicht können . Diese Arbeitsunwilligen sollen von den andern Christen nicht aus einer falsch verstandenenNächstenliebe heraus "durchgefüttert" werden. Das Beste, was man für sie tun kann, ist vielmehr, sie leer ausgehen zu lassen, damit sie auf diese Weise wieder auf den rechten Weg und zur Arbeit zurückgeführt werden.



D. Gebote für die "Unordentlichen"
( 3,11 - 13 )


Nachdem er vom Beispiel der Apostel und dem allgemeinen christlichen Arbeitsethos gesprochen hat, wendet Paulus sich nun nochmals direkt an die arbeitsunwilligen Gemeindeglieder.

2Thes 3,11


Die Apostel hören immer wieder (die Wiederholung wird durch das Präsens, akouomen , ausgedrückt), daß einige Thessalonicher nicht für ihren Lebensunterhalt arbeiten. Sie treiben unnütze Dinge , statt ihrem Beruf nachzugehen, und mischen sich in die Geschäfte anderer ein (vgl. 1Tim 5,13 ).



2Thes 3,12


Paulus und seine Mitarbeiter gebieten ( parangellomen ) diesen Leuten, sich zu ändern, und ermahnen sie ( parakaloumen ) im Namen ihrer Eingebundenheit in Christus dazu. Sie sollen nüchternen Sinnes, im klaren Bewußtsein all dessen, was sie über den Tag des Herrn erfahren haben, still ihrer Arbeit nachgehen ( hEsychia ; vgl. Apg 22,2; 1Tim 2,2.11; und den Kommentar zu 1Thes 4,11 ) und ihr eigenes Brot essen . Durch regelmäßige Arbeit müssen sie nicht länger anderen auf der Tasche liegen. Paulus hatte schon in seinem vorigen Schreiben diesbezügliche Anweisungen gegeben ( 1Thes 4,11 ), doch da manche Gemeindeglieder sich nicht daran gebunden fühlten, wiederholt er dieses Gebot hier in strengerer Form.



2Thes 3,13


An die gläubige Mehrheit der Gemeinde gerichtet, bittet Paulus eindringlich darum, weiterhin recht zu handeln, wie sie es gelernt haben, ungeachtet des Schmarotzerdaseins der "Unordentlichen". Wenn andere Christen den leichten Pfad der Verantwortungslosigkeit einschlagen und damit auch noch Erfolg zu haben scheinen, so wirkt das für die anderen leicht entmutigend und führt sie in Versuchung, es ebenso zu machen. Auch wenn man es sich verdrießen lassen könnte, Gutes zu tun , so sollte man doch dessen nie müde werden. Indem Paulus die rechtschaffenen Thessalonicher als liebe Brüder anredet, während er von den "Unordentlichen" als "solchen" Leuten (V. 12 ) spricht, macht er deutlich, daß die Ungehorsamen sich durch ihr Verhalten selbst von Gott abwenden.



E. Disziplinierung der Ungehorsamen
( 3,14 - 15 )


In diesen Versen findet Paulus noch härtere Worte in bezug auf die "Unordentlichen". Er geht hier darauf ein, wie sich die übrige Gemeinde ihnen gegenüber verhalten soll, wenn sie nicht bereuen.

2Thes 3,14


Wenn ein ungehorsames Gemeindeglied zweimal verwarnt wurde ( 1Thes 4,11;5,14 ) und dennoch nicht bereut, so sollen besondere Maßnahmen gegen die betreffende Person ergriffen werden. Paulus betrachtet sein Schreiben in diesem Punkt als autoritativ für die Gemeinde. Er ist ein von Gott eingesetzter Apostel, und was er unter der Leitung des Heiligen Geistes sagt, kommt von Gott und muß deshalb befolgt werden. Die Gläubigen sollen sich den Schuldigen merken und ihn der Gruppe der Ungehorsamen zuordnen. Es scheint sich dabei um einen persönlichen Schritt, den jeder Gläubige bei sich tun soll, zu handeln, während von einer öffentlichen Brandmarkung und Disziplinierung nicht die Rede ist.

Die Gläubigen sollen nichts mit der betreffenden Person zu schaffen haben , bis sie bereut. Das Ziel dieser sozialen Ächtung ist es, den Ungehorsamen schamrot werden zu lassen und ihn dadurch zur Reue zu bewegen. Die göttliche Zurechtweisung zielt immer darauf ab, Reue zu erwecken, und nicht darauf, Spaltung zu erzeugen. Sozialer Druck kann dabei helfen, einen Irrenden wieder zur Vernunft zu bringen und ihm daraufhin die Einbindung wieder zu ermöglichen. Das ist es, wasPaulus in diesem Fall bezweckt. Der Ausschluß aus der Gemeinschaft der Gläubigen soll den Betreffenden beschämen und ihm seine Trennung vom Haupt dieser Gemeinschaft, Jesus Christus, bewußt machen.



2Thes 3,15


Besorgt darum, daß die Thessalonicher ihre Disziplinierungsmaßnahmen möglicherweise übertreiben könnten, legt Paulus ihnen sogleich noch nahe, den Ungehorsamen als einen Bruder zu behandeln und nicht für einen Feind zu halten. Die Disziplinierung eines Gemeindemitgliedes soll nicht dazu führen, daß die Strafenden selbst das rechte Maß verlieren. Es steht ihnen nicht zu, den Ungehorsamen als persönlichen Gegner zu betrachten oder ihm gegenüber feindselige Gefühle zu hegen. Vielmehr soll ihre Handlungsweise und ihr Empfinden ganz von seiner objektiven Verbundenheit mit ihnen als Bruder in Christus bestimmt sein, die subjektiven Unmutsgefühlen, die möglicherweise durch sein Verhalten hervorgerufen werden, keinen Raum läßt. Sie sollen ihn zurechtweisen ( noutheteite ), nicht bezichtigen. Auch wenn sie den Kontakt zu ihm in bestimmten Bereichen einschränken, so sollen sie doch nicht jede Beziehung zu ihm abbrechen, sondern ihn geduldig immer wieder dazu ermahnen, das Falsche an seiner Handlungsweise zu erkennen und aufzugeben.



VI. Schluß
( 3,16 - 18 )


Der Brief schließt mit einem Gebet, einem abschließenden Grußwort und einer Segensformel.



2Thes 3,16


Dies ist die vierte Fürbitte des Apostels für die Gemeinde in Thessalonich im Rahmen des 2. Thessalonicherbriefes (vgl. 2Thes 1,11-12;2,16-17;3,5 ). Die Zurechtweisung mündet ein in das Gebet. Ohne das Wirken des Herrn sind alle Ermahnungen fruchtlos. Paulus bittet um die Gabe des Friedens in der Gemeinde, verkörpert in der Einheit all ihrer Glieder, die der Wahrheit gehorchen. Die Quelle dieses Friedens ist der Herr (vgl. 1Thes 5,23 ), und Paulus betet darum, daß er diesen Frieden den thessalonischen Christen schenken möge. Jeder einzelne Christ wie die Gemeinde als ganzes hat Frieden, wenn sie im Einklang mit dem Willen Gottes stehen. Das ist es, was Paulus den Thessalonichern allezeit wünscht, ganz gleich, wie die äußeren Umstände aussehen und ob sie Verfolgungen ausgesetzt sind.

Mit der Formel "der Herr sei mit euch allen" will Paulus nicht sagen, daß Gott nur zu bestimmten Zeiten bei den Christen ist (vgl. Mt 28,20 ). Er betet hier vielmehr darum, daß die Gemeinschaft mit Christus, die die Christen nur im Gehorsam gegen Gottes Wort erfahren können, jedem Gläubigen zuteil werden möge, also nicht nur den bereits Gehorsamen, sondern auch jenen, die zur Zeit durch ihre unordentliche Lebensführung noch nicht gottgefällig sind.



2Thes 3,17


Es gibt mehrere Hinweise darauf, daß Paulus seine Briefe einem Sekretär diktierte (vgl. Röm 16,22; 1Kor 16,21; Kol 4,18 ). An dieser Stelle aber schreibt der Apostel ausdrücklich einen Gruß mit eigener Hand . Wahrscheinlich versah er die meisten seiner Briefe mit einem handschriftlichen Zusatz, um den Empfängern ihre Authentizität zu verbürgen. Im Falle dieses Briefes war ein solcher persönlicher Gruß ganz besonders nötig (vgl. 2Thes 2,2 ). Zweifellos war seine Handschrift von der seines Sekretärs klar zu unterscheiden und den Lesern als die des Apostels bekannt.



2Thes 3,18


Die letzten Worte des Briefes enthalten die gleiche Segensformel wie in 1Thes 5,28 , mit der einzigen Ausnahme, daß hier das Wörtchen "allen" hinzugefügt ist. Es klingt wie ein letzter Appell an die Einheit der Gemeinde im Gehorsam aller Glieder gegenüber der Lehre und den Ermahnungen des Apostels. Eine solche Einheit kann nur durch die Gnade unseres Herrn Jesus Christus entstehen.